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Labor-Boom in den USA
Für den Life-Science-Sektor werden in den USA so viele Labore gebaut wie noch nie. Bei den klinischen Dienstleistungen sorgen vor allem innovative Tests für Wachstum.
19.07.2024
Von Heiko Stumpf | San Francisco
Ausstattung für Labore ist den Vereinigten Staaten weiter gefragt, auch wenn die Wachstumsraten in den kommenden Jahren nur moderat ausfallen dürften. Das Marktforschungsunternehmen IBIS World schätzt das Absatzvolumen im Jahr 2024 auf rund 27,1 Milliarden US-Dollar (US$). Bis 2026 wird ein Anstieg auf 28,5 Milliarden US$ prognostiziert, was einem durchschnittlichen Wachstum von 2,5 Prozent pro Jahr entspricht.
Als treibende Kraft dürfte sich insbesondere der Life-Science-Sektor erweisen. Derzeit erleben die USA einen nie dagewesenen Bauboom bei entsprechenden Flächen. Mit 1,2 Millionen Quadratmetern hat sich die fertiggestellte Laborfläche 2023 gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt. Weitere 2,5 Millionen Quadratmeter befinden sich im Bau, sie kommen 2024 und 2025 auf den Markt.
Der massive Zuwachs sorgt für ein Überangebot: So ist die Leerstandsquote in den vergangenen zwölf Monaten stark angestiegen. Anfang 2024 lag sie bei rund 15 Prozent. Branchenkenner sind jedoch optimistisch, dass neue Flächen durch einen Aufschwung im Life-Science-Sektor schnell belegt werden können. Dies würde zudem die Nachfrage nach Laborausstattung mit nach oben ziehen.
"Die Unternehmensgründungen bewegen sich auf hohem Niveau. Risikokapitalgeber haben Rekordsummen eingesammelt, die darauf warten, investiert zu werden", sagt Travis McCready, Leiter Life Sciences bei der Immobilienberatung JJL. Gleichzeitig haben die großen Pharmakonzerne hohe Rücklagen angehäuft. "Dieses günstige Umfeld in Verbindung mit dem drohenden Patent Cliff wird zu mehr Aktivität in den Life-Sciences führen", so McCready.
Was ist das Patent Cliff?
Bis 2030 läuft in den USA für rund 200 Medikamente der Patentschutz aus. Dies betrifft viele umsatzstarke Blockbuster-Medikamente. Durch den wegfallenden Schutz vor Generika und Biosimilaren droht den Branchengrößen bis 2030 ein jährlicher Umsatzeinbruch von über 200 Milliarden US-Dollar (US$).
Ein Ausweg dürfte nur über höhere Forschungsausgaben zu finden sein: Biotechnologie- und Pharmaunternehmen müssen neue Medikamente entwickeln, um frische Einnahmequellen zu erschließen. Auch das M&A-Geschäft dürfte sich beleben.
Steigende Nachfrage nach Laboruntersuchungen
Weitere wichtige Abnehmer von Labortechnik sind die klinischen Labore. Pro Jahr werden in den USA rund 14 Milliarden medizinische Laboruntersuchungen durchgeführt. Davon entfallen etwa 90 Prozent auf Routineuntersuchungen wie automatisierte Blutbildanalysen oder Stoffwechseltests.
Die Anzahl der durchgeführten Standarduntersuchungen entwickelte sich zuletzt jedoch rückläufig, berichtet das Beratungsunternehmen Avalon Healthcare Solutions im "2024 Lab Trend Report". Grundlage der Studie sind die Datensätze von privaten Krankenversicherungen. Wurden 2021 pro Versicherungsnehmer noch durchschnittlich 7 Labortests durchgeführt, waren es 2023 nur 6,4 Untersuchungen. Ursache ist vor allem ein deutlicher Rückgang bei den Covid-Tests.
Langfristig dürfte die Nachfrage nach klinischen Labordienstleistungen jedoch zunehmen. "Die Zahl der über 65-Jährigen steigt in den USA jeden Tag um etwa 12.000 Menschen an", sagte der Gesundheitsanalyst Mark Monane im Mai 2024 in einem von Avalon Healthcare Solutions durchgeführten Webinar. Mit der dadurch steigenden Prävalenz von chronischen Krankheiten wächst auch der Bedarf an Diagnose und Überwachung, so der Experte.
