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Rechtsbericht | Vietnam | Arbeitsrecht

Arbeitsrecht

Das vietnamesische Arbeitsrecht ist auf den Arbeitnehmerschutz ausgerichtet. Recht und Praxis weichen zum Teil stark voneinander ab.

Von Peter Buerstedde | Hanoi

Gesetzliche Regelungen auf einen Blick
Vergütung: Kann in Kollektivverträgen zwischen dem Arbeitgeber und Gewerkschaftsvertretern im Betrieb geregelt werden (diese enthalten auch Regelungen zu Arbeits- und Pausenzeiten, Sozialversicherung, Arbeitsschutz); Flächentarifverträge gibt es nicht
Mindestlohn: Nach vier Regionen gestaffelt; wird unregelmäßig angepasst
Arbeitsstunden pro Woche: 48 Stunden an sechs Tagen; bei besonders schwerer oder gefährlicher Arbeit sechs Stunden am Tag
Regelarbeitstage pro Woche: Montag bis Freitag oder Samstag
Zulässige Überstunden: maximal 40 pro Monat und 300 im Jahr
Bezahlte Feiertage: Elf
Bezahlte Urlaubstage: zwölf Tage im Jahr (bei einem Arbeitsverhältnis von zwölf Monaten, normale Arbeitsbedingungen); 14 Tage für Arbeitnehmer unter 18 Jahren (Altersuntergrenze: 16) und für solche, die großen Belastungen/Gefahren ausgesetzt sind; 16 Tage für besonders gefährliche Arbeiten (zum Beispiel Bergbau); nach jeweils fünfjähriger Betriebszugehörigkeit erhöht sich der Urlaubsanspruch um einen Tag; bezahlter Urlaub ist außerdem zu gewähren bei eigener Hochzeit (drei Tage), Hochzeit eines Kindes (ein Tag), Tod eines Elternteils, der Schwiegereltern, des Ehegatten oder eines Kindes (je drei Tage)
Sonderzahlungen pro Jahr in Monatslöhnen: Nicht verpflichtend, aber üblich (13. Monatsgehalt als Jahresbonus und/oder Neujahrsbonus); gegebenenfalls 14. Jahresgehalt als Leistungsbonus
Tage mit Lohnfortzahlung bei Krankheit: Bis zu 30 Tage im Jahr durch die Krankenversicherung bei einer Einzahlungsdauer von bis zu 15 Jahren, bei 15 bis 30 Jahren steigt der Leistungsanspruch auf 40 Tage, ab 30 Jahren auf bis zu 60 Tage; das Krankengeld beträgt 75 Prozent des Grundgehalts; bei Krankheit eines Kindes bis zu drei Jahren zahlt die Krankenversicherung bis zu 20 Tage im Jahr, bei drei bis sieben Jahre alten Kindern maximal 15 Tage, sofern sich der Arbeitnehmer um das Kind kümmert
Probezeit: Bis zu 60 Tage für Tätigkeiten, die einen Hochschul- oder Fachhochschulabschluss erfordern; bis zu 30 Tage für Tätigkeiten, die einen Berufsschulabschluss erfordern sowie für technische und sonstige Facharbeiter; bis zu sechs Tage für alle anderen Tätigkeiten; für Führungspositionen 180 Tage
Vergütung: Kann in Kollektivverträgen zwischen dem Arbeitgeber und Gewerkschaftsvertretern im Betrieb geregelt werden (diese enthalten auch Regelungen zu Arbeits- und Pausenzeiten, Sozialversicherung, Arbeitsschutz); Flächentarifverträge gibt es nicht
Quelle: Labor Code 2024, GTAI-Recherchen 2024

 

Rechtsgrundlagen

Grundlage des vietnamesischen Arbeitsrechts ist das Arbeitsgesetzbuch 2019 (Bộ luật số 45/2019/QH14), das am 1. Januar 2021 in Kraft getreten ist. Dieses implementiert unter anderem grundlegende Abkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zum Verbot der Zwangsarbeit oder die Verpflichtung zur Zulassung freier Gewerkschaften.

