Wirtschaftsausblick | Vietnam
Wirtschaftswachstum in Vietnam nimmt an Fahrt auf
Nach einer Schwächephase kommen die Exportindustrien im Jahr 2024 wieder in Schwung. Aber verzögerte Reformen und Stromausfälle könnten das Wachstum bremsen.
17.06.2024
Von Peter Buerstedde | Hanoi
Top-Thema: Energiesektor steht vor Investitionswelle
Vietnam hat 2023 ambitionierte Ziele für den Umbau des Energiesektors festgelegt, um im Jahr 2050 klimaneutral zu sein. Dem Vernehmen nach sind auch die Umsetzungsvorschriften nach langen Verzögerungen nahezu fertig. Damit könnten Projekte für die direkte Versorgung von Fabriken und Industrieparks mit erneuerbarem Strom bald an den Start gehen.
Die Zeit drängt. Die Ziele für erneuerbare Energien für 2030 gelten bereits als unerreichbar. Vietnam braucht auch dringend zusätzliche Stromkapazitäten. Der Verbrauch soll sich bis 2030 verdoppeln. Durch das Wetterphänomen El Niño und den stark wachsenden Verbrauch gab es im Juni und Juli 2023 im Norden des Landes längere Stromausfälle. Der Produktionsrückgang entsprach nach Weltbankschätzungen 0,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die Stromausfälle könnten sich 2024 wiederholen und drohen den Aufschwung der Exportindustrien zu bremsen und neue Investoren zu vergraulen.
Wirtschaftsentwicklung: Aufschwung könnte sich beschleunigen
Die Konjunkturlage in Vietnam wird stark von der Entwicklung in den Exportindustrien beeinflusst, weil andere Sektoren wie die Bauindustrie weiter kaum Impulse liefern. Der Purchasing Managers Index (PMI) erfasst die Geschäftsstimmung in der Industrie. Er lag in den Monaten von Januar bis Mai 2024 mit Ausnahme vom März wieder bei leicht über 50 Punkten. Das deutet auf verhaltenes Wachstum hin, ebenso wie das Exportwachstum von 16 Prozent im selben Zeitraum – gegenüber einem sehr schwachen Vorjahr.
Aufträge und Produktion steigen, aber die Unternehmer beklagen höhere Kosten für importierte Vorprodukte auch durch die Schwäche des vietnamesischen Dongs, der gegenüber dem US-Dollar seit Beginn des Jahres 2024 etwa 5 Prozent an Wert verloren hat. Ein kräftiger Anstieg der Importe im Mai deutet aber darauf hin, dass sich die Erholung der Exportindustrien beschleunigen wird. Davon dürften auch deutsche Lieferanten von Vorprodukten und Ausrüstungen profitieren.
Auch der Zustrom an ausländischen Investoren hält an. Vietnam profitiert weiter von den Diversifizierungsbemühungen, in erster Linie von ostasiatischen Unternehmen, die den US-Markt beliefern. Immer mehr chinesische Firmen errichten Fabriken in Vietnam, darunter viele Auftragsfertiger der US-Firma Apple. Die Zuflüsse an direkten Auslandsinvestitionen steuern 2024 erneut auf ein Rekordergebnis zu.
Aufträge und Produktion in der Industrie steigen noch nicht stark genug, damit die Firmen spürbar mehr Arbeiter einstellen können. Die Zahl der Beschäftigten in der Industrie liegt noch deutlich unter dem Vorjahresniveau. Der Anteil informeller Arbeitsverhältnisse ist hingegen größer. Trotz höherer Löhne dürfte die Kaufkraft vietnamesischer Verbraucher gegenüber dem Vorjahr stagnieren. Schub kommt vom ausländischen Tourismus, der kräftig wächst und das Vorkrisenniveau 2019 von 18 Millionen Besuchern im Jahr 2024 wieder leicht übersteigen dürfte. Die Einzelhandelsumsätze stiegen in den ersten fünf Monaten 2024 real um 5,2 Prozent.
Hochbau kommt langsam aus der Krise
Kaum Impulse kommen vom Bausektor. Der Hochbau – vor allem der Wohnungs- und Hotelbau – arbeitet sich langsam aus einer strukturellen Krise heraus, in die er durch Korruptionsskandale, Coronapandemie, gestiegene Zinsen und lange Genehmigungsprozesse gerutscht war. Dies führte zu einem Stillstand auf vielen Baustellen. Aber seit dem Sommer 2023 wurden etliche große Bauprojekte wieder aufgenommen. Die Regierung hat die Verabschiedung eines neuen Landgesetzes, das für Anfang 2025 geplant war, auf die Jahresmitte 2024 vorgezogen. Es soll die Umsetzung von Bauvorhaben erleichtern und es Auslandsvietnamesen ermöglichen, leichter in Immobilien in Vietnam zu investieren. Der Nachfrageschub könnte die Erholung beschleunigen.
Der staatlich finanzierte Infrastrukturbau soll die Konjunktur beleben. Aber die Umsetzung öffentlicher Investitionen stockt in allen Bereichen. Aufgeschreckt durch eine Antikorruptionskampagne der Kommunistischen Partei wollen Behördenmitarbeiter nicht riskieren, unter Korruptionsverdacht zu geraten und zögern Entscheidungen heraus. Die staatlichen Investitionen könnten 2024 etwa das Vorjahresniveau erreichen.
Konsummaßnahmen sollen das Wachstum antreiben
Weil sich die Exportsektoren langsamer erholen als erwartet, entwickelt sich die Wirtschaft im Jahr 2024 wie auch im Vorjahr schwächer als von der Regierung erhofft. Sie nimmt Kurs auf ein Wachstum für das Gesamtjahr von etwa 5,5 Prozent gegenüber einem Regierungsziel von 6 bis 6,5 Prozent. Dämpfend wirkt die Inflation, die 2024 auf 4 Prozent zusteuert, gegenüber etwa 3 Prozent im Vorjahr. Um Konsumimpulse zu geben, will die Regierung ab Mitte 2024 erneut wie schon 2023 eine Mehrwertsteuersenkung um 2 Prozentpunkte erlassen. Anfang Juli will die Regierung die Löhne für staatliche Angestellte anheben. Das könnte den Konsum in der zweiten Jahreshälfte antreiben.
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Deutsche Perspektive: Maschinenbau mit wachsender Konkurrenz
Mit dem Wegfall des russischen Marktes gewinnen andere Märkte wie Vietnam für deutsche Maschinenbauer an Bedeutung. Die schwache Konjunkturentwicklung in China lässt aber auch die dortigen Ausrüster vermehrt über die Grenze schauen. Zuletzt boten chinesische Firmen auf Messen in Vietnam nach Darstellung deutscher Anbieter extrem günstige Preise und Konditionen an. Damit hat sich der Wettbewerb in einem schwachen Marktumfeld noch verschärft.
Hoffnung macht der Aufschwung in den Exportindustrien sowie die Verlagerung des Einkaufs vieler Waren für den US-Markt von China nach Vietnam im Zuge der Diversifizierungsbemühungen vieler westlicher Firmen. Wollen lokale Hersteller für anspruchsvollere Märkte herstellen, brauchen sie auch verlässliche und präzise Maschinen. Hier bieten sich Chancen für deutsche Anbieter.
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