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Special | Vereinigtes Königreich | Beyond Brexit

Quo vadis United Kingdom?

Das Vereinigte Königreich stellt sich nach dem Brexit neu auf.  Wie es die neu gewonnenen Freiheiten nutzen will, berichtet GTAI in dieser Textsammlung. 

Seit dem 31. Januar 2020 ist der Brexit nominell Realität, und seit dem Ende der Übergangsphase am 1. Januar 2021 hat das Vereinigte Königreich (VK) den Binnenmarkt und die Zollunion verlassen. 

Wir beobachten in dieser Textsammlung die regulatorischen Aktivitäten, die Schlüsse auf eine neue Richtung beziehungsweise neue Schwerpunktsetzungen des VK zulassen.    

  • Brexit soll zu besserer Regulierung führen

    Zwei Jahre nach dem Austritt aus der Europäischen Union veröffentlicht die britische Regierung ein Policy Paper. Die zukünftige Regulierung soll auf fünf Prinzipien beruhen.

    Die britische Regierung hat stets betont, der Austritt aus der Europäischen Union (EU) bringe viele Vorteile. Zwei Jahre nach dem Austrittstag, und circa 13 Monate seit dem Ende der Übergangsphase, ist allerdings noch nicht jeder Beobachter davon überzeugt, dass die Vorteile die Nachteile überwiegen. Das Papier soll Zweifelnde davon überzeugen, dass dies langfristig der Fall sein wird.

    Die fünf Prinzipien künftiger Regulierung

    Das Papier identifiziert einige Probleme gegenwärtiger Regulierung. Regeln seien häufig zu inflexibel, die Einhaltung sei oft zu teuer und werde auf eine nicht zeitgemäße Art und Weise kontrolliert. So könne das volle Wachstums- und Innovationspotential der britischen Wirtschaft nicht ausgeschöpft werden.

    Die Reform des regulatorischen Rahmens soll vier wirtschaftliche Ziele erreichen: Ermöglichung modernster Technologien, moderne Herangehensweise an regulierungsbezogene Aufgaben, weniger Verwaltungsaufwand für Unternehmen, und schließlich Förderung des Wettbewerbs. Erreichen will man diese Ziele unter Beachtung der folgenden fünf Prinzipien:

    • "A sovereign approach" - Regulierung basiert auf britischem Recht, weicht - wo angemessen - von übernommenen europäischen Vorgaben ab und trägt somit einen unverwechselbar "britischen Stempel". Als ersten Schritt bezeichnet das Papier die Veröffentlichung der Economic Regulation Policy (über Energie, Wasser und Telekommunikation) vom selben Tag.
    • "Leading from the front" - Modere Technologien und neue Märkte sollen mithilfe schneller, geschickter Regulierung erschlossen werden. Dies kann auch experimentelle Regulierung umfassen.
    • Verhältnismäßigkeit - wo immer möglich, sollen Märkte mit einem Minimum an staatlicher Regulierung auskommen. Wenn hingegen Regulierung zu besseren Ergebnissen beiträgt, soll sie nicht nur implementiert, sondern auch effizient überwacht werden.
    • Evaluierung - Folgeneinschätzungen sollen erneuert werden und einem ganzheitlichen Ansatz folgen. Evaluierung wird an Bedeutung gewinnen.
    • Hohe Standards, die auch weltweit durchgesetzt werden sollen.

    Diese Prinzipien sind nicht revolutionär. Aber es dürfte spannend sein zu sehen, wie sie konkret in die Tat umgesetzt werden.

    Regulierung nur wenn erforderlich

    Bereits bei der Entwicklung neuer Regulierung soll künftig eine unabhängige Kontrolle stattfinden, die die Notwendigkeit von Regulierung beurteilt beziehungsweise sinnvolle Alternativen aufzeigt. Hierbei hilft ein spezielles Team, das beim "Better Regulation Executive" angesiedelt ist. Dieser wiederum ist beim britischen Wirtschaftsministerium angesiedelt.

    Ebenfalls erwogen worden war eine "one in, two out" - Regelung, also die Verpflichtung, zwei alte Regulierungen zu streichen, wenn eine neue eingeführt werden soll. Man hat sich aber im Ergebnis dagegen entschieden. Bei der Regulierung der gegenwärtigen technologischen Revolution und dem Erreichen der emissionsfreien Wirtschaft sei eine solche Regelung nicht realistisch, so die britische Regierung.

    Internationale Aspekte der Regulierung

    Die britische Regierung will sich auch international, mit "robuster regulatorischer Diplomatie", engagieren. Man will gemeinsam mit anderen Regierungen, Normungsinstituten und Wirtschaft Lösungen gerade in sich schnell entwickelnden Bereichen der Hochtechnologie finden. Die britische Interessenvertretung soll sich besonders auf langfristig relevante Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen konzentrieren.

    Sorge macht im internationalen Zusammenhang der britische Plan, die Datenschutzthematik aufzugreifen und materielle Änderungen vorzunehmen. Hier steht, je nach konkretem Inhalt der Änderungen, ein Ende des Angemessenheitsbeschlusses der EU-Kommission vom 28. Juni 2021 zu befürchten.  

    Auch die Behörden werden besser

    Nicht nur die Regulierung selbst, sondern auch ihre Implementierung soll besser werden. Rechte und Pflichten der Regulierungsbehörden sollen, wo angemessen, besser adjustiert werden. Sie sollen künftig in einem engeren Dialog mit der Wirtschaft stehen, Rückmeldungen über die Auswirkungen der Regulierung sollen eine Selbstverständlichkeit sein. Potentiell besonders interessant: Man will "kühne, ergebnisorientierte und experimentelle Aktivitäten" der Regulierer sehen, etwa Reallabore oder ähnliche Testumgebungen.  

    Zur Verantwortung ziehen will man Ministerien, die Evaluierungen neuer regulatorischer Aktionen verzögern. Im Regelfall sollen Evaluierungen spätestens nach zwei Jahren stattfinden und die Ergebnisse im Laufe des dritten Jahres veröffentlicht werden. Je nach Stärke der Auswirkungen oder Verfügbarkeit von Daten können aber auch andere Fristen angemessen sein.

    Der neue Umgang mit altem EU-Recht

    Übernommenes EU-Recht wurde gemäß den Vorschriften des European Union (Withdrawal) Act 2018 als "retained EU law" in das britische Recht übernommen. Dort genießt es einen speziellen Status (siehe insbesondere Section 7 des EU (Withdrawal) Act 2018).

    Die Regierung will diesen Status ändern und materielle Änderungen des übernommenen EU-Rechts deutlich erleichtern. Die "Brexit Freedoms Bill" soll dies ermöglichen. Insbesondere sollen viele Vorschriften durch Rechtsverordnung geändert werden können. Nach derzeitigem Recht ist in vielen Fällen ein - deutlich aufwändigeres - Parlamentsgesetz erforderlich. Zum Zeitpunkt dieses Berichts liegt allerdings noch kein Textentwurf vor.

