Die Regierung hat das übergreifende Ziel der Klimaneutralität auf viele Sektoren heruntergebrochen. Dabei will sie die Wirtschaftsentwicklung nicht aus den Augen verlieren.
Auf der 26. UN-Klimakonferenz (COP26) in Glasgow hat sich die vietnamesische Regierung 2021 zur Erreichung ehrgeiziger Ziele verpflichtet. Bis 2030 will Vietnam den Ausstoß von Methangasen um 30 Prozent verringern, die Abholzung von Wäldern stoppen und den Anteil der bewaldeten Fläche bei 42 Prozent halten. Das zentrale Ziel ist aber die Klimaneutralität bis 2050. Vietnam geht damit über das hinaus, was andere Länder in der Region wie China, Indonesien oder Thailand versprochen haben.
Seit den Zusagen von Glasgow hat das Land begonnen, unterschiedliche Strategien und Zielvorgaben mit den übergreifenden Zielen in Einklang zu bringen. In den nationalen Klimabeiträgen (Nationally Determined Contributions, NDC) legen die Vertragsstaaten des Pariser Klimaabkommens ihre Reduktionsziele fest. Vietnam hat die NDC im Oktober 2022 angepasst und die Ziele deutlich angehoben. Auch hat das Land die Ziele auf einzelne Sektoren heruntergebrochen und Schätzungen zum Finanzierungsbedarf gemacht. Demnach will Vietnam mit internationaler Unterstützung den CO2-Ausstoß bis 2030 gegenüber einem Szenario ohne Absenkungsbemühungen (business-as-usual-Szenario) um 43,5 Prozent senken.
Allerdings wären die Emissionen dann immer noch 18 Prozent höher als 2020 (nach Regierungsschätzung). Der Höchststand würde erst um das Jahr 2035 erreicht und danach müsste der Ausstoß sehr schnell absinken, um 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Daher wird dieses Szenario von Nichtregierungsorganisationen und Beratungsfirmen als nicht realistisch angesehen.
Den Knackpunkt bildet der Energiesektor, der die höchsten Einsparungen erreichen soll, und hier vor allem der Ausbau und später der Rückbau der Kohleverstromung. In der JETP-Vereinbarung vom November 2022 hat sich Vietnam bereiterklärt, mit internationaler Unterstützung in Form von Finanzmitteln und Know-how den Höchststand bei den Emissionen im Energiesektor auf 2030 vorzuziehen und erneuerbare Energien stärker auszubauen. Bis November 2023 will Vietnam in einem Resource Mobilisation Plan (RMP) den weiteren Finanzbedarf für die Energiewende definieren. Die Basis dafür bildet der Mitte Mai 2023 verabschiedete Entwicklungsplan für den Energiesektor (PDP 8) mit Ausbauzielen und Schätzungen zum Finanzbedarf.
Emissionsziele nach Sektoren bis 2030 (in Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten; Veränderung in Prozent)Sektor/Szenario | BAU | OU | MiU |
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Energie (inklusive Transport) | 678,4 | -9,6 | -33,5 |
Landwirtschaft | 112,1 | -11,1 | -45,4 |
Landnutzung (LULUCF) | -49,2 | 66,1 | 94,7 |
Abfallwirtschaft | 46,3 | -18,8 | -63,5 |
Industrieprozesse | 140,3 | -19,9 | -35,5 |
Gesamt | 927,9 | -15,8 | -43,5 |
BAU: Basisszenario ohne Bemühungen zur Emissionsrückführung (business as usual); OU: Veränderung zum BAU-Szenario ohne Unterstützung in Prozent; MiU: Veränderung zum BAU-Szenario mit internationaler finanzieller und technologischer Unterstützung in ProzentQuelle: Vietnam NDC Update 2022
Absenkung und Anpassung gleichzeitig
Der Klimawandel stellt Vietnam vor vielfältige Herausforderungen. Vietnam gilt als eines der am stärksten von den Auswirkungen der globalen Erwärmung betroffenen Ländern der Welt. Bereits jetzt leiden vor allem die Wirtschaftsmetropole Ho-Chi-Minh-Stadt und das Mekongdelta, Reiskammer und landwirtschaftliches Zentrum des Landes, unter zunehmenden Überschwemmungen. Daher muss das Land massiv in die Anpassung an den Klimawandel investieren und gleichzeitig den CO2-Ausstoß herunterfahren.
