Von Prof. Dr. Burghard Piltz
Erfahrungen aus der Praxis
Es gibt eine ganze Reihe an Mustern internationaler Kaufverträge. Aber nur selten wird das Zoll- und Außenwirtschaftsrecht in besonderen Vertragsklauseln berücksichtigt. Meistens wird ihm lediglich mittelbar durch die – häufig nicht einmal richtige – Verwendung einer Klausel der Incoterms Rechnung getragen. Dieser Befund wird bestätigt durch die Erfahrungen des Verfassers, der sich seit über 25 Jahren im Schwerpunkt mit dem internationalen Kaufrecht befasst. Umso größer ist die Überraschung, wenn dann unerwartet zoll- oder außenwirtschaftsrechtlicher Gegenwind aufkommt. Nun war die vergangene Zeit durch eine Globalisierungseuphorie und den weitgehenden Abbau von Handelsschranken geprägt und hat daher nicht unbedingt dazu beigetragen, Sensibilität für zoll- und außenhandelsrechtliche Vertragsklauseln zu entwickeln. Diese Phase geht aber erkennbar zur Neige. "America first“ und ähnliche Abschottungstendenzen gewinnen an Bedeutung. Das Zoll- und das Außenwirtschaftsrecht sind die Hebel des Gesetzgebers, um diese Überlegungen bei Lieferverträgen durchzusetzen. Der Brexit ist das jüngste Beispiel in dieser Reihe, denn seit dem Austritt aus der EU bedürfen Exporte nach Großbritannien der Ausfuhrfreimachung in der EU und der Einfuhrfreimachung in Großbritannien. Für Importe gilt das Gleiche in umgekehrter Abfolge. Zoll- und Außenwirtschaftsrecht erhielten damit auch für Lieferverträge mit britischen Parteien plötzlich Bedeutung.
Die Incoterms
Die seit dem 1. Januar 2020 geltenden Incoterms® 20201 befassen sich in den Regeln A7/B72 mit der Export- und Import-Freimachung. Mit den in A7/B7 geregelten Freimachungspflichten wird bestimmt, welche der Parteien des Kaufvertrages – der Verkäufer oder der Käufer – die Verantwortung für die Erledigung der Zollformalitäten3 und Sicherheitsfreigaben4 und die Zahlung von Zöllen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschl. Strafzöllen trägt und gegebenenfalls notwendige behördlichen Genehmigungen5 einzuholen hat, die für den Export, einen eventuell gegebenen Transit und den Import der verkauften Ware erforderlich sind. Ebenso ordnen die Regeln A7/B7 gegebenenfalls staatlich vorgeschriebenen pre-shipment inspections (PSI) entweder dem Verkäufer oder dem Käufer zu. Nicht unter die Regeln A7/B7 fallen hingegen die Registrierungserfordernisse nach der REACH-VO,6 die Pflichten zur CE-Kennzeichnung7 sowie die Pflichten nach der Elektrostoff-VO,8 deren Beachtung ausschließlich dem europäischen Importeur obliegen, soweit nicht der ausländische Lieferant durch entsprechende Vertragsklauseln mit in die Verantwortung genommen wird.
Grundsätzlich ist bei Geltung der Incoterms®-Klausel FCA, FAS oder FOB sowie einer der vier C-Klauseln die Exportfreimachung Sache des Exporteurs und die Transit- und Importfreimachung Aufgabe des Käufers. Die Klauseln DAP und DPU haben zur Folge, dass der Verkäufer nun auch die Transitfreimachung zu besorgen hat und der Käufer nur noch für die Importfreimachung verantwortlich ist. Bei EXW ist die gesamte Freimachung Angelegenheit des Käufers und bei DDP Sache des Verkäufers. Da jedoch nach Art. 170 Abs. 2 UZK der Anmelder im Zollgebiet der Union ansässig sein muss, können der ausländische Käufer des mit der Klausel EXW exportierenden EU-Unternehmens oder der ausländische Lieferant des mit der Klausel DDP importierenden EU-Käufers die nach A7/B7 sie treffenden Pflichten in der Regel9 nicht erfüllen. Die in der Praxis in solchen Situationen dann ergriffenen Maßnahmen führen in aller Regel zu einer Verwässerung der mit den Klauseln EXW bzw. DDP beabsichtigten Kosten- und Risikozuordnungen und haben zuweilen darüberhinausgehende massive Nachteile zur Folge.