Die Zukunft gehört den Spezialtests
Als Wachstumsfeld entpuppt sich dabei der Markt für Spezialuntersuchungen wie genetische Labortests. Diese finden insbesondere in der Präzisionsmedizin vermehrte Anwendung, beispielsweise um Aussagen über die individuelle Veranlagung für Krankheiten oder die Wirkung von Medikamenten zu liefern. "Über 175.000 genetische Tests werden in den USA bereits angeboten und pro Tag kommen mehr als zehn Tests hinzu", so Gesundheitsanalyst Monane. Wertmäßig dürfte der Markt in den kommenden fünf bis acht Jahren deshalb durchschnittlich um etwa 11 Prozent wachsen.
Der steigende Bedarf spiegelt sich in der wachsenden Anzahl der akkreditierten medizinischen Labore wider. Im März 2024 waren insgesamt 317.545 Labore im Rahmen der Clinical Laboratory Improvement Amendments (CLIA) registriert (2019: 265.673 Einrichtungen). Mit 38,6 Prozent entfällt der Großteil auf Arztpraxislabore. Bei den großen Laborketten sind Quest Diagnostics, LabCorp und BioReference führend.
Wie verändert sich der Markt für klinische Labore?
Trend 1: Erste Multi-Krebs-Screening-Tests könnten schon 2024 die Zulassung erhalten
Multi-Krebs-Screening-Tests (Multi Cancer Early Detection Test, MCED) sind diagnostische Verfahren, die darauf abzielen, mehrere Krebsarten gleichzeitig in einem einzigen Test zu erkennen. Dabei werden häufig Blutproben anstelle von Röntgenbildern oder anderen bildgebenden Verfahren eingesetzt. MCED-Tests bieten eine umfassendere Möglichkeit zur Früherkennung von Krebs im Vergleich zu traditionellen Tests, die oft nur auf eine spezifische Krebsart abzielen.
Mindestens drei MCED-Tests wurden in das Breakthrough Device Program der US-Aufsichtsbehörde Federal Drug Administration (FDA) aufgenommen. Dies ermöglicht ein beschleunigtes Prüf- und Zulassungsverfahren, sodass erste MCED-Tests noch 2024 auf den Markt kommen könnten. Das neu gegründete Cancer Screening Research Network (CSRN) startet 2025 mit großangelegten klinischen Studien für MCED-Tests. Durch den MECD Screening Coverage Act könnten die Tests im Rahmen des staatlichen Gesundheitssystems Medicare (gilt für Menschen im Rentenalter) erstattungsfähig werden. Eine Verabschiedung durch den Kongress steht noch aus.
Trend 2: Polygenic Risk Score Tests werden ein Instrument der Zukunft
Polygenic Risk Score Tests (PRS-Tests) können eine Schätzung des genetischen Risikos einer Person für bestimmte Krankheiten liefern. Erste Tests für Diabetes, Depressionserkrankungen oder vererblichen Krebs sind bereits verfügbar. Die Datenanalyse erfolgt nach Entnahme einer DNA-Probe in spezialisierten Labors. Zu den Anbietern gehören Gesundheitsdienstleister wie 23andMe oder Allelica.
Mehr als 200 verschiedene PRS-Tests befinden sich nach Angaben von Avalon Healthcare Solutions in der Entwicklung, beispielsweise für chronische Krankheiten wie Herz- oder Nierenerkrankungen und Krebs. Umfassende klinische Studien für PRS-Test betreibt das eMERGE Genomic Risk Assessment and Management Network. Da die personalisierte Medizin in Zukunft an Bedeutung gewinnt, dürften PRS-Test für Präventions- und Behandlungsstrategien immer wichtiger werden.
Trend 3: Blut-Biomarker-Tests finden breitere Anwendung
Ein Blut-Biomarker-Test misst bestimmte Biomarker wie Enzyme, Proteine, Hormone oder Lipide, die Hinweise auf verschiedene gesundheitliche Zustände oder Erkrankungen geben können. Bislang kommen diese Tests vor allem in der Pränataldiagnostik und Onkologie zum Einsatz.
