Rechtsbericht Vereinigtes Königreich Ausschreibungsregelungen, Recht der öffentlichen Aufträge
Das neue britische Vergaberecht kündigt sich an
Der König hat das neue Vergabegesetz (Procurement Act 2023) ausgefertigt. Gelten soll es allerdings erst ab Oktober 2024. Das Hauptziel: mehr Flexibilität bei gleicher Wirksamkeit.
09.11.2023
Von Karl Martin Fischer | Bonn
Das Vergaberecht ist ein in der Praxis sehr bedeutendes Rechtsgebiet: Nach seinen Regeln werden im Vereinigten Königreich (VK) aktuell circa 300 Milliarden Pfund im Jahr umgesetzt. Durch den Austritt aus der Europäischen Union (EU) konnte dieses stark von Europarecht beeinflusste Rechtsgebiet nunmehr umfassend – und unabhängig – neu geregelt werden. Hier hinterlässt also gewissermaßen der Brexit eine erste Signatur. Dieser Bericht versucht, sie zu entziffern.
Prinzipien und Ziele ändern sich
Die sections (s.) 11 bis 14 des neuen Gesetzes betreffen die Ziele und Prinzipien der Vergabe. Insofern regelt s. 12, dass es um einen guten Gegenwert für das eingesetzte Geld (value for money) geht. Weitere Prinzipien sind Transparenz, Diskriminierungsverbot und Integrität. Nicht mehr ausdrücklich erwähnt wird das Prinzip der Verhältnismäßigkeit, also einer angemessenen Zweck-Mittel Relation. Allerdings gibt es noch immer zahlreiche Einzelnormen, in denen eine verhältnismäßige Vorgehensweise gefordert wird.
Einen weiteren wichtigen Unterschied zur bisherigen Rechtslage enthält s. 19: dort ist geregelt, dass das „vorteilhafteste Gebot“ (most advantageous tender) den Zuschlag erhalten muss. Bislang war die Rede vom wirtschaftlich vorteilhaftesten Gebot (most economically advantageous tender). Damit dürfte wohl der Preis der Leistung an Bedeutung verlieren. Eine Vergabeentscheidung alleine auf der Grundlage des niedrigsten Preises dürfte jedenfalls künftig kaum mehr möglich sein. Stattdessen hat die ausschreibende Stelle wohl mehr Freiheit, den Zweck des Vertrages zu gewichten und andere wichtige Umstände, zum Beispiel Nachhaltigkeit, zu berücksichtigen.
Es gibt weniger Verfahren, aber mehr Flexibilität
Zukünftig wird es statt der bisherigen sechs Verfahrensarten (siehe zum Beispiel § 119 GWB) nur noch zwei geben: ein einstufiges, offenes Verfahren, und ein flexibles, wettbewerbliches Verfahren (siehe s. 20 Absatz 2). Letzteres gibt der ausschreibenden Stelle die Möglichkeit, ein individuelles Verfahren zu entwerfen und auf die Bedürfnisse des Einzelfalls abzustimmen. Dabei muss sie immer darauf achten, dass das Verfahren ein angemessenes Mittel für die Beschaffung ist, besonders in Bezug auf das Wesen, die Komplexität und die Kosten des zu vergebenden Vertrages (s. 20 Absatz 3).
Das dynamische Beschaffungssystem (dynamic purchasing system; s. 34 ff.) wird in seinem Anwendungsbereich ausgeweitet und steht künftig nicht mehr nur für die Beschaffung marktüblicher Standardleistungen zur Verfügung. Weitere Details hierzu folgen in den Ausführungsbestimmungen zum neuen Gesetz.
Auch im Hinblick auf eine Modifikation der Ausschreibung gewährt das neue Recht mehr Flexibilität: s. 31 erlaubt beispielsweise für das offene Verfahren eine Verlängerung der Bieterfrist, für das flexible Verfahren darüber hinaus sogar materielle Änderungen an der Ausschreibung, sofern diese nicht substantiell sind. Bei letzteren wird unter bestimmten Voraussetzungen auch eine Präzisierung und Neugewichtung der Zuschlagskriterien ermöglicht, allerdings löst dies immer die Pflicht zu einer Neuveröffentlichung aus.
Auch künftig können Bieter ausgeschlossen werden
Für den - zwingenden oder im Ermessen der Behörde stehenden - Ausschluss von Bietern aus dem Verfahren (s. 26 ff.) gibt es in den Anhängen 6 und 7 des Gesetzes eine Aufzählung von Gründen. Liegen bei einem Bieter die Voraussetzungen des Anhang 6 vor, ist er ein „excluded supplier“, bei Anhang 7 ein „excludable supplier“.
Neu in diesem Zusammenhang ist die Einführung einer „schwarzen“ Liste („debarment list“, s.62). Diese Liste ist öffentlich. Gegen die Aufnahme in die Liste gibt es für den betroffenen Bieter Rechtsmittel (s. 63 ff). Dies ist wichtig, insbesondere weil einige der Ausschlussgründe in Anhang 7 recht weit formuliert sind („poor performance“; „acting improperly in procurement“).
Was es sonst noch Neues gibt
Für bestimmte Verfahren gibt es künftig (mindestens drei) Key Performance Indicators, deren Erfüllung jährlich kontrolliert und veröffentlicht wird.
Direktvergaben werden weiterhin die Ausnahme bleiben, aber etwas leichter möglich, insbesondere wenn ein Minister entscheidet, dass schnelles Handeln erforderlich ist, um menschliches, tierisches oder pflanzliches Leben und Gesundheit sowie die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu schützen. Dies ist eine leichte Erweiterung der bisherigen Ausnahme, die sicherlich den Erfahrungen während der Pandemie geschuldet ist.
Das neue Recht gilt ab sofort, wird aber erst ab Oktober 2024 angewandt und muss noch durch viele Durchführungsbestimmungen ergänzt werden, bevor es endgültig wirksam werden kann. Bis dahin eingeleitete Vergabeverfahren werden noch nach dem bisherigen Recht abgewickelt.
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