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Special | Vorder- und Mittelasien | Regionale Integration

Turkstaaten wollen enger zusammenarbeiten

Die Länder in Vorder- und Mittelasien fühlen sich durch Sprache, Geschichte und eine gemeinsame Religion verbunden. Nun rücken sie auch politisch und wirtschaftlich zusammen. 

Von Viktor Ebel | Bonn

Zentralasien und der Südkaukasus rücken zunehmend in den Fokus der Weltwirtschaft. Hier schlummern nicht nur beachtliche Vorräte an Öl, Gas und verschiedenen Erzen unter der Erde. Auch wichtige Transportkorridore zwischen Ost und West verlaufen durch die Region.

Ähnlich wie die Handelswege, kreuzen sich hier russische, chinesische und europäische Interessen. Mit der Türkei drängt ein weiterer Akteur aufs Feld. Ankara kann aufgrund der kulturellen Nähe auf Sympathien der turksprachigen Bevölkerung zählen.

Zusammenschluss von fünf Staaten

Das Siedlungsgebiet turksprachiger Völker reicht vom östlichen Mittelmeer bis tief nach Zentralasien. Über 160 Millionen Menschen leben hier. Im Jahr 2009 schlossen sich die Türkei, Aserbaidschan, Kasachstan und Kirgisistan zum Kooperationsrat der turksprachigen Länder zusammen. Usbekistan folgte 2019. Im Jahr 2021 erfolgte die Umbenennung zur Organisation der Turkstaaten (OTS).

Neben den Vollmitgliedern gibt es mit Turkmenistan und Ungarn zwei Länder mit Beobachterstatus. Die Rolle des EU-Mitglieds Ungarn ist eher symbolischer Natur. Das auf außenpolitische Neutralität bedachte Turkmenistan positioniert sich durch seine erstmalige Teilnahme am Gipfeltreffen der OTS im Jahr 2021 aber durchaus. Im Oktober 2022 bekräftigte der türkische Außenminister Melvüt Cavusoglu, dass Turkmenistan bald ein vollwertiges Mitglied der OTS werden soll. 

Türkei ist wichtiger Handelspartner

Die Türkei ist in den letzten Jahren zu einem wichtigen Handelspartner der Turkstaaten avanciert. Ihr wichtigster Exportmarkt unter den OTS-Mitgliedern ist das benachbarte Aserbaidschan. Das größte Potenzial bietet aber das bevölkerungsreiche Usbekistan, welches seit 2017 tiefgreifend reformiert wird und seine Industrie modernisiert. Weit vom einstigen Rekordstand entfernt sind die türkischen Ausfuhren nach Turkmenistan, weil der weitgehend isolierte Staat seit Jahren in einer Wirtschaftskrise steckt. Dennoch gelten türkische Unternehmen als gut etabliert in dem gasreichen Land. Sie haben in der Vergangenheit mehrere Infrastrukturprojekte umgesetzt und Ausrüstung geliefert.

Interessante Absatzmärkte für Maschinen und Ausrüstung

Während die Türkei aus den OTS-Ländern vor allem fossile Rohstoffe, Metalle und Erze sowie Agrarerzeugnisse bezieht, exportiert sie dorthin Textilwaren, Maschinen, Arzneimittel und Konsumgüter. Im Jahr 2021 betrug das Ausfuhrvolumen 7,2 Milliarden US-Dollar (US$). Damit kann die Türkei den Platzhirschen China und Russland zwar nicht das Wasser reichen. Doch für deutsche Unternehmen ist das Land mit seinem breiten Exportportfolio ein ernstzunehmender Konkurrent. Deutschland lieferte 2021 Waren für 3 Milliarden US$ in die OTS-Region.

Anteil der Türkei und Deutschlands an den Importen der OTS-Länder und Turkmenistans (2021; in Prozent)

Land

Anteil der Türkei (in %)

Wichtigste Importposition (HS Code)

Anteil Deutschlands (in %)

Wichtigste Importposition (HS Code)

Kasachstan

2,8

Textilwaren (61)

4,4

Maschinen und Ausrüstung (84)

Kirgisistan

5,9

Schmuck (71)

1,1

Pharmazeutische Erzeugnisse (30)

Usbekistan

7,0

Maschinen und Ausrüstung (84)

2,8

Maschinen und Ausrüstung (84)

Aserbaidschan

15,8

Maschinen und Ausrüstung (84)

5,4

Maschinen und Ausrüstung (84)

Turkmenistan*

25,7

Elektrische Maschinen (85); Maschinen und Ausrüstung (84)

6,3

Maschinen und Ausrüstung (84)