    Zum Thema:

    Von Karl Martin Fischer | Bonn

  • Vereinigtes Königreich plant neues Regime für Produktsicherheit

    Nach dem Brexit kann das Vereinigte Königreich in Sachen Produktsicherheit eigene Wege gehen. Der erste Schritt: eine umfangreiche Konsultation mit Verbänden und Behörden.

    Die Gesetze zur Produktsicherheit sollen fit für das 21. Jahrhundert gemacht werden. Das ist das erklärte Ziel der britischen Regierung. Neue Technologien wie smarte Haushaltsgeräte oder 3D-Druck machen ein Update ebenso notwendig wie der wachsende Online-Handel, der durch die Corona Pandemie nochmals an Bedeutung gewonnen hat.

    Die Gesetzeslage ist veraltet

    Die britischen Vorschriften zur Produktsicherheit basieren weitgehend auf EU-Recht und sind zum Teil mehrere Jahrzehnte alt. Als ersten Schritt für die Überarbeitung hatte das Amt für Produkt- und Sicherheitsstandards (Office of Product Safety & Standards, OPSS), das zum britischen Wirtschaftsministerium gehört, eine öffentliche Konsultation gestartet. Die Ergebnisse wurden nun vorgestellt.

    Die Konsultation gibt wichtige Reformimpulse

    Ziel der Reform ist es, den Rechtsrahmen zukunftsfähig zu gestalten. Verbraucher sollen vor unsicheren Produkten geschützt werden. Risiken und Chancen müssen gleichermaßen berücksichtig werden, sodass ein Ausgleich zwischen Innovation und Gefahren neuer Technologien gelingt.

    Bei der Auswertung der Konsultation identifizierte OPSS folgende Schwerpunkte:

    E-Commerce: Die Einhaltung von Sicherheitsvorschriften und Produktstandards muss sichergestellt werden. Hierzu sollen zum einen Verkäufer, die Online-Plattformen für den Verkauf ihrer Waren nutzen, aber auch die Online Anbieter selbst vermehrt in die Pflicht genommen und die Marktüberwachung in diesem Bereich verstärkt werden. Der Einsatz von digitalen Tools soll die Arbeit der Marktüberwachungsbehörden verbessern.

    Ein weiteres Ziel ist es, Verbraucher durch Informationskampagnen in ihren online Kaufentscheidungen zu unterstützen und sie besser vor unsicheren Produkten zu warnen. Hierzu zählt beispielsweise die Verbesserung der bestehenden Produktsicherheitsdatenbank.

    E-Labelling: Die Möglichkeit für Hersteller, digitale Kennzeichnungen zu verwenden wurde als Möglichkeit beschrieben, sich positiv von der EU abzusetzen, wo eine solche Möglichkeit nicht besteht. Als Vorteile wurden genannt: Reduzierung von Abfall, geringere Kosten und die Möglichkeit zur fortlaufenden Aktualisierung der zur Kennzeichnung gehörenden Informationen.

    Marktüberwachung: OPSS sieht sich selbst in der Rolle einer nationalen Anlaufstelle für Produktsicherheit. In dieser Funktion möchte OPSS die lokalen Überwachungsbehörden unterstützen und Schulungsangebote zu bestimmen Themen unterbreiten. Um besser auf Risiken reagieren zu können, wird OPSS eine strengere, aber agile Methode für Risikomanagement weiterentwickeln.

    Unterstützung für Unternehmen: Unternehmen sollen dabei unterstützt werden, ihre gesetzlichen Verpflichtungen zu erfüllen. Das gilt insbesondere für gebrauchte Waren sowie für Produkte, die von mehreren Behörden reguliert werden. Dabei könnten auch freiwillige Standards eine Rolle spielen, beispielswiese um nachhaltige Produkte zu fördern und die Industrie beim Übergang zu Net Zero zu unterstützen.

    EU Product Safety Pledge: Unterschiedliche Reaktionen gab es bei der Bewertung der freiwilligen Verpflichtungserklärung für mehr Produktsicherheit auf europäischer Ebene. Einerseits wurde die Wirksamkeit in Frage gestellt, zum Beispiel, weil Produkte nach dem Bann oft unter neuer Bezeichnung wieder auftauchen. Andererseits bewerteten einige Akteure die freiwillige Verpflichtung der Online Marktplätze als eine sinnvolle Ergänzung des rein rechtlichen Ansatzes, insbesondere wegen eines Plus an Flexibilität.

    So geht es jetzt weiter

    Basierend auf den Ergebnissen der Konsultation wird die zuständige Behörde OPSS Vorschläge vorlegen. Während einige Aspekte kurzfristig umsetzbar sind, sind für andere weiterreichende Gesetzesänderungen notwendig. Als langfristige und übergreifende Ziele aller Reformbemühungen nennt der Bericht folgende Punkte:

    • Unterstützung von Unternehmen, insbesondere kleinere und mittlere (KMU), ihre rechtlichen Verpflichtungen zu verstehen und den Rechtsrahmen dafür so einfach und konsistent wie möglich zu gestalten. Das aktuelle EU-Regime wird als zu komplex kritisiert.
    • Prozesse und Anforderungen an die Produktsicherheit sollen risikobasierter werden.
    • Fokus auf Auswirkungen des E-Commerce. Hierzu gehört, dass die einzelnen Akteure ihre Verantwortlichkeiten entlang der Lieferkette kennen und sie diese erfüllen.
    • Regelungslücken in Bezug auf neue Technologien und Geschäftsmodelle sollen geschlossen werden.

    Welchen Weg schlägt das Vereinigte Königreich ein?

    Auch die EU überarbeitet aktuell ihren Rechtsrahmen zur Produktsicherheit. Inwiefern beide Regelungssysteme künftig voneinander abweichen werden, wird sich im Laufe der beiden Gesetzgebungsverfahren zeigen. Weicht die zukünftige britische Regulierung zu weit vom EU-Regime ab, könnten sich Nachteile für die britische Wirtschaft ergeben und die Attraktivität des britischen Marktes für ausländische Wirtschaftsbeteiligte darunter leiden. Diese Herausforderung ist den britischen Behörden bewusst. OPSS gibt zu bedenken, dass viele Herausforderungen global bestehen und der künftige Rechtsrahmen daher internationale Herangehensweisen zur Produktsicherheit berücksichtigen sollte.

    Weiterführende Informationen

    Office for Product Safety and Standards: Konsultation und Auswertung

    Von Stefanie Eich, Karl Martin Fischer | Bonn

  • Britische Regierung informiert zum neuen Vergaberecht

    Post Brexit soll die öffentliche Auftragsvergabe einfacher werden. Dazu gab es im Dezember 2020 eine Konsultation. Jetzt hat die Regierung auf den Input der Stakeholder reagiert.

