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Branchen | Äthiopien | Elektromobilität

Äthiopiens Kfz-Markt zwischen Elektrowunder und Wildwest

Nach dem Importverbot für Diesel- und Benzinmodelle wird Äthiopien zum Testfall für die Elektromobilität. Strom ist billig, es fehlt aber an Ladestationen und auch an Transparenz.

Von Ulrich Binkert | Addis Abeba

Für den Spiegel ist es "das afrikanische E-Auto-Wunder", für die Tagesschau eine "Verkehrswende im Schnellverfahren": Nach einem Verbot des Imports von Fahrzeugen mit Verbrennermotor boomt in Äthiopien der Markt für Elektrofahrzeuge. In der Hauptstadt Addis Abeba kreuzen im Geschäftsviertel Bole immer mehr Stromer die Straßen. Statt Teslas oder BMWs sind eher chinesische Kleinwagen zu sehen, aber auch größere Fahrzeuge wie der ID6 von Volkswagen sind unterwegs. Das VW-Modell kommt ebenfalls aus China und wird in Deutschland nicht verkauft. 

Elektroautos boomen

In den letzten zwei Jahren hat Äthiopien 100.000 Elektrofahrzeuge eingeführt. Dies sagte der Transportminister im März 2024 der Presse. 2030 soll es fast eine halbe Million sein. Dabei waren 2020 im Land gerade 1,2 Millionen Fahrzeuge registriert, ein Fünftel davon motorisierte Zweiräder. Auf 100 Einwohner gibt es in Äthiopien damit nur gut ein Fahrzeug, einer der weltweit niedrigsten Werte. In Deutschland sind es 60 Pkws auf 100 Einwohner. 

Ob diese 100.000 Elektrofahrzeuge auch Zweiräder umfassen und gebrauchte Modelle, ist unklar. Beide machen bei Fahrzeugimporten einen großen Anteil aus. Der Branchendienst Focus2Move meldet für 2022 nur 1.503 Neuzulassungen, Nutzfahrzeuge inbegriffen. Nach Daten der Zollverwaltung jedoch kamen in dem Jahr alleine über 35.000 neue Pkw ins Land, fahrfertig oder als Teilesätze zur lokalen Montage. Dass der Zoll die Einfuhr von lediglich 1.656 gebrauchten Autos ausweist, verwundert zusätzlich. Das alles zeigt, dass die Zahlen zum äthiopischen Kfz-Markt unklar sind.

Die Behörden geben tatsächlich keine Genehmigungen für den Import von Verbrennerfahrzeugen, bestätigte Ende April der Manager einer äthiopischen Firma, die Fahrzeuge aus importierten Teilen montiert. Nach der überraschenden Ankündigung des Einfuhrverbots durch das Transportministerium Ende Januar habe allerdings einige Wochen später das Finanzministerium erlaubt, bereits verschiffte oder georderte Verbrennerfahrzeuge noch einzuführen. Dadurch kämen Importe noch bis Anfang oder Mitte 2025 ins Land. Danach schaffe es aus jetziger Sicht aber kein Verbrenner mehr über die Grenze.

Montage für chinesische E-Busse gestartet

Um die Nachfrage zu bedienen, entstehen in Äthiopien auch Montagewerke für importierte E-Kfz-Bausätze. Eines der größten davon nahm die Belayneh Kinde Group (BKG) Anfang Juni 2024 in Debre Birhan 120 Kilometer nordöstlich von Addis Abeba in Betrieb. Das Werk kostete rund 50 Millionen US-Dollar (US$) und kann jährlich 1.000 Fahrzeuge montieren, hauptsächlich mittelgroße und Mini-Elektrobusse aus Komponenten der Firma Golden Dragon aus China. 

Der BKG-Chef berichtete Ende März 2024 von bisher 216 produzierten E-Fahrzeugen. Mitte Februar 2024 waren Presseberichten zufolge erst 20 öffentliche E-Minibusse in Addis Abeba unterwegs. Deren Zahl nimmt aber rasch zu. Auf E-Autos fallen nur geringe Importzölle und Steuern an. Für andere Fahrzeuge sind diese Abgaben sehr hoch - ein weiterer Grund für den E-Boom.

