Branchen | Vietnam | Fahrzeuge
Automobilindustrie lockt weitere Hersteller an
Importe machen der vietnamesischen Kfz-Industrie zu schaffen. Aber etliche Firmen wollen mehr Autos im Land produzieren. Dies gibt auch der Zulieferindustrie neuen Schwung.
11.07.2023
Von Peter Buerstedde | Hanoi
Seit Mitte der 90er-Jahre ist in Vietnam eine Kfz-Industrie entstanden, die weitgehend auf der Montage von importierten CKD-Bausätzen (completely knocked down) beruht. Montagebetriebe konnten Bausätze zu einem Zollsatz von etwa 20 Prozent einführen. Fertige Pkw hingegen wurden mit Importzöllen von 70 Prozent belegt. Daher haben zahlreiche ausländische, in erster Linie asiatische, Hersteller in Vietnam Montagefabriken errichtet.
In der Regel kooperierten die Firmen als Joint Venture mit lokalen Partnern, letztere als Minderheitseigner. Dabei spielen drei vietnamesische Firmen eine große Rolle. Die staatliche Vietnam Agricultural Machinery Corporation ist Joint Ventures mit Toyota, Honda, Ford und zeitweise auch mit Fiat eingegangen. Thaco Auto produziert für Kia, Mazda, Fuso, Peugeot sowie BMW und TC Motor für Hyundai. Mercedes montiert in niedrigen Stückzahlen eigenständig in Ho-Chi-Minh-Stadt vier Modelle.
Eine Ausnahme ist die Firma Vinfast, die zur größten Unternehmensgruppe des Landes, Vingroup, gehört. Vinfast hatte mithilfe deutscher und österreichischer Ingenieursfirmen in nur 21 Monaten eine neue Fabrik in Haiphong aus dem Boden gestampft und 2019 in Betrieb genommen. Bis 2022 liefen hier Pkw mit Verbrennungsmotor vom Band, seit 2023 nur noch Elektrofahrzeuge.
Sinkende Importzölle setzen lokale Kfz-Branche unter Druck
Durch fallende Importzölle sieht sich die Industrie seit wenigen Jahren einer wachsenden Importkonkurrenz ausgesetzt. Seit 2018 liegen die Zölle für Kfz-Einfuhren aus den Staaten der Association of Southeast Asian Nations (ASEAN), vor allem aus Thailand und Indonesien mit ihren starken Kfz-Clustern, bei null. Die Einfuhren aus den beiden Ländern sind stark gestiegen. Pkw aus der EU werden ab 2030 zollfrei ins Land kommen, Pkw-Teile sogar schon früher.
Jahr | EVFTA mit EU | ATIGA mit ASEAN | CPTPP | RCEP |
---|---|---|---|---|
2023 | 49,6 | 0 | 49 | 70 |
2024 | 42,5 | 0 | 42 | 70 |
2025 | 35,4 | 0 | 35 | 70 |
2026 | 28,3 | 0 | 28 | 70 |
2027 | 21,2 | 0 | 21 | 70 |
2028 | 14,1 | 0 | 17 | 70 |
2029 | 7,0 | 0 | 7 | 70 |
2030 | 0 | 0 | 0 | 70 |
Als die Zölle für Importe aus den ASEAN-Staaten auf null sanken, warnten viele Experten und Industrievertreter, dass die Hersteller die Montage in Vietnam einstellen würden. Das Gegenteil scheint einzutreten. So hat die einheimische Unternehmensgruppe Geleximco im September 2022 den Bau einer Fabrik in zwei Phasen angekündigt. Geleximco will Elektrofahrzeuge einer oder mehrerer ausländischer Marken montieren. Weitere Vorhaben kündigten 2022 Skoda und BMW mit ihren vietnamesischen Partnern an. Gleichzeitig bauen Hersteller wie Toyota, Ford und Hyundai ihre Kapazitäten aus.
Vorhaben (Ort) | Investitionssumme (in Millionen US-Dollar) | Unternehmen | Status |
---|---|---|---|
Aufbau einer Fabrik in zwei Phasen für die Montage von 100.000 Fahrzeugen pro Jahr (Thai Binh) | 800 | Geleximco | Pachtvertrag für Bauland unterzeichnet, September 2022 |
Aufbau einer Fabrik für Kfz-Teile (Phu Tho) | 250 | BYD Auto | Ankündigung Januar 2023 |
Fabrik für Befestigungselemente (Quang Ninh) | 165 | Boltun | Ankündigung Februar 2023 |
Neue Fabrik für Montage von 100.000 Fahrzeugen im Jahr und lokaler Herstellung einzelner Fahrzeugteile (Gia Vien) | 140 | TC Motor, Hyundai | Inbetriebnahme der ersten Phase November 2022, zweite Phase 2025 |
Montage von zwei neuen Modellen, Fabrikerweiterung von 14.000 auf 40.000 Fahrzeuge pro Jahr (Hai Duong) | 100 | Ford | Zwei Phasen im Oktober 2022 abgeschlossen |
Modernisierung der Produktion und Montage von neuem Modell AMG C43 (Ho-Chi-Minh-Stadt) | 33 | Mercedes | Produktionsstart 2023 |
Montage von Skoda-Modellen (Quang Ninh) | k. A. | TC Auto, Skoda | Ankündigung Oktober 2022, Produktionsstart Ende 2023 |
Produktionslinien für zwei Modelle (Vinh Phuc) | k. A. | Toyota | Produktionsstart im Dezember 2022 |
Montage von BMW-Modellen: 3er, 5er, X3, X5 (Chu Lai) | k. A. | Thaco Auto, BMW | Ankündigung Dezember 2022 |
Gefördert wird das Interesse von Herstellern und Zulieferern durch günstige Standortbedingungen und das Wachstumspotenzial des Inlandsmarktes. Freihandelsabkommen verstärken die Anreize, die Produktion stärker zu lokalisieren. Die wachsenden Produktionskapazitäten treiben auch die Entwicklung der Zulieferindustrie voran, auch wenn der Abstand zu anderen Standorten in der Region enorm ist.