    Aktuell beruhen die Grundlagen des britischen Vergaberechts auf den Regeln der Europäischen Union (EU). Nach dem EU-Austritt gibt es keine Bindung mehr an Vorgaben aus Brüssel. Die britische Regierung hat daher ein komplett neues Regime entworfen. Bemerkenswert: Es soll nur für England gelten, in Schottland, Wales und Nordirland müsste es, wenn gewollt, übernommen werden. In einer weiteren wichtigen Vorbemerkung wird angekündigt, dass mit einer Implementierung der neuen Regeln frühestens 2023 zu rechnen ist.

    Es gibt drei wichtige Prinzipien

    Künftig sollen alle Regeln drei grundsätzlichen Prinzipien dienen: a) Transparenz, b) Diskriminierungsfreiheit sowie c) faire Behandlung der Bieter. Verstöße gegen diese Prinzipien dürften voraussichtlich dazu führen, eine Vergabeentscheidung anfechtbar zu machen.

    Des Weiteren gibt es einige Zielstellungen, die ursprünglich auch als Prinzipien vorgesehen, dann aber "zurückgestuft" wurden: der öffentliche Nutzen, Preis-Leistungs-Verhältnis und Integrität. Hier ist die rechtliche Einordnung dieser Ziele noch nicht vollständig klar.

    Vereinfachung bleibt das wichtigste Ziel

    Hauptziel der Reform ist die Vereinfachung des Rechtsrahmens für das Vergaberecht. Zukünftig soll es nur noch ein einheitliches gesetzliches Regelwerk geben. Nur bei der Vergabe von Aufträgen im Versorgungssektor (z.B. Wasser-, Energieversorgung) kann es auch künftig mehr Flexibilität geben. Dies hat die Regierung ausdrücklich konzediert.

    Im Green Paper, das der Konsultation zugrunde lag, war geplant, die Zahl der zur Verfügung stehenden Verfahren von sieben auf drei zu reduzieren. Dabei soll es bleiben. Es handelt sich dabei um

    • ein flexibles, wettbewerbliches Verfahren als Ersatz für das nicht offene Verfahren, den wettbewerblichen Dialog und das Verhandlungsverfahren,
    • ein offenes Verfahren, und
    • ein beschränktes Ausschreibungsverfahren für Krisensituationen oder besonders dringliche Verfahren. 

    Die Regierung hat zur Erleichterung der Umstellung umfangreiche Hilfestellungen inklusive Vorlagen angekündigt.

    No more MEAT

    Eine weitere, potentiell sehr wichtige Änderung, aus dem Green Paper hat die Konsultation ebenfalls überdauert: MEAT (most economically advantageous tender) wird ersetzt durch MAT (most advantageous tender). Damit haben die ausschreibenden Stellen größere Flexibilität bei der Bestimmung der Erfolgskriterien. Somit können zukünftig zum Beispiel ökologische oder soziale Erwägungen eine gewichtigere Rolle spielen als rein wirtschaftliche.

    Mehr noch: Künftig soll die Regierung sogar die Möglichkeit haben, bestimmte politische Prioritäten als Zuschlagskriterien für öffentliche Aufträge zu erklären. Dies selbst dann, wenn keine Verbindung mit dem Inhalt des Vertrags besteht. Auch dies wäre eine erhebliche Änderung zum Status Quo und würde es der Regierung ermöglichen, über die Vergabe öffentlicher Aufträge ihre politische Agenda zu implementieren.

    Ausschluss von Bietern soll stets für fünf Jahre gelten

    Auch die Regelungen betreffend den Ausschluss von Anbietern von der Vergabe öffentlicher Aufträge soll vereinfacht werden. Ein solcher Ausschluss kann beispielsweise wegen Betrugs, Korruption oder Schlechtleistung erfolgen. Neue Ausschlussgründe sollen Bieter eliminieren, die das Vertrauen der Öffentlichkeit in den öffentlichen Vergabeprozess gefährden. Weitere mittels eines Ausschlusses zu schützende Ziele sind - wenig überraschend - der Schutz der Bevölkerung, der Umwelt und der nationalen Sicherheit.

    Wenn es einen Ausschluss gibt, soll dieser künftig stets fünf Jahre andauern, egal, ob es sich um eine gebundene Entscheidung oder eine Ermessensentscheidung handelt. Weiterhin soll es ein zentrales Register ausgeschlossener Teilnehmer geben, inklusive wegen Schlechtleistung ausgeschlossener Bieter.

    Mehr Transparenz und Rechtsschutz

    In Sachen Transparenz geht der Entwurf deutlich über das aktuelle Recht hinaus: Bei einem Auftragswert von mehr als 2 Millionen Pfund sollen die Vergabestellen künftig verpflichtet sein, die Verträge mit dem erfolgreichen Bieter zu  veröffentlichen. Außerdem müssen sie ihre internen Auswertungsdokumente über den erfolgreichen Bieter den unterlegenen Bietern zur Verfügung stellen. Unterlegene Bieter haben außerdem Anspruch auf die Dokumente, die ihr eigenes Angebot bewerten.

    Betreffend den Rechtsschutz gegen behauptete Verletzungen der Rechte eines Bieters gibt es interessante neue Entwicklungen: So wurde die im Weißbuch noch vorgeschlagene Deckelung von Schadensersatzansprüchen verworfen. Auch die angedachte Schaffung spezieller Vergabegerichte wird wohl nicht kommen. Stattdessen soll das bestehende Verfahren beschleunigt werden.

    Besonders relevant in Sachen Vergaberechtsschutz ist stets die Frage, ob der mit dem erfolgreichen Bieter abgeschlossene Vertrag erfüllt werden kann, wenn ein unterlegener Bieter gegen die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers vorgeht. Normalerweise gilt hier eine automatische Suspendierung des Vertrages bis zur Klärung des Rechtsstreits. Nach der Intention der Regierung kann diese allerdings aufgehoben werden, wenn dies zu wesentlichen Konsequenzen für die verschiedenen betroffenen Interessen führen würde. Besonders relevant dürften hier mögliche Konsequenzen für die Erfüllung öffentlicher Aufgaben sein. Im Ergebnis würde eine solche Regelung den Gerichten aber erheblichen Spielraum bieten.

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    Von Karl Martin Fischer | Bonn

  • Das neue britische Vergaberecht kündigt sich an

    Der König hat das neue Vergabegesetz (Procurement Act 2023) ausgefertigt. Gelten soll es allerdings erst ab Oktober 2024. Das Hauptziel: mehr Flexibilität bei gleicher Wirksamkeit.

    Das Vergaberecht ist ein in der Praxis sehr bedeutendes Rechtsgebiet: Nach seinen Regeln werden im Vereinigten Königreich (VK) aktuell circa 300 Milliarden Pfund im Jahr umgesetzt. Durch den Austritt aus der Europäischen Union (EU) konnte dieses stark von Europarecht beeinflusste Rechtsgebiet nunmehr umfassend – und unabhängig – neu geregelt werden. Hier hinterlässt also gewissermaßen der Brexit eine erste Signatur. Dieser Bericht versucht, sie zu entziffern.