Die Wirtschaft ist auch doppelt betroffen. Wichtige Wirtschaftssektoren sind entweder stark von Auswirkungen bedroht, wie etwa der Tourismus oder die Landwirtschaft, oder sind starke Emittenten von CO2, wie die exportstarke Zementindustrie, der Energiesektor (mit einer starken Kohle-Komponente) oder arbeitsintensive Exportsektoren mit vielfach veralteter Technik.
Wachstum und Klimaschutz könnten in Konflikt geraten
Gleichzeitig muss Vietnam weiter als Investitionsstandort attraktiv bleiben, um den Wohlstand der Bevölkerung zu mehren und damit die Legitimitätsbasis des Regimes zu sichern. Vietnam soll nach Plänen der Regierung 2045 Industrieland werden. Dafür müsste das Land nach Schätzungen der Weltbank im Durchschnitt ein Wirtschaftswachstum von real 6,7 Prozent pro Jahr erreichen.
Daher dürfte es immer wieder zu Zielkonflikten kommen zwischen Klimaschutz und Wirtschaftswachstum, auch wenn beispielsweise die Energiewende auch Wachstumschancen eröffnet. Industriestaaten sollen helfen, durch Technologietransfers Lieferketten für nachhaltige Technologien im Lande zu etablieren und so Vietnam zu einem Green Hub für die Region machen.
Die Regierung hatte im Oktober 2021 eine National Green Growth Strategy verabschiedet, die unter anderem auf Schätzungen des Beratungsunternehmen Boston Consulting beruht, aber nicht mehr mit den aktuellen Klimazielen des Landes übereinstimmt. Nachhaltige Wirtschaftssektoren (green economy) könnten demnach mit staatlicher Unterstützung und den richtigen Rahmenbedingungen bis 2050 auf 300 Milliarden US-Dollar (US$) anwachsen (2020: 6,7 Milliarden US$). Die Regierung arbeitet derzeit an einer Aktualisierung der Strategie.
Unternehmen unterschiedlich gut vorbereitet
In einer Reihe von CO2-intensiven Sektoren (Kohleförderung, Düngemittel, Elektrizitätsversorgung, Frachttransport, Zement, Stahl) spielen Staatsunternehmen eine große Rolle, die noch einen hohen Reform- und Modernisierungsbedarf haben. Das dürfte die Dekarbonisierung nicht erleichtern.
Aber auch viele kleinere vietnamesische Industrieunternehmen und auch viele ausländische Firmen arbeiten häufig mit veralteter Technik ineffizient und umweltschädigend. Bereits geltende Umweltregularien werden vielfach nicht erfüllt und staatlicherseits nicht effektiv durchgesetzt.
Druck für mehr Klimaschutz kommt zum Teil von Ablegern ausländischer Unternehmen, die global definierte Ziele (oft auch bei ihren Zulieferern) erreichen sollen. Die vietnamesische Regierung fürchtet auch, dass Klimamaßnahmen wie die CO2-Grenzausgleichsmechanisums der EU (CBAM) Schule machen könnten. Ausländische Investoren fordern etwa die Möglichkeit, über Power Purchasing Agreements (PPA) direkt erneuerbaren Strom einkaufen zu können, was derzeit nur sehr begrenzt möglich ist.
Auch größere vietnamesische Firmen beginnen zwar, Nachhaltigkeitsziele zu definieren. Das Bewusstsein für die Dringlichkeit des Themas ist aber insgesamt in der vietnamesischen Unternehmerschaft noch sehr begrenzt, da es auch in lokalen Medien nur eingeschränkt behandelt wird.
Von Peter Buerstedde
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Hanoi