Wirtschaftsausblick | Vereinigtes Königreich
Britische Konjunktur nimmt Fahrt auf
Die Konjunkturprognosen für das Vereinigte Königreich sind besser als für den Euroraum. Werden sie wahr, dürften auch die geplanten Steuererhöhungen zuträglicher werden.
12.12.2024
Von Marc Lehnfeld | London
Top-Thema: Haushaltspläne stoßen auf Kritik
Nach dem euphorischen Sieg der Labour-Partei im Juli 2024 steht Finanzministerin Rachel Reeves nun vor der Herausforderung, die schwierige fiskal- und wirtschaftspolitische Lage zu meistern. Sie muss nicht nur den angeschlagenen Staatshaushalt sanieren, der nach Brexit und Corona eine Verschuldung von rund 100 Prozent aufweist. Zeitgleich muss sie auch das Wirtschaftswachstum der Insel ankurbeln.
Ihre erste Haushaltsrede wurde von einem Paukenschlag begleitet: Mit verschiedenen Maßnahmen will Reeves die Steuereinnahmen um jährlich umgerechnet 47 Milliarden Euro erhöhen. Der größte und schmerzhafteste Punkt für die Wirtschaft sind Änderungen bei den Sozialabgaben: Ab dem nächsten Fiskaljahr steigt der Arbeitgeberbeitrag zur Sozialversicherung von 13,8 auf 15 Prozent, die Beitragsschwelle sinkt von circa 11.000 Euro auf etwa 5.400 Euro. Die überraschten Verbände reagierten mit einhelliger Kritik an der Erhöhung der Arbeitskosten. Die britische Handelskammer betonte, dass die Beitragserhöhungen Investitionen und Neueinstellungen kurzfristig erschweren.
Seitdem bemüht sich die Finanzministerin um Schadensbegrenzung und verspricht, auf weitere Steuererhöhungen zu verzichten. Mit rund 75 Milliarden Euro zusätzlichen Ausgaben will sie nun nicht nur das Haushaltsdefizit ihres Vorgängers ausgleichen, sondern auch das Wirtschaftswachstum anschieben. Milliardenschwere Subventionen sollen in die Dekarbonisierung des Landes, vor allem aber in den National Wealth Fund, fließen. Dieser wiederum fördert zum Beispiel Gigafactories, den Hafenausbau, Wasserstoffprojekte, die CO2-Abscheidung und grünen Stahl.
Wirtschaftsentwicklung: Konjunktur zieht in schwierigem Umfeld an
Im internationalen Vergleich sind die britischen Wachstumsaussichten gut. Laut Prognose des Internationalen Währungsfonds liegt das Wirtschaftswachstum des Vereinigten Königreichs 2024 mit 1,1 Prozent im Mittelfeld der G7-Staaten und damit vor der Eurozone (0,8 Prozent). Im Jahr 2025 wird das BIP des Königreichs mit 1,5 Prozent sogar auf dem dritten Platz hinter Kanada und den USA erwartet.
Die Analysten von Oxford Economics hatten noch im November ihre BIP-Prognose für 2025 leicht von 1,5 auf 1,4 Prozent abwärts korrigiert. Insgesamt bleibt der konjunkturelle Ausblick wegen zahlreicher globaler Einflussfaktoren stark risikobehaftet. Löst beispielsweise der designierte US-Präsident Donald Trump sein Wahlversprechen höherer Importzölle auf breiter Ebene ein, würde das die ohnehin gebeutelte britische Industrie treffen. Hinzu kommen die unklare Entwicklung im Ukraine-Krieg und die konjunkturelle Schwäche Chinas.
Immerhin sehen die Analysten von Oxford Economics die hochinflationäre Phase als überwunden. Sinkende Energiepreise verringern den Preisdruck für Unternehmen. Da steigende Löhne jedoch weiterhin die Dienstleistungspreise anheizen, wird die Inflation im nächsten Jahr leicht auf 2,6 Prozent steigen, bevor die Dynamik in den Folgejahren nachlässt. Die stabilisierte Inflation erlaubt der britischen Zentralbank Bank of England deshalb, den Leitzins von aktuell 4,75 Prozent schrittweise auf 3,75 Prozent bis zum Ende des nächsten Jahres zu senken. Von den steigenden Löhnen profitiert der Privatkonsum, der um 1,7 Prozent steigen wird.
Wachstumstreiber im Jahr 2025 wird der Staatskonsum, der nach den in der Haushaltsrede angekündigten Ausgabenerhöhungen um 2,9 Prozent zulegen wird. Die Industrie erholt sich von den Produktionsrückgängen der letzten Jahre und dreht mit einem Anstieg um 0,6 Prozent leicht ins Plus. Ein großer Investitionshunger ist allerdings noch nicht in Sicht. Die Bruttoanlageinvestitionen legen nur schwach um 0,8 Prozent zu, angetrieben von einer Trendwende im Hochbau. Grund dafür ist das günstige Zinsumfeld, welches die hohe Wohnungsnachfrage und damit den Wohnungsbau im Land belebt.
Deutsche Perspektive: Blick auf den britischen Markt trübt sich ein
Deutsche Unternehmen blicken kritischer auf die britische Wirtschaftslage. Laut der Herbstumfrage 2024 der Deutsch-Britischen Industrie- und Handelskammer bewertet zwar noch jede zweite deutsche Firma ihre eigene Marktposition im Königreich positiv. Nur jedes fünfte Unternehmen erwartet hingegen eine bessere allgemeine Wirtschaftsentwicklung im Vereinigten Königreich. Die Investitionsneigung sinkt entsprechend: Wollten im Frühjahr noch 44 Prozent der Befragten mittelfristig weiter im Königreich investieren, war es im Herbst nur noch jedes dritte Unternehmen. Die Priorität liegt also mehr auf Stabilität als auf starkem Wachstum.
Ähnliche Signale sendet auch der bilaterale Handel. Das Warenhandelsvolumen zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich ist zwischen Januar und September 2024 nur deshalb nominal um 5,5 Prozent gewachsen, weil der internationale Goldhandel an seinem größten Handelsplatz London boomt. Um Gold bereinigt ist der bilaterale Handel um 1,8 Prozent geschrumpft, auch wegen der Probleme in der Automobilindustrie. Produktionsumstellungen im Vereinigten Königreich haben die Pkw-Importe aus dem Vereinigten Königreich um 28,6 Prozent einbrechen lassen. Auch vom Neuregistrierungswachstum bei Pkw im Vereinigten Königreich profitieren die deutschen Autobauer kaum. Die deutschen Pkw-Exporte auf die britische Insel sind in den ersten neun Monaten um 2,5 Prozent gefallen.
Gute Nachrichten gibt es dennoch. Ein Beispiel für die positive Geschäftsentwicklung ist das Energietechnik-Unternehmen Siemens Gamesa, das im November mit der Großbestellung von 64 Windturbinen durch den Energieversorger ScottishPower einen Milliardenauftrag verbuchen konnte. Die Rotorblätter werden am Standort in Hull hergestellt. Auf Investitionskurs bleibt auch der Lebensmitteldiscounter Aldi, der sein Filialnetz auf der Insel von 1.000 auf 1.500 Filialen erweitert und dafür umgerechnet rund 960 Millionen Euro investieren wird.
- Vereinigtes Königreich
- Wirtschaftsumfeld
- Konjunktur
- Außenhandel, Struktur
- Brexit
- Wirtschaftsumfeld