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Klimaschutz-AtlasEnergie: Erneuerbare werden unterschiedlich schnell ausgebaut
Den Plänen zur Dekarbonisierung droht ein Tempoverlust. Widerstand kommt aus dem US-Kongress und einzelnen Bundesstaaten. Die Inflation sorgt für Finanzierungsprobleme.
04.09.2023
Von Ullrich Umann | Washington, D.C.
Energieversorgung
Die Energiewirtschaft stellt nach dem Transportsektor die zweitgrößte Emissionsquelle für Treibhausgase dar. Bis 2035 soll sich das ändern. Ab diesem Zeitpunkt werden ausschließlich CO2-freie Technologien zur Stromerzeugung angewendet, so die Planung der US-Regierung. Mit anderen Worten, sämtliche Kohle-, Öl- und Gaskraftwerke müssten bis 2035 abgeschaltet und durch erneuerbare beziehungsweise klimaneutrale Energiequellen ersetzt werden. Diesbezügliche Planungen beziehen grünen Wasserstoff ebenfalls ein.
Für die deutsche Wirtschaft ergeben sich aus dieser Entwicklung zahlreiche Geschäftsmöglichkeiten: Bei der Planung entsprechender Vorhaben und dem Betreiben von Anlagen der alternativen Stromgenerierung. Darüber hinaus bestehen Zulieferchancen etwa bei Fotovoltaikanlagen, Onshore- und Offshore-Windparks, Speicherlösungen, Smart Grids, dem Ausbau der Hochspannungsnetze oder bei der Elektrolyse von Wasserstoff.
Bundesstaatliche, regionale und kommunale Initiativen zum Herunterfahren umweltbelastender Energieträger sind seit Jahren zu beobachten. In einigen Bundesstaaten und großen Metropolen, etwa in New York City, haben die zuständigen Parlamente entsprechende Gesetze und Verordnungen erlassen. Demnach müssen die regionalen Stromversorger den Anteil der alternativen Quellen am Energiemix innerhalb vorgegebener Zeiträume hochfahren. Jedoch ist ein solches Vorgehen weder landesweit noch einheitlich zu beobachten. Einige Bundesstaaten preschen voran, andere bleiben aus verschiedenen Motiven heraus zurück, zumindest vorläufig.
Schnell fallende Gestehungspreise für Wind- und Sonnenstrom begünstigen die Umsetzung lokaler Einspeiseverordnungen zugunsten der Erneuerbaren. Zudem hat sich die Verfügbarkeit von Technologie zur Wind- und Sonnenlichtverstromung ausgeweitet. Für Investoren und Betreiber sind die Anschaffungskosten dadurch gesunken. Zusätzlich wirkt sich die stetig steigende Kundennachfrage nach Strom aus sauberen Quellen positiv aus.
Erste Rückschläge für Dekarbonisierungspläne
Nach dem ursprünglichen Scheitern des umfangreichen Fiskalpakets "Build Back Better" im US-Senat drohen den ehrgeizigen Regierungsplänen zur Dekarbonisierung der Wirtschaft weitere Verzögerungen. Grund hierfür sind nicht allein wahltaktische Überlegungen beider im Kongress vertretener Parteien. Angesichts der stark gestiegenen Inflation beruht der parlamentarische Widerstand auch auf geldpolitischen Überlegungen. Die Kritiker sahen in den ursprünglich für das Paket geplanten Ausgaben von 1,75 Billionen US-Dollar (US$) eine problematische Ausweitung der im Umlauf befindlichen Geldmenge.
Stromerzeugung
Einige Prognoseinstitute, etwa die Economist Intelligence Unit (EIU), sehen den Anteil der erneuerbaren Energien am Strommix im Jahr 2031 erst bei 14 Prozent - ohne Berücksichtigung der Wasserkraft. Sollte sich diese Vorhersage bewahrheiten, geriete die geplante vollständige Umstellung der Stromwirtschaft auf 100 Prozent klimaneutrale Energiequellen bis 2035, also nur vier Jahre später, in unerreichbare Ferne.
Laut der EIU-Prognose steigt die installierte Kapazität bei Windkraft zwischen 2021 und 2031 von 133 Gigawatt auf 240 Gigawatt. Rund 30 Gigawatt des Zuwachses sollen dabei auf Offshore-Anlagen entfallen. Davon geht auch die US-Regierung aus. Bei Fotovoltaik (auf Dächern installierte Anlagen sowie Solarparks) wird im entsprechenden Zehnjahreszeitraum ein Anstieg von 92 auf 211 Gigawatt erwartet.
Der Ausbau der Wasserkraft befindet sich nicht in den Planungen der Energieunternehmen und der US-Regierung. Diesbezügliche Vorhaben betreffen lediglich Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten an bestehenden Kraftwerken sowie die Installation kleiner Einheiten in fließenden Gewässern. Im Ergebnis vergrößert sich die installierte Kapazität bis 2031 praktisch nicht.
Damit die Stromwirtschaft bis 2035 klimaneutral werden kann, muss auch sehr viel in den Netzausbau investiert werden. Dazu gehört unter anderem eine Nachrüstung der Netze mit Sensor- und nachgelagerter Analysetechnik, nebst umfangreichen Rechenkapazitäten und Anwendungen der künstlichen Intelligenz. Auch rücken Strom- und Breitbandnetze technisch näher zusammen, zumal moderne Stromnetze ohne digitale Kommunikationsinfrastrukturen und Kontrollsysteme nicht mehr auskommen. Die Bundesministerien U.S. Department of Energy (DoE) sowie U.S. Department of Transportation (DoT) veröffentlichten im April 2021 zusätzliche Programme zum Netzausbau.
Schließlich muss sich die strukturelle Unterteilung der bestehenden Netze ändern: Experten schlagen die landesweite Einrichtung sogenannter Kleinnetze (Microgrids) vor. Diese wären mit den Verteilernetzen verbunden, verfügten jedoch über eine autonome Stromgenerierung, vorzugsweise basierend auf erneuerbaren Energiequellen. Im Normalbetrieb lässt sich über Wind- und Solartechnologie der Strombedarf aller Verbraucher in einem Microgrid decken. Netzunabhängige Wechselrichter gleichen kritische Lastschwankungen aus und sorgen dafür, dass stets genügend Strom abrufbar ist. Backup-Strukturen fungieren in diesem Zusammenhang als virtuelle Kraftwerke.