Das Arbeitsgesetzbuch gibt den allgemeinen Rahmen für ihre Anwendung vor, der durch die von der Regierung oder den zuständigen Ministerien erlassenen Durchführungsbestimmungen ergänzt wird. Maßgeblich ist das Arbeitsministerium (MOLISA).

Für ausländische Arbeitnehmer gilt die Verordnung Nr. 152 von 2020 (Nghị định 152/2020/NĐ-CP)

Vertragsabschluss

Vietnam schreibt den Schutz der Arbeitnehmerrechte groß. In der Folge wird die Gesetzgebung regelmäßig zugunsten der Arbeitnehmer interpretiert.

Dem vietnamesischen Arbeitsrecht unterliegen auch aus dem Ausland entsandte Arbeitnehmer, die in Vietnam aufgrund eines lokalen Arbeitsvertrags (in Ergänzung zum ausländischen Entsendevertrag) tätig sind. Der Arbeitsvertrag muss den Vorgaben des vom Arbeitsministerium herausgegebenen Standardvertrags sowie gesetzlichen Bestimmungen entsprechen. Widersprüche zur Gesetzgebung können zur Unwirksamkeit eines Arbeitsvertrages führen (Art. 49 Arbeitsgesetzbuch). In der Praxis empfiehlt es sich, den Standardvertrag um die spezifischen Anforderungen des jeweiligen Unternehmens zu ergänzen.

Das Arbeitsgesetz 2019 sieht vor, dass auch informelle Vereinbarungen oder als Dienstleistungsverträge bezeichnete Dokumente als Arbeitsvertrag zu qualifizieren sind, wenn der zugrundeliegende Vertrag eine Berufsbeschreibung, eine Vergütung sowie Aufsichts- und Disziplinarrechte einer Vertragspartei vorsieht (Art. 13 Abs. 1 Arbeitsgesetzbuch). Ziel ist, einer Scheinselbstständigkeit vorzubeugen. 

Lange Befristungen möglich

Verträge können befristet oder unbefristet geschlossen werden. Befristete Arbeitsverträge haben eine Höchstdauer von 36 Monaten und können einmal um den gleichen Zeitraum verlängert werden. Wird der Mitarbeiter nach Ablauf der zweiten Befristung weiterbeschäftigt, wandelt sich das Arbeitsverhältnis automatisch in ein unbefristetes Verhältnis (Art. 20 Arbeitsgesetzbuch). Mehr als einmal befristet verlängert werden dürfen unter anderem Verträge mit ausländischen Angestellten. 

Möglich ist zudem die Vereinbarung einer Probezeit, innerhalb derer beide Vertragsparteien das Arbeitsverhältnis ohne Angabe von Gründen oder einer Verpflichtung zu einer Abfindung auflösen können. Die Probezeit wird von beiden Parteien je nach Umfang und Komplexität der Tätigkeit vereinbart. Die zulässige Höchstdauer der Probezeit beträgt für einfache Tätigkeiten sechs Tage, für Tätigkeiten, die eine berufliche Ausbildung voraussetzen, 30 Tage sowie für Arbeiten, für die eine Hochschulausbildung erforderlich ist, 60 Tage. Bei Führungspositionen kann eine Probezeit von maximal 180 Tagen vereinbart werden. Der innerhalb der Probezeit gezahlte Lohn muss mindestens 85 Prozent des späteren Gehalts entsprechen (Art. 25 bis 27 Arbeitsgesetzbuch). 

Die Arbeitszeit beträgt je nach betrieblicher Regelung bis zu 48 Stunden pro Woche. Die gesetzliche Arbeitszeit darf 10 Stunden pro Tag nicht überschreiten (Art. 105 Arbeitsgesetzbuch). Die Überstunden dürfen nicht 50 Prozent der regulären Arbeitszeit übersteigen und die gesamte Tagesarbeitszeit kann höchstens zwölf Stunden betragen. Erlaubt sind maximal 40 Überstunden im Monat oder 200 im Jahr. In den wichtigen Exportsektoren sind aber 300 Überstunden rechtlich möglich (Art. 107 Arbeitsgesetzbuch). Vielfach arbeiten Fabrikarbeiter wesentlich mehr als zugelassen. 