Große Vorteile für E-AutosAbgaben auf Fahrzeuge in Prozent
Fahrzeugart

Importzölle

Verbrauchsteuer (Excise Tax)

Elektrofahrzeuge

 

10

 montiert (CBU)

15

 

 halb montiert (SKD)

5

 

 in Teilen (CKD)

0

 

Verbrennerfahrzeuge

 

 

 neue (CBU)

30

5-100 *)

 gebrauchte

35

55-500 *)

Es gibt weitere Abgaben wie Zusatzsteuer (surtax) und Mehrwertsteuer (15%), die für alle importierten Waren gelten; * die Steuer steigt mit zunehmendem Hubraum.Quelle: Ethiopian Investment Commission 2020; aktuelle Presseberichte

Strom ist billig

Mit dem Importverbot für Verbrenner will die Regierung vor allem die Ausgaben für Treibstoff senken. Dafür verbraucht das devisenschwache Äthiopien fast ein Viertel seiner Auslandswährung. Vor Tankstellen bilden sich immer wieder lange Schlangen. Ein Liter Benzin oder Diesel kostete im Mai nach offiziellem Wechselkurs umgerechnet circa 1,30 Euro. Das ist etwa 70 Prozent des Preises in Deutschland - bei Strom sind es nur 15 Prozent, bei umgerechnet weniger als 4 Cent pro Kilowattstunde. 

Äthiopien, das "Regendach Afrikas", besitzt Strom im Überfluss. Am Blauen Nil laufen die ersten Turbinen am neuen riesigen Wasserkraftwerk, das die aktuelle Erzeugerkapazität des Landes im Endausbau glatt verdoppeln wird.

Noch kaum öffentliche Ladestationen

Das Stromnetz ist allerdings schwach. Schon jetzt fällt in Addis Abeba, wo bisher die meisten E-Autos unterwegs sind, täglich und wiederholt der Strom aus. Außerdem gibt es bislang kaum öffentliche Ladestationen. Der Transportminister bezifferte deren Anzahl im März 2024 in der Presse mit 60 in der Hauptstadt. Bis 2030 sollen es landesweit 2.226 sein, gut die Hälfte davon in Addis Abeba.

Der befragte Manager allerdings hält auch dies für Wunschdenken, weil für die zu importierende Technik die Devisen fehlten. Die Unternehmen, die Kfz-Sätze im Land montieren, erwarteten für sich deshalb seitens der Regierung eine Verpflichtung, für den Erhalt ihrer Geschäftslizenz Ladestationen aufzustellen. Auch Werkstätten, Ersatzteile und qualifizierte Mechaniker für Wartung und Betrieb der neuen Technik fehlen. Zudem braucht Äthiopien für den Wiederaufbau der kriegsgebeutelten Provinz Tigray im Norden eine Menge Ressourcen und nach Schätzungen der Regierung mindestens 20 Milliarden US$. 

Angesichts der strengen Devisenbewirtschaftung durch die Regierung fragen sich Beobachter, wo die vielen Dollar für den Stromer-Importboom herkommen sollen. Es gibt dafür mehrere Erklärungen, die meisten haben mit der Schattenwirtschaft zu tun. Demnach schauen die Behörden weg, wenn Import- und Devisenvorschriften umgangen werden. Im Ergebnis kommen für die raren Dollars E-Autos ins Land anstelle der offiziell erwünschten Medikamente, Nahrungsmittel oder Investitionsgüter. 

Markt mit Wildwest-Manieren

Auch die große äthiopische Diaspora im Ausland finanziert den Erklärungen zufolge den E-Auto-Boom. Deren Geld geht demnach zum Teil nicht mehr als Überweisung an die Verwandtschaft zu Hause, sondern bleibt bei Banken und später bei Kfz-Lieferanten im Ausland. Mitverdiener sind dabei Mittelsleute in Äthiopien. Für den Umtausch gilt der Schwarzmarktkurs, der nach der jüngst erfolgten Freigabe des Wechselkurses allerdings nicht mehr so stark von der offiziellen Rate abweicht. Äthiopiens Zentralbank weist tatsächlich einen Rückgang der "Transfers privater Individuen" aus. Im 1. Halbjahr 2023 lag das Dollar-Minus gegenüber dem Vorjahreszeitraum bei 28 Prozent. 

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