* Jahr 2020Quelle: UN Comtrade 2022

Vision 2040 zielt auf mehr Kooperation

Beim 8. Gipfeltreffen der OTS im November 2021 haben die Staatsoberhäupter ihre Vision für die turkische Welt bis 2040 vorgestellt. Dabei wurden vier Schwerpunkte gesetzt:

  1. Politische und Sicherheitszusammenarbeit
  2. Wirtschaftliche und sektorbezogene Zusammenarbeit
  3. Zusammenarbeit zwischen den Bürgern
  4. Zusammenarbeit mit externen Organisationen

Mit dieser breiten Palette an Themen grenzt sich die Absichtserklärung von früheren Dokumenten ab und spiegelt die veränderten Machtverhältnisse in der Region wider. Der Krieg in der Ukraine und der damit einhergehende Einflussverlust Russlands in Zentralasien und im Südkaukasus könnten der Integration innerhalb der OTS einen Schub verleihen.

Ankara bietet sich als strategischer Partner an

Am engsten ist die Zusammenarbeit zwischen der Türkei und Aserbaidschan. Ankara liefert Baku seit Jahren Rüstungsgüter, darunter im Krieg um die Exklave Berg-Karabach 2020 eingesetzte Drohnen. Auch die Länder in Zentralasien gehören zum Kundenstamm der türkischen Rüstungsindustrie, wie das deutschsprachige Zentralasienportal Novastan schreibt.

Am Wiederaufbau der von Aserbaidschan in Berg-Karabach zurückeroberten Gebiete wollen sich türkische Firmen beteiligen. Im Fokus stehen Infrastruktur, Bodenschätze, Städtebau und Projekte in der verarbeitenden Industrie. Bis zu 4 Milliarden US$ sollen dafür fließen.

Die Anrainer des Kaspischen Meeres und die Türkei versuchen außerdem, den Mittleren Korridor als alternative Transportroute zwischen Europa und Asien zu etablieren. Kasachstan und Aserbaidschan erweitern bereits die Kapazitäten ihrer Häfen und Fährflotten. Zudem soll die Eisenbahnlinie Baku-Tbilisi-Kars von Aserbaidschan in die Türkei für 100 Millionen US$ ausgebaut werden. Das würde ihre jährliche Kapazität von 1 Million auf 5 Millionen Tonnen erhöhen.

Perspektivisch könnte über den Mittleren Korridor auch mehr kasachisches Öl nach Europa gelangen. Eine Anfang 2023 in Kraft getretene Liefervereinbarung sieht zunächst 1,5 Millionen Tonnen Öl pro Jahr vor, die über die Pipeline Baku-Tbilisi-Ceyhan durch die Türkei transportiert werden.

Zangesur-Korridor als fehlendes Glied zwischen Turkstaaten

Ende 2020 hatte Aserbaidschan einige Gebiete in und bei der umstrittenen Region Berg-Karabach von Armenien zurückerobert. Die Konfliktparteien einigten sich anschließend darauf, die Transportverbindungen in der Region wiederherzustellen. Das schließt auch den Zangesur-Korridor mit ein.


Aserbaidschan fordert diesen extraterritorialen Korridor über armenisches Territorium, um eine direkte Verbindung zu seiner Exklave Nachitschewan und somit auch zur Türkei zu haben. Armenien lehnt das ab und verweist auf die Souveränität seiner Grenzen. Vor diesem Hintergrund nehmen die Spannungen zwischen den drei Ländern zu.

Integration birgt auch Konfliktpotenzial

Mit der Eurasischen Wirtschaftsunion ist 2015 bereits ein von Moskau geführtes Integrationsprojekt in der Region an den Start gegangen. Die Russland, Belarus, Kasachstan, Kirgisistan und Armenien umfassende Zollunion kooperiert auf politischer, wirtschaftlicher, wissenschaftlicher und technologischer Ebene. Da der freie Verkehr von Waren, Kapital, Dienstleistungen und Technologien auch in der Vision 2040 der turkischen Welt ausdrücklich genannt ist, würden sich die beiden Integrationsverbände hier in die Quere kommen.

Anhänger des Panturkismus, die eine kulturelle und politische Einheit der Turkvölker anstreben, zählen nicht nur die Staaten der OTS zu turkischen Welt, sondern auch Teile Westchinas und Sibiriens. In der Provinz Xinjiang geht die chinesische Regierung mit harter Hand gegen turksprachige, muslimische Minderheiten vor, denen sie Terrorismus und Separatismus vorwirft. Auch wenn sich die Regierungen der Turkstaaten bisher mit Kritik zurückhalten, sind zunehmende Spannungen in Zukunft nicht ausgeschlossen. Die Bevölkerung in Zentralasien steht China ohnehin skeptisch gegenüber.

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