Inlandsabsatz legt zu
Der geringe Kfz-Absatz im Inland galt lange Zeit als großes Manko des Standorts. Durch Zölle und Abgaben in Höhe von circa 70 bis 200 Prozent des Autopreises sowie im regionalen Vergleich zwei- bis dreimal so hohen Pkw-Preisen weist Vietnam eine der niedrigsten Kfz-Dichten der Welt auf. Zur Verdeutlichung: Laut dem ASEANStatsDataPortal hatte das Land 2020 knapp 2,5 Millionen registrierte Pkw für knapp 97 Millionen Einwohner. Thailand kam im selben Jahr auf fast 18 Millionen Pkw - bei deutlich weniger Einwohnern.
Seit der Kfz-Absatz 2022 erstmalig auf über 500.000 Stück gestiegen ist, wird der Standort stärker als Chance wahrgenommen. Die unterdrückte Nachfrage birgt ein starkes Aufholpotenzial. Trotz der hohen Abgabenlast könnten die Pkw-Preise durch niedrigere Zölle sinken, während die Einkommen wohlhabenderer Haushalte in Vietnam stark zulegen sollen. Nach Prognosen der Bank HSBC könnte die obere Mittelschicht bis 2030 um durchschnittlich 17 Prozent pro Jahr wachsen. Das Ministerium für Industrie und Handel (Ministry of Industry and Trade; MOIT) schätzt, dass ab 2025 etwa 800.000 bis 900.000 und ab 2030 ungefähr 1,5 bis 1,8 Millionen Kfz pro Jahr verkauft werden.
Dank niedriger Arbeits- und Energiekosten ist Vietnam weiter attraktiv für die Montage. Hinzu kommt die Nähe zu China, woher die meisten Kfz-Teile importiert werden. Bis 2027 können Hersteller Teile für die Montage zollfrei einführen, wenn diese lokal nicht verfügbar sind. Das hilft, obwohl die Einfuhrzölle bereits für die meisten Lieferländer gegen null Prozent tendieren.
Von Vietnam aus können Kfz zollfrei in viele Regionen exportiert werden. Dies allerdings nur, wenn sie die Ursprungsregeln erfüllen. Um zollfrei in die ASEAN zu liefern, müssen Hersteller in Vietnam eine regionale Wertschöpfung von 40 Prozent erreichen. Nur wenige Modelle schaffen derzeit den Grenzwert. Thaco kommt bei Pkw-Modellen auf 17 bis 42 Prozent, Ford und Toyota im Durchschnitt auf etwa 20 Prozent.
Fertigungstiefe ist noch sehr gering
Nach Angaben des MOIT lag der Lokalisierungsgrad der Hersteller 2022 insgesamt bei etwa 7 bis 10 Prozent und damit sehr viel niedriger als in Nachbarländern der Region. In Vietnam gebe es weniger als 100 direkte Zulieferer der Autohersteller (Tier-1), gegenüber fast 700 Zulieferern in Thailand. Bei nachgeordneten Zulieferern (Tier-2 und Tier-3) sei die Lage noch desolater. Weniger als 150 Firmen stünden in Vietnam etwa 1.700 Unternehmen in Thailand gegenüber. Lokal werden vor allem einfachere Komponenten hergestellt, wie Kabelsätze, einige Getriebeteile, Sitze und Reifen. Hersteller in Vietnam beklagen hohe Produktionskosten, weil Teile importiert oder lokal teurer beschafft werden müssen.
Die Zulieferindustrie entwickelt sich aber. Mehr ausländische Hersteller, vor allem aus Japan, Taiwan und China, bauen Fabriken in Vietnam auf, um ihre Produktion über China hinaus zu diversifizieren. Gleichzeitig erweitern einheimische Akteure wie Thaco ihre Kapazitäten, und Hersteller wie Toyota und Ford arbeiten aktiv daran, ihre Zulieferer auf ein noch besseres technologisches Niveau zu haben. Dabei haben sie explizit das 40-Prozent-Ziel der regionalen Wertschöpfung im Blick.
Bezeichnung | Anmerkungen |
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Delegation der deutschen Wirtschaft in Vietnam | |
Vietnam Automobile Manufacturers' Association (VAMA) | Verband der Kfz-Industrie |
Vietnam Association for Supporting Industries (VASI) | Verband der Zulieferindustrien |