Mit der wachsenden Verbreitung der Präzisionsmedizin kommt eine Vielzahl neuer Tests in anderen Gebieten auf den Markt, beispielsweise für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, infektiöse Krankheiten oder Erkrankungen des Nervensystems. Unternehmen wie C2N Diagnostics, LabCorp und Quest Diagnostics bieten beispielsweise bereits Tests für Alzheimer an.
In der Medizin der Zukunft werden Blut-Biomarker-Tests von wachsender Bedeutung sein, nicht nur zur Diagnose und Überwachung von Krankheiten, sondern auch zur Personalisierung von Behandlungsplänen. Mehrere US-Bundesstaaten haben oder planen Gesetze, nach denen Biomarker-Tests im Rahmen von Medicare erstattungsfähig sind.
Neue Regularien: Im Labor entwickelte Tests benötigen eine FDA-Zulassung
Im Labor entwickelte Tests (Lab-developed Tests, LDTs) werden intern in medizinischen Laboren oder Forschungseinrichtungen für besondere Bedürfnisse entwickelt, die von kommerziellen Tests nicht abgedeckt werden. Bislang unterlagen diese Tests in den USA keiner regulatorischen Überwachung durch die FDA. Nach neuen Vorgaben der FDA müssen LDTs künftig jedoch dieselben regulatorischen Anforderungen wie kommerzielle In-Vitro-Diagnostika erfüllen. Die Regel wird seit Juni 2024 schrittweise in Kraft gesetzt. Vertreter der Laborindustrie haben jedoch bereits Klagen gegen die Vorgaben eingereicht.
Bei öffentlichen Forschungseinrichtungen wird der Rotstift angesetzt
Die öffentlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E) dürften in den kommenden Jahren hingegen weitgehend als Impulsgeber ausfallen. "Im Vergleich zu den Vorjahren machen wir einen Schritt zurück", erklärt Mary Wooley, Präsident und CEO des Interessenverbandes Research!America in einem Statement zum US-Forschungsetat für das Haushaltsjahr 2024.
Insgesamt sinken die Ausgaben im Vergleich zum Vorjahr um 2,1 Prozent auf 195,6 Milliarden US$. Die ausufernde Staatsverschuldung sorgt dafür, dass die Regierung auch künftig auf die Bremse treten muss. Durch die Vorgaben des 2023 verabschiedeten Fiscal Responsibility Act ist auch für 2025 mit einem leicht rückläufigen Forschungsbudget zu rechnen.
Private Forschungsausgaben entwickeln sich positiv
Die dadurch entstehende Lücke könnte durch verstärkte Forschung im Privatsektor geschlossen werden. Im Zeitraum 2017 bis 2022 (letzte verfügbare Daten) stiegen die Ausgaben für unternehmensinterne Forschung und Entwicklung um 74 Prozent auf 672,9 Milliarden US$ an. Damit machen diese mehr als 70 Prozent der gesamten amerikanischen Forschungsausgaben aus.
Durch Anreize wie den CHIPS and Science Act sowie den Inflation Reduction Act sorgt die US-Regierung dafür, dass sich der Trend fortsetzen dürfte. So stellt der CHIPS Act of 2022 beispielsweise Fördermittel in Höhe von 11 Milliarden US$ für die Halbleiterforschung bereit.
Einen Schub geben könnte auch die im Rahmen des "Tax Relief for American Families and Workers Act" geplante sofortige Abschreibung von F&E-Kosten. Der Gesetzentwurf wurde Anfang 2024 mit parteiübergreifender Mehrheit im Repräsentantenhaus verabschiedet und würde temporär bis Ende 2025 gelten. Eine Verabschiedung durch den Senat steht noch aus.
Importe von Labortechnik legen zu
Mit Unternehmen wie Thermo Fisher, Avantor und Agilent Technologies verfügen die USA über namhafte Hersteller von Labortechnik. Dennoch besteht ein hoher Einfuhrbedarf, wobei deutsche Unternehmen gut aufgestellt sind. Im Zeitraum von 2019 bis 2023 stiegen die Importe aus Deutschland um 19 Prozent auf 1,7 Milliarden US$ an.