Auch Regelungen zu Streikrechten sind ausführlich im Arbeitsgesetzbuch geregelt. Gesetzlich dürfen Arbeitnehmer neben der Staatsgewerkschaft eine staatlich unabhängige Gewerkschaft gründen (Art. 170 Arbeitsgesetzbuch). Vietnam hatte sich als ILO-Mitglied und Vertragspartner des Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership (CPTPP)-Freihandelsabkommens dazu verpflichtet. Derzeit ist das praktisch aber nicht möglich. Hierzu soll ein eigenes Gesetz verabschiedet werden.

Rechte und Pflichten der Vertragsparteien

Unternehmen ab zehn Mitarbeitern sind zur Abfassung interner Arbeitsrichtlinien verpflichtet (Art. 119 Arbeitsgesetzbuch). Damit diese Gültigkeit haben, müssen sie beim Arbeitsministerium oder bei der lokalen Arbeitsbehörde (Department of Labor, Invalids and Social Affairs) registriert werden.

Unter anderem sollten folgende Punkte in die internen Regelungen aufgenommen werden (Art. 118 Arbeitsgesetzbuch):

  • Arbeits- und Ruhezeiten,
  • Ordnungsvorschriften innerhalb des Unternehmens,
  • Berufssicherheit und Hygiene am Arbeitsplatz,
  • Schutz des Vermögens und der Vertraulichkeit von Betriebsgeheimnissen,
  • konkrete Beispiele zu Verhaltensweisen, die einen Verstoß gegen diese Bestimmungen bedeuten, sowie die zu erwartenden Strafen (wie offizielle Rüge, Aussetzung von allgemeinen Lohnsteigerungen, Versetzung auf eine andere Stelle mit niedrigerem Lohn, Entlassung).

Gerade für die Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen sind die internen Regelungen wichtig, um ein Fehlverhalten zu etablieren und beweisbar zu machen.

Vertragsbeendigung

Soll das Vertragsverhältnis beendet werden, ist zwischen ordentlichen und außerordentlichen sowie zwischen betriebsbedingten und personen-/verhaltensbedingten Kündigungen zu unterscheiden. Bei ordentlichen Kündigungen variieren die Kündigungsfristen zwischen 30 Tagen bei befristeten und 45 Tagen bei unbefristeten Verträgen. Bei Verträgen mit einer Laufzeit von weniger als 12 Monaten beträgt die Frist mindestens 03 Arbeitstage (Art. 35 Arbeitsgesetzbuch). 

Im Fall einer verhaltensbedingten Kündigung ist durch den Arbeitgeber eine Abfindung in Höhe eines halben Monatsgehalts zuzüglich Zulagen pro gearbeitetem Jahr zu zahlen. Das für die Berechnung der Abfindung herangezogene Gehalt ist der Durchschnitt der letzten 6 Gehälter, die dem Arbeitnehmer gezahlt wurden (Art. 46 Arbeitsgesetzbuch).

Rechtspraxis

Die einseitige Durchsetzung einer Kündigung ist in der Regel letztes Mittel. Firmen, die auf ihren Ruf bedacht sind, versuchen selbst in Extremfällen, eine gütliche Einigung zu finden. Auch wenn es selten zu gerichtlichen Verfahren kommt, steht das Arbeitsrecht meist auf der Seite der Arbeitnehmer. 

Eine Kündigung ist bei einem festen Arbeitsverhältnis nur mit Grund möglich. Potenzielle Kündigungsgründe sind solche, die im Gesetz sowie in den Arbeitsrichtlinien des Unternehmens aufgeführt sind. Im Rahmen der Kündigung sollten die Gründe detailliert und transparent aufgelistet werden. Dies stellt im Nachhinein klar, dass keine Willkürmaßnahme vorliegt. 

Gütliche Einigungen bei Kündigung üblich

Weil Kündigungen auf dem Gesetzeswege unüblich und schwierig sind, werden alle Möglichkeiten der Vertragsbefristung ausgeschöpft. Um eine gütliche Einigung hervorzurufen, ist der Aufhebungsvertrag eine gangbarere Variante. Dieser regelt unter anderem den an den Arbeitnehmer zu zahlenden Betrag (Abfindung, Sachzuwendungen) und beinhaltet die Verpflichtung des Arbeitnehmers, auszuscheiden und den Arbeitgeber von allen Ansprüchen freizustellen.