    Prinzipien und Ziele ändern sich

    Die sections (s.) 11 bis 14 des neuen Gesetzes betreffen die Ziele und Prinzipien der Vergabe. Insofern regelt s. 12, dass es um einen guten Gegenwert für das eingesetzte Geld (value for money) geht. Weitere Prinzipien sind Transparenz, Diskriminierungsverbot und Integrität. Nicht mehr ausdrücklich erwähnt wird das Prinzip der Verhältnismäßigkeit, also einer angemessenen Zweck-Mittel Relation. Allerdings gibt es noch immer zahlreiche Einzelnormen, in denen eine verhältnismäßige Vorgehensweise gefordert wird.

    Einen weiteren wichtigen Unterschied zur bisherigen Rechtslage enthält s. 19: dort ist geregelt, dass das „vorteilhafteste Gebot“ (most advantageous tender) den Zuschlag erhalten muss. Bislang war die Rede vom wirtschaftlich vorteilhaftesten Gebot (most economically advantageous tender). Damit dürfte wohl der Preis der Leistung an Bedeutung verlieren. Eine Vergabeentscheidung alleine auf der Grundlage des niedrigsten Preises dürfte jedenfalls künftig kaum mehr möglich sein. Stattdessen hat die ausschreibende Stelle wohl mehr Freiheit, den Zweck des Vertrages zu gewichten und andere wichtige Umstände, zum Beispiel Nachhaltigkeit, zu berücksichtigen.

    Es gibt weniger Verfahren, aber mehr Flexibilität

    Zukünftig wird es statt der bisherigen sechs Verfahrensarten (siehe zum Beispiel § 119 GWB) nur noch zwei geben: ein einstufiges, offenes Verfahren, und ein flexibles, wettbewerbliches Verfahren (siehe s. 20 Absatz 2). Letzteres gibt der ausschreibenden Stelle die Möglichkeit, ein individuelles Verfahren zu entwerfen und auf die Bedürfnisse des Einzelfalls abzustimmen. Dabei muss sie immer darauf achten, dass das Verfahren ein angemessenes Mittel für die Beschaffung ist, besonders in Bezug auf das Wesen, die Komplexität und die Kosten des zu vergebenden Vertrages (s. 20 Absatz 3). 

    Das dynamische Beschaffungssystem (dynamic purchasing system; s. 34 ff.) wird in seinem Anwendungsbereich ausgeweitet und steht künftig nicht mehr nur für die Beschaffung marktüblicher Standardleistungen zur Verfügung. Weitere Details hierzu folgen in den Ausführungsbestimmungen zum neuen Gesetz.

    Auch im Hinblick auf eine Modifikation der Ausschreibung gewährt das neue Recht mehr Flexibilität: s. 31 erlaubt beispielsweise für das offene Verfahren eine Verlängerung der Bieterfrist, für das flexible Verfahren darüber hinaus sogar materielle Änderungen an der Ausschreibung, sofern diese nicht substantiell sind. Bei letzteren wird unter bestimmten Voraussetzungen auch eine Präzisierung und Neugewichtung der Zuschlagskriterien ermöglicht, allerdings löst dies immer die Pflicht zu einer Neuveröffentlichung aus. 

    Auch künftig können Bieter ausgeschlossen werden

    Für den - zwingenden oder im Ermessen der Behörde stehenden - Ausschluss von Bietern aus dem Verfahren (s. 26 ff.) gibt es in den Anhängen 6 und 7 des Gesetzes eine Aufzählung von Gründen. Liegen bei einem Bieter die Voraussetzungen des Anhang 6 vor, ist er ein „excluded supplier“, bei Anhang 7 ein „excludable supplier“.

    Neu in diesem Zusammenhang ist die Einführung einer „schwarzen“ Liste („debarment list“, s.62). Diese Liste ist öffentlich. Gegen die Aufnahme in die Liste gibt es für den betroffenen Bieter Rechtsmittel (s. 63 ff). Dies ist wichtig, insbesondere weil einige der Ausschlussgründe in Anhang 7 recht weit formuliert sind („poor performance“; „acting improperly in procurement“). 

    Was es sonst noch Neues gibt

    Für bestimmte Verfahren gibt es künftig (mindestens drei) Key Performance Indicators, deren Erfüllung jährlich kontrolliert und veröffentlicht wird. 

    Direktvergaben werden weiterhin die Ausnahme bleiben, aber etwas leichter möglich, insbesondere wenn ein Minister entscheidet, dass schnelles Handeln erforderlich ist, um menschliches, tierisches oder pflanzliches Leben und Gesundheit sowie die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu schützen. Dies ist eine leichte Erweiterung der bisherigen Ausnahme, die sicherlich den Erfahrungen während der Pandemie geschuldet ist.

    Das neue Recht gilt ab sofort, wird aber erst ab Oktober 2024 angewandt und muss noch durch viele Durchführungsbestimmungen ergänzt werden, bevor es endgültig wirksam werden kann. Bis dahin eingeleitete Vergabeverfahren werden noch nach dem bisherigen Recht abgewickelt.

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    Von Karl Martin Fischer | Bonn

  • Britisches Handelsregister soll (noch) besser werden

    Die britische Regierung hat ein Weißbuch veröffentlicht, in dem sie ihre Vorstellungen für ein transparenteres und effizienteres Handelsregister (Companies House) vorstellt.

    Das Weißbuch ist das Ergebnis eines ausführlichen Konsultationsprozesses, der schon im September 2020 begonnen hat. Einige der dort enthaltenen Vorschläge deuten einen Paradigmenwechsel hinsichtlich Funktion und Aufgaben des Registers an.

    Es gibt im Wesentlichen zwei Ziele: zum einen soll das Companies House moderner und digitaler werden, und damit letztlich auch noch verlässlicher. Zum anderen soll es in die Lage versetzt werden, bei der Erreichung der Ziele der Regierung zu unterstützen. Zu nennen sind insofern die Bekämpfung von Wirtschaftsstraftaten, insbesondere Geldwäsche, und die Schaffung eines sicheren, mit vertrauenswürdigen Informationen ausgestatteten Wirtschaftslebens.

    Nachfolgend eine kurze Auswahl der am relevantesten erscheinenden Pläne. Natürlich ist nicht garantiert, dass sie alle eins zu eins so umgesetzt werden. Aber an der grundsätzlichen Richtung dürfte sich nicht mehr viel ändern.

    Das Register soll Informationen hinterfragen

    Ein das britische Handelsregister führender „Registrar“ tut bislang genau das und nicht mehr: er führt das Register, nimmt Informationen entgegen oder mahnt sie, falls erforderlich, an. Die Informationen werden dann an der richtigen Stelle genutzt, manchmal öffentlich, manchmal nur vertraulich.