Die Pflicht zur Freimachung ist neben der in A2/B2 geregelten Pflicht zur Lieferung bzw. Übernahme der Ware eine eigenständige Pflicht des Verkäufers beziehungsweise Käufers, deren nicht ordnungsgemäße Erfüllung die für vertragliche Pflichtverletzungen vorgesehenen Sanktionen auslöst und insbesondere zu Schadensersatzansprüchen der anderen Vertragspartei führen kann. Soweit einer Partei keine Freimachungspflichten obliegen, ist sie gleichwohl gehalten, die andere Partei auf deren Anforderung, Risiko und Kosten bei der Beschaffung der Dokumente und Informationen zu unterstützen, die für die von der anderen Partei vorzunehmenden Freimachungen erforderlich sind. Diese Pflicht zur Unterstützung gilt auch für Sicherheitsfreigaben.
Ohne Incoterms
Wenn keine Klausel der Incoterms® vereinbart ist, wird die Verantwortungen für die Ausfuhr-, Durchfuhr- und Einfuhrfreimachung zweckmäßigerweise in Anlehnung an den jeweils maßgeblichen Lieferort zugeordnet.10 Andere lassen den Verkäufer für die in seinem Land anfallenden und den Käufer für die Angelegenheiten des Importlandes einstehen, kommen aber im Wesentlichen zu ähnlichen Ergebnissen.11 Da der Lieferort den räumlichen Endpunkt für die Lieferpflicht des Verkäufers markiert und von den Parteien in aller Regel unter Gesichtspunkten der Kosten- und Risikozuweisung vereinbart wird, ist dem Lieferort-Ansatz der Vorzug zu geben.12 Bei internationalen Beförderungsverkäufen, das heißt wenn der Ort, an dem der Käufer die Ware zu übernehmen hat, nicht mit dem Lieferort identisch ist und im Ausland liegt, hat der Verkäufer sich jedoch auch bei einem inländischen Lieferort um die Ausfuhrfreimachung zu kümmern.13
Die Beachtung der behördlich verlangten Sicherheitsfreigaben (security clearance)14 trifft die Partei, die nach Vorstehendem jeweils für die Ausfuhr-, Durchfuhr- oder Einfuhr-Freimachung verantwortlich ist. Soweit die Sicherheitskontrollen hingegen wie etwa nach der EU-Verordnung für die Sicherheit in der Zivilluftfahrt15 von dem Beförderer erwartet werden und nicht Teil der behördlichen Freimachung sind, beurteilt sich die Verantwortung im Verhältnis Verkäufer - Käufer nach dem maßgeblichen Lieferort und der Verantwortlichkeit für den dort beginnenden Transport.
Besondere Problemlagen
Wenn die Behörden aus außenhandelsrechtlichen Gründen den Import nicht zulassen, ist dieses Risiko in der Regel von dem Käufer zu tragen und folglich ohne Auswirkungen auf die Rechtsposition des Verkäufers. Ganz anders ist die Situation aber, wenn die Behörden die Ausfuhr nicht gestatten und die Freimachung dem Verkäufer obliegt. In diesem Fall verletzt der Verkäufer die ihn treffende Pflicht zur Ausfuhrfreimachung. Die dadurch ausgelösten Rechtsfolgen bestimmen sich nach den kaufvertraglichen Absprachen und im Übrigen nach dem für den Kaufvertrag geltenden Kaufrecht. Gewöhnlich bleibt der Käufer berechtigt, von dem Verkäufer weiterhin die Ausfuhrfreimachung zu verlangen, und kann zudem bis auf Weiteres die Zahlung des Kaufpreises zurückhalten. Häufig wird der Käufer aber auch den Kaufvertrag aufheben, das heißt von dem Kaufvertrag zurücktreten und die Rückzahlung geleisteter Anzahlungen verlangen können. Neben sowie anstelle dieser Rechtsbehelfe kann der Käufer zudem Ersatz des ihm durch diese Situation entstandenen Schadens geltend machen. Der Verkäufer andrerseits hat keine Möglichkeit, diese für ihn missliche Situation aufzulösen. Die Entscheidung über das weitere Schicksal des Kaufvertrages liegt vielmehr ganz bei dem Käufer. Den Parteien ist daher mit Nachdruck anzuraten, die Konsequenzen einer solchen Situation bei den Vertragsverhandlungen durchzuspielen und gegebenenfalls bei der Vertragsredaktion zu berücksichtigen.