Im Gegensatz zum Arbeitgeber genießen Arbeitnehmer erheblich mehr Freiheiten, ihren Arbeitsplatz zu quittieren. Rein rechtlich reicht es, eine Mitteilung über die Kündigung innerhalb der geltenden, kurzen Mitteilungsfristen einzureichen. In der Praxis kommt es aber immer wieder vor, dass Mitarbeiter deutlich früher gehen, ohne dass dies zu Konsequenzen führt.

Pandemie hatte wenig Auswirkungen auf den Arbeitsalltag

Anders als in Deutschland hat die Pandemie in den meisten Unternehmen zu wenig organisatorischen Veränderungen geführt. Der Alltag der im Büro arbeitenden Bevölkerung ist oft noch strikt durchgeplant. Fixe Präsenzzeiten sind die Regel.

Umgehung der Sozialversicherungspflicht ist üblich

Um Sozialversicherungskosten einzusparen, schließen manche Unternehmen mit dem Arbeitnehmer zwei Arbeitsverträge. Dann werden nur auf den Vertrag mit dem niedrigeren Gehalt Sozialabgaben bezahlt. An dieser – gesetzlich nicht gedeckten – Praxis haben oft beide Seiten Interesse. Die Arbeitgeber wollen ihre Lohnkosten minimieren und viele Beschäftigte vertrauen den Sozialkassen nicht – sie bevorzugen eine eigene Altersvorsorge. 

Einige Arbeitgeber führen gesetzwidrig überhaupt keine Sozialabgaben ab. Investoren, die ein lokales Unternehmen übernehmen wollen, sollten im Rahmen der Due-Diligence-Prüfung auch die Sozialversicherungsbuchführung genau untersuchen, um später nicht mit ausstehenden Forderungen konfrontiert zu werden.

Erteilung von Arbeitserlaubnissen bleibt schwierig 

Ausländische Arbeitnehmer, die in Vietnam arbeiten sollen, benötigen neben einem Arbeitsvisum auch eine Arbeitserlaubnis. Eine Arbeitserlaubnis wird für eine Höchstdauer von zwei Jahren zuerkannt, mit der Möglichkeit der einmaligen Verlängerung um weitere zwei Jahre. 

Vom Erfordernis der Arbeitserlaubnis ausgenommen sind einzelne Berufsgruppen wie Investoren oder Geschäftsführer eines Unternehmens in Vietnam. Mitarbeiter, die für höchstens 30 Tage am Stück im Land tätig werden, benötigen für Einreise und Berufstätigkeit ebenfalls keine Arbeitserlaubnis. Allerdings sind die Einreisen auf drei pro Jahr beschränkt.

Das Verfahren zur Erteilung einer Arbeitserlaubnis ist aufwändig und langwierig. Auch unterscheidet sich die Vergabepraxis je nach Provinz, in der Anträge gestellt werden. Um das Verfahren zur Erteilung einer Arbeitserlaubnis ohne größere Probleme zu durchlaufen, greifen Unternehmen in der Regel auf Anwaltskanzleien vor Ort zurück. Lokale Agenturen werben teilweise damit, dass sie Erteilungs- und Genehmigungsverfahren schneller und unkomplizierter regeln könnten. Allerdings sind nicht selten Akteure unterwegs, die Versprechungen nicht einhalten können oder aber am Rande beziehungsweise außerhalb der Grenzen der Legalität handeln.

Aufenthalte ohne Visum bis 45 Tage möglich

Weil die Erteilung von Arbeitserlaubnissen zum Teil schwierig ist, nutzen manche Unternehmen für Kurzzeitarbeitseinsätze Touristenvisa. Um den Tourismus anzutreiben, hat Vietnam mit Wirkung zum 15. August 2023 die Geltungsdauer von Visa verlängert. Deutsche Staatsbürger können jetzt für einen Aufenthalt von bis zu 45 Tagen ohne Visum einreisen. Zuvor galt eine Obergrenze von 15 Tagen. E-Visa werden für bis zu 90 Tage erteilt, mit der Möglichkeit der mehrfachen Einreise.

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