    Nach den vorgelegten Plänen soll der Registrar künftig außerdem das Recht erhalten, solche Informationen auch inhaltlich zu überprüfen und zu hinterfragen. Dafür muss es einen sachlichen Grund geben: ein Irrtum, eine Ungenauigkeit oder sonstige Abweichung von der Norm. Im Hintergrund mag Betrug oder eine andere Straftat zu befürchten sein, oder ein negativer Einfluss auf die Integrität des Registers oder das Vertrauen im Geschäftsleben.

    Dieses Recht soll sich auf bereits vorhandene Unterlagen beziehen. Für die Praxis besonders spürbar dürfte jedoch das Recht sein, eingereichte Unterlagen zurückzuweisen, wenn das Register begründete Verdachtsmomente sieht. Quelle solcher Verdachtsmomente können Informationen sein, die in anderen Registern oder bei anderen Behörden, inklusive Strafverfolgungsbehörden, gespeichert sind. Insofern soll es Erleichterungen beim Zugriff auf solche Informationen und beim Datenabgleich geben.   

    Identitäten sollen verifiziert werden

    Das Companies House soll ein Programm für eine digitale Identitäts-Verifizierung entwickeln. So soll die Genauigkeit und Verlässlichkeit der gespeicherten Informationen weiter verbessert werden.

    Egal welche Rechtsform, zu jedem eingetragenen Unternehmen muss mindestens eine natürliche Person gehören, deren Identität verifiziert ist. Überdies sollen insbesondere die geschäftsführenden Personen von Kapitalgesellschaften, die Partnerinnen und Partner in LLP’s („Limited Liability Partnership“), aber auch wirtschaftliche Eigentümer und andere Personen, die im Companies House Unterlagen einreichen, dort ein Konto einrichten müssen. Damit verknüpft werden soll ebenfalls eine Verifizierung der Identitäten dieser Personen. Auch ausländische Gesellschaften soll die Pflicht treffen, die Direktoren zu registrieren und zu verifizieren.

    Sofern verifizierungspflichtige Personen gegen diese Pflicht verstoßen, werden Geldstrafen diskutiert, oder auch eine öffentliche Kenntlichmachung dieser Tatsache. So sollen sich dann die Nutzenden ihr eigenes Urteil über die Vertrauenswürdigkeit des betroffenen Unternehmens bilden können.

    Schwere Zeiten für „Corporate Directors“

    Bei so genannten „Corporate Directors“ handelt es sich um Direktoren (also Geschäftsführer) britischer Kapitalgesellschaften, die aber keine natürlichen Personen, sondern ihrerseits selbst Gesellschaften sind. Gegenwärtig sind solche Corporate Directors möglich, solange zumindest ein Direktor eine natürliche Person ist. Wichtig dabei: Sie können auch aus anderen Ländern kommen, zum Beispiel aus Ländern, in denen das Handelsregister keine oder kaum Transparenzpflichten vorsieht.

    Künftig soll die Nutzung von Corporate Directors eingeschränkt werden. Die britische Regierung erwägt folgende Anforderungen: Es muss sich um eine britisch registrierte Gesellschaft handeln, und alle Direktoren dieser Gesellschaft sind natürliche Personen, deren Identität verifiziert wurde (siehe oben).  

    Mehr Transparenz und mehr Datenschutz

    Zusätzlich zu der – noch aus EU-Zeiten stammenden – Pflicht zur Registrierung so genannter PSC’s („People with Significant Control“, also wirtschaftliche Eigentümer) bereits seit 2016, soll eine weitere wichtige Transparenzpflicht geschaffen werden. Zukünftig sollen Kapitalgesellschaften eine Pflicht zur Benennung ihrer Anteilseigner haben. Für private Kapitalgesellschaften soll dies uneingeschränkt gelten, für öffentlich gehandelte, sofern die Anteilseigner mehr als 5 Prozent der Anteile halten. Hierzu soll die Gesellschaft eine einmalige „Eröffnungs“-Liste einreichen und danach jährlich über Änderungen berichten.

    Die Verfügbarkeit von Informationen über gelöschte Gesellschaften soll verbessert werden. Geplant ist eine 20-jährige Verfügbarkeit solcher Informationen, und zwar kostenlos und frei verfügbar.

    Andererseits kann es hier und da auch ein „Weniger“ an Transparenz geben, nämlich im Zusammenhang mit persönlichen Daten. Direktoren und wirtschaftliche Eigentümer sollen unter einfacheren Voraussetzungen als bisher das Recht haben, der Öffentlichkeit bestimmte Informationen vorzuenthalten. In solchen Fällen sollen Anfragende ein berechtigtes Interesse an den begehrten Informationen nachweisen müssen, um sie zu erhalten. Gelingt dies nicht, bleiben sie, genau wie die generelle Öffentlichkeit, insofern im Dunkeln.

    Zum Thema:

    Von Karl Martin Fischer | Bonn

  • (Noch) mehr Transparenz für das britische Handelsregister

    Ein neues Gesetz sorgt dafür, dass das britische Firmenregister (Companies House) bald mehr Funktionen übernimmt. Auch für die Limited Partnership gibt es wichtige Neuerungen.

    Der Economic Crime and Corporate Transparency Act (ECCTA) 2023 ist Ende Oktober in Kraft getreten. Ziel ist – der Name verrät es – die Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität und die Verbesserung von Transparenz im Wirtschaftsleben. Das Gesetz ergänzt den Economic Crime (Transparency and Enforcement) Act 2022, der bereits seit einiger Zeit gilt. Dieser Bericht fokussiert sich auf die Änderungen der Aufgabe des Companies House und der Limited Liability Partnership (LLP). 

    Companies House möchte bald mehr wissen

    Das britische Gesellschaftsregister ändert seinen Charakter und wird von einer rein passiven Registerbehörde zu einem aktiven Informationsmanager. So soll es der organisierten Kriminalität und dem Terrorismus erschwert werden, britische Gesellschaften für ihre Zwecke zu missbrauchen. Erklärtes Ziel: das Register hat eine neue Funktion bei der Entdeckung und Berichtigung falscher oder fehlender Informationen. Näheres dazu regelt die neue section (s.) 1081A des Companies Act 2006 (CA 2006). 

    So muss künftig die Identität aller Direktoren, aller wirtschaftlichen Eigentümer und aller Personen, die mit dem Companies House kommunizieren, verifiziert werden (ss. 790LM ff. CA 2006). Die Verifizierung erfolgt gegenüber Companies House direkt oder vermittels eines „Authorised Corporate Service Providers“ (ACSP) vermittels der Vorlage von Ausweisdokumenten, zum Beispiel eines Reisepasses. Dies gilt, wenn eine Gesellschaft neu gegründet wird – in diesem Fall muss die Verifikation der Direktoren erfolgt sein, bevor die Gesellschaft registriert werden kann. Die Verifikation der wirtschaftlichen Eigentümer erfolgt direkt danach. Es gilt aber auch für bereits eingetragene Gesellschaften, allerdings mit einer Übergangsphase, deren Beginn und Ende derzeit noch nicht festgelegt sind. Gesellschaften und Personen ohne die erforderliche Verifikation begehen eine Ordnungswidrigkeit (s. 790LT CA 2006).