Empfehlungen für die Praxis
- Angesichts zunehmender zwischenstaatlicher Abschottungstendenzen ist in Export- sowie in Importverträgen gezielt anzusprechen, welche der Parteien – der Verkäufer oder der Käufer – für die Ausfuhr-, die Durchfuhr- und die Einfuhrfreimachung verantwortlich ist.
- Grundsätzlich empfiehlt sich, in dem Kaufvertrag eine Klausel der Incoterms® 2020 vorzusehen. Allerdings sind die Klauseln EXW im Export und DDP im Import für in der EU ansässige Vertragsparteien nicht geeignet.
- Je nach Sachlage empfehlen sich ergänzende Vertragsklauseln für einzelne Elemente der Freimachung wie etwa zur Sicherungsfreigabe bei Importen oder zur Einholung erforderlicher Genehmigungen.
- Besondere Umsicht und ergänzende Vertragsklauseln sind bei Lieferverträgen in politisch weniger stabile Regionen insbesondere dann geboten, wenn zwischen Vertragsabschluss einerseits und Lieferung andrerseits ein längerer Zeitraum liegt und nicht ausgeschlossen werden kann, dass in der Zeit bis zur Lieferung politische Maßnahmen verfügt werden, die sich – wie etwa Strafzölle, Embargos oder Veränderungen bei Genehmigungen für Dual-Use-Produkte – auf das Vertragsverhältnis auswirken können.
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Bitte beachten Sie die folgenden Fußnoten und Hinweise:
1. Näher dazu Graf von Bernstorff, Incoterms® 2020, 2020; Piltz, Incoterms® 2020, IWRZ 2020, 157 ff.; Niggebrugge/Alink, De Incoterms 2020, NTHR 2019, 286 ff.; Oertel, INCOTERMS 2020, RIW 2019, 701 ff.
2. In den vorhergehenden Versionen der Incoterms wurde diese Thematik in ähnlicher Weise in den Regeln A2/B2 behandelt.
3. Insbesondere das IT-Verfahren ATLAS (Automatisiertes Tarif- und Lokales Zollabwicklungssystem).
4. Etwa die bei Importen zur Risikoanalyse für Sicherheitszwecke nach dem Unionszollkodex vorgesehene summarische Eingangsanmeldung, Art. 127 UZK (ESumA, Entry Summary Declaration-ENS), vergleichbar dem US-amerikanischen Importer Security Filing (ISF) sowie die Container Security Initiative (CSI).
5. Etwa zur Ausfuhr von Dual-Use-Produkten erforderliche Genehmigungen.
6. Verordnung (EU) Nr. 1907/2006, bezweckt vor allem den Schutz der menschlichen Gesundheit und Umwelt vor den Risiken, die durch Chemikalien entstehen können.
7. Verordnung (EU) Nr. 765/2008, mit der CE-Kennzeichnung wird erklärt, „dass das Produkt den geltenden Anforderungen genügt, die in den Harmonisierungsrechtsvorschriften der Gemeinschaft über ihre Anbringung festgelegt sind.“
8. 2013 BGBl. I 2013, 1111, bezweckt die Beschränkung der Verwendung gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten.
9. Die Möglichkeiten der indirekten Vertretung nach Art. 18 UZK kommt nur selten in Betracht.
10. Vgl. Staudinger/Magnus, Wiener UN-Kaufrecht, Neubearbeitung 2018, Art. 31 Rn. 30; Kröll/Mistelis/Viscasillas/Piltz, UN Convention on Contracts for the International Sale of Goods, 2. Auflage 2018, Art. 31 Rn. 52.
11. Vgl. Schlechtriem/Schwenzer/Schroeter/Widmer Lüchinger, Kommentar zum UN-Kaufrecht, 7. Aufl. 2019, Art. 31 Rn. 80 ff.; ebenso Art. 6.1.14 (a) UNIDROIT-Principles.
12. Näher dazu Kröll/Mistelis/Viscasillas/Piltz, UN Convention on Contracts for the International Sale of Goods, 2. Auflage 2018, Art. 31 Rn. 52 ff.
13. Kröll/Mistelis/Viscasillas/Piltz, UN Convention on Contracts for the International Sale of Goods, 2. Auflage 2018, Art. 31 Rn. 54.
14. Sie dazu oben zu Fn. 4.
15. VO (EU) 300/2008.