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Elektrowerkzeugbauer wollen den US-Markt stärker durchdringen
In den USA geben die Menschen deutlich mehr Geld für Elektrowerkzeuge aus als in Deutschland. Für deutsche Hersteller bietet der Markt noch erhebliches Potenzial.
19.06.2023
Von Heiko Steinacher | San Francisco
„Die USA sind der mit Abstand größte Do-it-yourself-Markt der Welt“, sagt Andreas Kroiss, Chief Executive Officer (CEO) des Werkzeug- und Gartengeräteherstellers Einhell. Kroiss untermauert seine Aussage mit konkreten Zahlen: „Gaben Deutsche 2021 pro Kopf 546 Euro für DIY-Produkte [Do-it-Yourself] aus, waren es in den USA umgerechnet 1.163 Euro, also über das Doppelte.“
Das liegt unter anderem daran, dass klassische Häuser in vielen US-Regionen aus Holz gebaut sind und meist kein festes Fundament und keinen Keller haben. Daher werden in den USA mehr Werkzeuge zum Sägen und Schneiden benötigt. Zudem werden beim Hausbau vorgefertigte Bauteile und Komponenten immer beliebter, was den Einsatz besonders leistungsstarker Elektrowerkzeuge erfordert. Auf den Dächern verlegen die Menschen in den USA oft relativ kurzlebige Schindeln statt Ziegel, sodass ihre Häuser im Allgemeinen reparaturanfälliger sind.
Der Markt stabilisiert sich nach der Coronakrise auf einem höheren Niveau
Der US-Markt für Elektrowerkzeuge ist 2022 zwar real nur noch um 0,6 Prozent gewachsen. Bis 2027 soll er ebenfalls nur leicht weiter steigen, pro Jahr im Schnitt um 1 Prozent auf dann 12,1 Milliarden US-Dollar (US$). Dabei erwarten die Marktforscher von Freedonia im genannten Zeitraum für den Verbrauchermarkt einen leichten Rückgang um im Schnitt 0,3 Prozent jährlich, während die Nachfrage im Profisegment um 1,6 Prozent pro Jahr zulegen soll. Letzteres steht für gut zwei Drittel des Gesamtmarkts.
Dem erwarteten niedrigen Wachstum bis 2027 geht allerdings ein gewaltiger Aufschwung voraus. So legte laut Freedonia die US-Nachfrage nach Elektrowerkzeugen 2020 um über 10 Prozent und 2021 nochmals um gut 24 Prozent zu. Denn zum einen stieg in der Pandemiezeit der Bedarf im Zuge des Trends zu Heimwerken und Gartenarbeit. Zum anderen verteuerten sich aber auch die Preise für Elektrowerkzeuge deutlich, nicht zuletzt wegen der hohen Rohstoff- und Logistikkosten der vergangenen Jahre. Der Markt stabilisiert sich also auf einem wesentlich höheren Niveau als vor der Pandemie.
Trotz besonderer Herausforderungen durch hohe Frachtpreise, knappe Rohstoffe und unterbrochene Lieferketten profitierte Einhell von dem durch Covid-19 angefachten DIY-Boom. Das Unternehmen richtete daher auch in der Coronazeit seine Marke immer stärker international aus. Lesen Sie hierzu auch den Beitrag zum Thema „Resilienz in der Coronakrise“ in der Ausgabe 3/22 der Zeitschrift Markets International.
Deutsche Hersteller bauen ihre Präsenz auf dem US-Markt weiter aus
Im Rahmen der Internationalisierungsstrategie rückt bei Einhell Nordamerika stärker in den Fokus. Im Jahr 2022 haben die Niederbayern das mittelständische kanadische Handelsunternehmen King Canada Inc. übernommen. Die in Kanada gesammelte Expertise soll nun beim Einstieg in den US-Markt helfen, wo Einhell im Jahr 2024 eine eigene Gesellschaft gründen will.
Neben Einhell sehen auch andere deutsche Unternehmen in den USA viel Marktpotenzial. Der Hersteller von Elektro- und Druckluftwerkzeugen Festool zum Beispiel hat im März 2023 mehrere Veranstaltungen organisiert, um eine Reihe von Produktinnovationen zu präsentieren und seine Marke in den USA bekannter zu machen. Bosch kündigte Anfang Juni 2023 an, rund 130 Millionen US$ in den Ausbau seiner Produktionsstätte in Lincolnton, North Carolina, zu investieren. Dort stellt das Unternehmen Schneidwerkzeuge her.
Da US-Wettbewerber häufig im Ausland produzieren, macht der Importanteil bei Elektrowerkzeugen in den USA rund 70 Prozent aus. So unterhält der US-Anbieter Stanley Black & Decker Produktionswerke unter anderem in China, Südkorea und Taiwan. Stanley Black & Decker bediente zusammen mit Techtronic Industries (China) 2022 mehr als die Hälfte der US-Nachfrage nach Elektrowerkzeugen. Techtronic Industries hat mehrere US-Töchter, darunter den Werkzeugbauer Milwaukee Electric Tool.
Milwaukee Electric Tool will im 2. Halbjahr 2023 ein neues Werk für Elektrowerkzeugzubehör in Grenada County, Mississippi, eröffnen. Darüber hinaus hatte das Unternehmen im Mai 2022 angekündigt, 206 Millionen US$ in seine Forschungs- und Entwicklungsabteilung und andere Standorte in Wisconsin zu investieren.
Neben DIY sorgen auch gewerbliche Kunden für einen Nachfrageschub
DIY und Heimwerken dürften zwar in nächster Zeit die größten Umsatztreiber bei Elektrowerkzeugen bleiben, auch wenn sich die Dynamik deutlich verringert. Doch auch gewerbliche Kunden sorgen für mehr Nachfrage. So hat vor allem der höhere Bedarf an Kfz-Ersatzteilen den Elektrowerkzeugmarkt angekurbelt. Denn die Chipknappheit während der Coronakrise trieb die Preise sowohl für Neu- als auch für Gebrauchtwagen in die Höhe. Viele Fahrzeuge blieben dadurch länger auf der Straße, wodurch sich der Wartungs- und Reparaturbedarf erhöhte.
Das Problem wirkt weiter fort: Zwar hat sich der Mangel an Chips mit kleinen Strukturgrößen in den letzten Monaten wieder entschärft. Nicht so aber in der Automobilbranche, die vor allem Chips in Knotengrößen von mehr als 90 Nanometern benötigt.
Akkugeräte gewinnen immer mehr Marktanteile
Einhell-Chef Kroiss macht noch einen weiteren Erfolgsfaktor für sein Unternehmen aus: „Wir haben schon früh und konsequent auf das Thema Akku und Plattform gesetzt.“ Besonders kabellose Werkzeuge mit Akkus gewinnen weltweit Marktanteile. Deshalb haben viele andere Produzenten ihren Schwerpunkt in den letzten Jahren ebenfalls auf diese Produkte gelegt. Akkubetriebene Quetschzangen, Bohrhammer, Schlagschrauber und Kreissägen dürften Elektrowerkzeuge, die mit herkömmlichen Batterien, zum Beispiel aus Nickel und Cadmium, betrieben werden, bald ersetzen. Das Marktforschungsunternehmen Arizton geht davon aus, dass der US-Markt für kabellose Elektrowerkzeuge bis 2026 pro Jahr durchschnittlich um 9,5 Prozent wachsen wird.