    In dieselbe Richtung geht die neue Möglichkeit, aktiv zu überprüfen, zu hinterfragen und weitere Dokumente anzufordern, wenn Zweifel hinsichtlich der Echtheit oder Authentizität der eingereichten Dokumente bestehen. So können Dokumente abgelehnt werden, wenn sie im Widerspruch zu anderen registerbekannten Informationen stehen (s. 1073A CA 2006). Das Companies House kann künftig auch Dokumente leichter aus dem Register entfernen (ss. 1094 ff CA 2006). Gesellschaften, die keinen Rechtssitz (registered office) angeben, oder statt eines Rechtssitzes ein Postfach, oder keine offizielle Mailadresse (registered e-mail address; vergleiche s. 88A CA 2006) benannt haben, begehen eine Ordnungswidrigkeit.

    Die Pflichten zur Verifizierung der Identität der Geschäftsführer sowie zur Benennung einer Postadresse und einer offiziellen Mailadresse bestehen nicht nur für britische Gesellschaften, sondern auch für Niederlassungen ausländischer Gesellschaften (overseas companies), die im Handelsregister eingetragen sind (s. 1048A & 1048B CA 2006). Das Nähere bestimmen noch zu erlassende Verordnungen. 

    Vielleicht besonders weitgehend ist die Vorschrift des neuen s. 1110D des Companies Act 2006. Sie ermächtigt die Regierung eine Verordnung zu erlassen, die Geschäftspartner – sogar während der Geschäftsanbahnungsphase – dazu zwingen kann, Informationen über den anderen Geschäftspartner zu sammeln. Der Zweck ist der Abgleich solcher Informationen mit denjenigen, die im Register vorhanden sind. In vielen Fällen werden solche Geschäftspartner Grundstücksmakler sein, aber der Wortlaut ist ausdrücklich nicht auf solche beschränkt. 

    ... auch über Limited Partnerships 

    Die Behandlung der Limited Partnerships (vergleichbar der deutschen Kommanditgesellschaft) wird künftig mehr an diejenige anderer Gesellschaftsformen angeglichen. Sie werden im Register künftig zusätzliche Angaben machen müssen (siehe vor allem die ss. 8E bis 8W des Limited Partnerships Act (LPA) 1907). Insofern gilt, dass sie künftig Namen, Geburtsdatum und Wohnsitz der Partner angeben müssen. Die Identität des „general partner“ (vergleichbar mit dem Komplementär) muss verifiziert werden, es muss ein Rechtssitz innerhalb des Vereinigten Königreichs angegeben und ein standard industrial classification (SIC) – Code benannt werden. Auch muss künftig, wie bereits bei anderen Gesellschaftsformen, ein „annual confirmation statement“ abgegeben werden (s. 10D LPA 1907), also eine jährliche Erklärung an das Register mit den aktuellen Informationen über die Gesellschaft. Schließlich wird es mehr Transparenz geben (ss. 16 ff. LPA 1907), auch für die Steuerbehörde (s. 10G LPA 1907).  

    Es wird teurer 

    Die erweiterten Aufgaben und Befugnisse von Companies House führen natürlich auch zu Mehraufwand und damit Mehrkosten. Diese sollen ab Anfang 2024 durch gestiegene Verwaltungsgebühren auf die Nutzerinnen und Nutzer abgewälzt werden. Außerdem gibt es ein neues „civil penalty“ Verfahren, das es Companies House ermöglichen wird, selbst Geldbußen bis zu 10.000 Pfund zu verhängen. Bislang musste man stets den Rechtsweg bestreiten.

     

    Einige der geschilderten Maßnahmen, zum Beispiel die Verifizierung der Identitäten, bedürfen noch weiterer Ausführungsbestimmungen und organisatorischer Vorbereitung durch Companies House. Für andere Maßnahmen, zum Beispiel das Recht, Dokumente zu hinterfragen, aus dem Register zu entfernen oder die Benennung einer registered e-mail address, gilt dies nicht. Hier wird mit einem Inkrafttreten bereits für Anfang 2024 gerechnet.

    Zum Thema: 

    Von Karl Martin Fischer | Bonn

  • Anerkennung von Berufsqualifikationen in UK neu geregelt

    Für viele Berufe gelten bestimmte Qualifikationserfordernisse. Bei grenzüberschreitender Tätigkeit mussten sie bislang noch nach europäischen Regeln anerkannt werden.

    Am 28. April 2022 hat der neue britische „Professional Qualifications Act 2022“ den Segen der Krone erhalten. Wesentliche Teile des Gesetzes sind damit direkt in Kraft getreten, andere folgen in einigen Monaten. Das neue Gesetz ersetzt die „European Union (Recognition of Professional Qualifications) Regulations 2015“ und hebt sie gleichzeitig auf. Damit gilt jetzt ein einheitliches Anerkennungssystem für alle Antragstellenden aus allen Ländern. Mit insgesamt nur 22 Artikeln ist das Gesetz sehr schlank gehalten. Die wesentlichen Regelungen werden sich aus Satzungen/Rechtsverordnungen ergeben.

    Zentrale Rolle für die Berufsorganisationen

    Besonders auffällig in der neuen Regelung ist die Betonung der Aufgaben und Kompetenzen der britischen Berufsorganisationen, zum Beispiel das „Architects Registration Board“ oder das „General Medical Council“.

    Anerkennung nach Bedarf

    Wenn im Vereinigten Königreich (VK) an einer bestimmten qualifizierten Dienstleistung ein Bedarf existiert, darf die zuständige britische Berufsorganisation ausländische Berufsqualifikationen ganz oder teilweise anerkennen. In der Sprache des Gesetzes würden die Antragstellenden so behandelt, als hätten sie eine britische Qualifikation oder im VK erworbene Erfahrung.

    Die Frage, ob unbefriedigter Bedarf existiert oder nicht, wird von der britischen Regierung oder den örtlichen Regierungen in Wales, Schottland oder Nordirland entschieden. In vielen Fällen wird sich ein solcher Bedarf schon daraus ergeben, dass eine bestimmte Dienstleistung auf der „shortage occupation list“ aufgeführt ist. Aber auch qualifizierte Dienstleistungen, die dort nicht aufgeführt sind, können erfasst sein.

    Eine weitere Voraussetzung für eine solche Entscheidung ist eine Berufsqualifikation der Bewerber aus dem Herkunftsstaat. Diese muss entweder im Wesentlichen gleichwertig sein oder, falls es gewisse Lücken gibt, durch eine teilweise Nachqualifizierung gleichwertig gemacht werden.   

    Internationale Vereinbarungen

    Außerdem erhalten sie das Recht, Verordnungen zur Implementierung internationaler Anerkennungsvereinbarungen zu erlassen. Dies wären Vereinbarungen, die die britische Regierung, häufig in Form eines internationalen Vertrages, mit ausländischen Regierungen abschließt. Insofern würde sich die Aufgabe der Berufsorganisationen auf die verwaltungstechnischen Themen beschränken, zum Beispiel die interne Zuständigkeitsverteilung, Fragen des Datenschutzes oder der Erhebung von Gebühren.

    Ebenfalls ermöglicht wird der Abschluss von Anerkennungsvereinbarungen mit entsprechenden Behörden der anderen Länder durch die Behörden selbst. Hier wäre also die britische Berufsorganisation Partei einer Vereinbarung mit einer ausländischen Berufsorganisation. Solche Vereinbarungen sind in einigen Freihandelsabkommen vorgesehen, so auch im Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich (dort Artikel 158 und Anhang 24).

    Transparenz durch ein „Assistance Centre“

    Section 7 des neuen Gesetzes sieht ein Assistance Centre vor, das Interessierten aus dem Ausland Informationen zu den Zugangsvoraussetzungen zu britischen regulierten Qualifikationen gibt. Gleichzeitig soll es auch britischen Interessenten Informationen zu ausländischen Anforderungen an die Berufsausübung in regulierten Professionen geben. 

    Zudem sind alle Berufsorganisationen verpflichtet, umfangreiche Informationen auf einer Website bereitzuhalten und ständig aufzudatieren (section 8). Weitere Vorschriften befassen sich mit der Weitergabe von Informationen an ausländische Berufsorganisationen. Eine solche Weitergabe wird bei Anträgen auf grenzüberschreitende Anerkennung einer Qualifikation unvermeidlich sein. Sie soll unter Beachtung geltender Datenschutzstandards erfolgen, die für Behörden gelten, die gesetzliche Aufgaben erfüllen.  

    Die hier genannten Normen treten mit Verzögerung in Kraft: section 7 gemäß Rechtsverordnung der Regierung, section 8 am 29. Oktober 2022.

    Zum Thema:


    Von Karl Martin Fischer | Bonn

  • Britische Regierung konsultiert zu Neuerungen im Arbeitsrecht

    Das Vereinigte Königreich ist nicht mehr an die Regeln der EU gebunden. Wie die neu gewonnene Freiheit genutzt werden soll, deutet für den Bereich des Arbeitsrechts ein Konsultationspapier an.

    Weniger Bürokratie in Sachen Arbeitszeit

    Das heutige britische Arbeitszeitrecht (Working Time Regulations 1998) basiert weitgehend auf europäischem Recht. Als britische Besonderheit gibt es lediglich ein "opt-out", also die Möglichkeit für die Vertragsparteien, freiwillig auf die Einhaltung der Höchstarbeitszeit von 48 Stunden pro Woche zu verzichten.

    Die Regierung will die relevantesten Vorschriften beibehalten, insbesondere die Regeln zu Höchstarbeitszeit, Mindestpausen und Mindesturlaub. Einen Abbau von Arbeitnehmerrechten oder gar Sozialdumping soll es nicht geben.

    Allerdings soll Bürokratie in Form von Aufzeichnungspflichten abgebaut werden. Besonders relevant wird dieses Thema durch das Urteil des EuGH zur Arbeitszeiterfassung vom 14. Mai 2019, in dem eine umfassende Aufzeichnung der Arbeitszeit gefordert wird. Demgegenüber schlägt die britische Regierung vor, Aufzeichnungspflichten bezüglich der täglichen Arbeitszeit generell aufzuheben. So soll überflüssige Bürokratie abgebaut werden. Außerdem verspricht man sich von dieser Maßnahme eine Förderung der vertrauensvollen Zusammenarbeit von Arbeitgebenden und Mitarbeitenden.

    Urlaubsentgelt soll unkomplizierter werden

    Das britische Recht gewährt allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einen Anspruch von 5,6 Wochen pro Urlaubsjahr, das entspricht 28 Tagen, gerechnet auf eine 5-Tage-Woche. Davon sind vier Wochen gesetzlicher Mindesturlaub und dieser Anspruch resultiert aus europäischem Recht. Die anderen 1,6 Wochen sind hingegen vom europäischen Recht nicht gefordert. Sie resultieren aus einer Entscheidung des britischen Gesetzgebers.

    Hinsichtlich der Berechnung des während des Urlaubs zu zahlenden Entgelts unterscheiden sich die beiden Urlaubstypen. Außerdem kann nur der zusätzliche Urlaubsanspruch in das Folgejahr übertragen werden.

    Die britische Regierung plant, einen einheitlichen Urlaubsanspruch von 5,6 Wochen pro Jahr zu schaffen. Das während des Urlaubs zu zahlende Entgelt wird ebenfalls einheitlich, wobei zur Berechnung noch keine Pläne existieren – hierzu soll die Konsultation Vorschläge sammeln. Unverändert soll aber wohl bleiben, dass nur 1,6 Wochen Urlaub in das Folgejahr übertragen werden dürfen.

    Ein anderer Änderungsvorschlag betrifft eine ursprünglich in Großbritannien verbreitete Praxis, die der EuGH allerdings für unvereinbar mit europäischem Recht erklärt hat: die Einbeziehung des Entgelts für den Jahresurlaub in das reguläre Gehalt ("rolled-up holiday pay"). Das europäische Recht fordert demgegenüber die gesonderte Berechnung eines Entgelts für den Urlaubszeitraum, Berechnungsgrundlage ist dabei das durchschnittliche Gehalt innerhalb eines bestimmten Referenzzeitraums vor dem Urlaub. Die britische Regierung schlägt vor: Rolled-up Holiday Pay soll wieder möglich sein.

    Vereinfachungen für kleine Unternehmen bei Betriebsübergang

    In Sachen Betriebsübergang kennt das Vereinigte Königreich die Transfer of Undertakings (Protection of Employment) Regulations 2006. Auch diese basieren auf europäischem Recht und auch hier soll der Schutzstandard nicht verschlechtert werden. Erleichterungen für die Arbeitgeberseite soll es allerdings bei den Konsultationen mit den Mitarbeitenden geben. Bislang dürfen diese nur mit gewählten Repräsentanten geführt werden und nicht mit den Mitarbeitenden direkt. Eine Ausnahme gibt es nur für Unternehmen mit weniger als 10 Mitarbeitenden. Gemäß dem Vorschlag der Regierung sollen künftig Unternehmen mit bis zu 50 Mitarbeitenden von dieser Ausnahme profitieren dürfen.

    Die Konsultation betreffend Arbeitszeiterfassung, Urlaubsentgelt und Betriebsübergang ist derzeit offen. Eine Beteiligung ist noch bis 7. Juli 2023 möglich.

    Nachvertragliches Wettbewerbsverbot nur noch für drei Monate

    Beim nachvertraglichen Wettbewerbsverbot geht es nicht um Überreste europäischen Rechts, sondern um englisches Common Law. Dieses Thema hat die britische Regierung in einer getrennten und bereits abgeschlossenen Konsultation aus dem Jahr 2020 behandelt.

    Ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot ist eine Vereinbarung zwischen den Parteien eines Arbeitsvertrages. Es besagt, dass bei einer Kündigung durch die Arbeitnehmerseite eine mit dem bisherigen Arbeitgeber konkurrierende Tätigkeit für einen bestimmten Zeitraum verboten sein soll.

    Anders als in Deutschland ist in einem solchen Fall nach englischem Recht keine verpflichtende Karenzentschädigung zu zahlen. Die Wirksamkeit eines solchen Verbots ist nur im Einzelfall zu bestimmen. Entscheidend ist, ob es die Interessen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite angemessen berücksichtigt. Damit einher geht immer ein gewisses Maß an Rechtsunsicherheit.

    Künftig können nachvertragliche Wettbewerbsverbote nur für eine Dauer von maximal drei Monaten wirksam vereinbart werden. Auf diese Weise will man den Wettbewerb stimulieren, die Schaffung neuer Stellen befördern und Innovationen ermöglichen. Noch nicht beantwortet wurde allerdings die wichtige Frage, ob diese Regelung nur für die Zukunft gilt, oder ob auch in der Vergangenheit vereinbarte Verbote erfasst werden. Fest steht hingegen: dem Erfordernis der Angemessenheit ist auch dann Rechnung zu tragen, wenn das Verbot nur für bis zu drei Monate gelten soll. Eine Garantie für die Wirksamkeit einer Wettbewerbsklausel gibt es also auch zukünftig nicht.

    Zum Thema:

    Von Karl Martin Fischer | Bonn

  • Britische Regierung will für bessere Regulierung sorgen

    Das „smarter regulation“ Programm ist ein breit gefächertes Maßnahmenbündel. Mit ihm will die britische Regierung Wachstum und Innovation erleichtern.

    Ein Jahr nach der Veröffentlichung des Policy Papers mit dem Titel „Smarter Regulation to grow the Economy“ veröffentlicht die britische Regierung eine Sammlung mit aktuellen Informationen und Materialien zur Thematik. Besonders zwei Aspekte sollen hier von Interesse sein: zum einen einige Vorschläge für materielle Änderungen, vor allem im Arbeitsrecht und im Handelsvertreterrecht, zum anderen die allgemeinen Leitlinien, die künftig das Handeln der Regulierungsbehörden bestimmen sollen.

    Drei Leitlinien für Regulierung …

    Drei wichtige Leitprinzipien stehen dieser Initiative voran: erstens, die Reduzierung des bürokratischen Aufwandes durch moderne und zukunftsfeste Regulierung. Zweitens, das Prinzip der Subsidiarität von Regulierung. Diese soll nicht das Mittel der Wahl sein, sondern nur als letztes Mittel zum Einsatz kommen. Drittens sollen Regulierung selbst und die implementierenden Behörden eine funktionierende „regulatory landscape“ erschaffen, in der sich Unternehmen gut zurechtfinden.

    Vor allem mit der dritten Säule befasst sich das aktuelle Papier. Zunächst definiert es, was eine Regulierungsbehörde ist und identifiziert anhand dieser Definition ca. 55 solcher Behörden. Außerdem wird ein gewisses Maß an organisatorischer Eigenständigkeit vorausgesetzt. Beispiel für solche Behörden sind etwa die Luftsicherheitsbehörde Civil Aviation Authority oder auch der Health & Safety Executive (Arbeitsschutz). 

    Weiterhin verspricht das Papier bis Herbst 2024 ein abschließendes Register der Regulierungsbehörden, das dann zu einem späteren Zeitpunkt zu einem One-Stop-Shop für Antragstellende entwickelt werden soll. Dann hätten Unternehmen nur noch einen Kontaktpunkt, über den sie mit den Regulierungsbehörden kommunizieren. 

    … und zehn Prinzipien für die Regulierungspraxis

    Das Papier stellt zehn Prinzipien vor, an die alle Regulierungsbehörden gebunden sein sollen: 

    1. Klarheit und Transparenz: So sollen Behörden Auskunft geben, welche Regulierung einschlägig ist und welche Schritte man einleiten muss, um sie zu befolgen.
    2. Der Blick nach außen: Man soll auch von ausländischen Regulierern lernen und, wo angemessen, ausländische Erlaubnisse anerkennen.
    3. Mut zum Risiko
    4. Verhältnismäßigkeit
    5. Innovationsoffenheit
    6. Zusammenarbeit mit anderen Regulierern, um unnötige Schleifen zu vermeiden
    7. Zügige und proaktive Kommunikation mit den Betroffenen
    8. Laissez-faire und Selbst-Zertifizierung, wo angemessen
    9. Ausreichende (Weiter-)Bildung der Mitarbeitenden in den Behörden
    10. Bei der Implementierung von Regel: Verständnis für die konkreten Auswirkungen vor Ort.

    Änderungen im materiellen Recht sollen folgen

    Ebenfalls unter dem Schlagwort „smarter regulation“ eröffnet die Regierung Konsultationen zu Änderungen des materiellen Rechts. Zum einen geht es im Arbeitsrecht um einige Klarstellungen der arbeitsrechtlichen Folgen eines Betriebsübergangs. Außerdem sollen die Regeln betreffend europäische Betriebsräte abgeschafft werden. In einer weiteren Konsultation geht es um eine Thematik, die schon seit langem als heiße Kandidatin für Änderungen post-Brexit gilt: das Handelsvertreterrecht. Hier wurden mit den Commercial Agents Regulations - in Umsetzung der europäischen Handelsvertreterrichtlinie - Regelungen eingeführt, die schon seit langer Zeit von vielen Kommentatoren als dem englischen Rechtsverständnis zuwiderlaufend kritisiert wurden. Besonderer Stein des Anstoßes sind die zahlreichen Vorschriften, die nicht abdingbar sind. Hier sind beispielsweise der Anspruch auf einen schriftlichen Vertrag, Regelungen betreffend die Fälligkeit der Kommission oder die Festlegung von Mindestkündigungsfristen zu nennen. Besondere Prominenz hat insofern der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters bei Beendigung des Vertrages. Die Regierung schlägt vor, das Handelsvertreterrecht weitgehend zu deregulieren.   

    Beide Konsultationen sind bis 11. Juli 2024 offen für Beteiligungen. 

    Zum Thema:

    Von Karl Martin Fischer | Bonn

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