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Nachhaltiger Tourismus auf dem Westbalkan hat Potenzial
Seit rund zehn Jahren entwickelt sich auf dem westlichen Balkan ein Eldorado für Sportbegeisterte. Kapazitäten und Branding hinken aber noch hinterher.
28.12.2021
Von Martin Gaber | Belgrad
Die unberührte Natur auf dem Westbalkan bietet perfekte Bedingungen für Naturliebhaber, darunter auch zahlreiche Nationalparks. Mit Biogradska Gora in Montenegro und Shebenik-Jablanica in Bosnien-Herzegowina sind sogar manche der letzten urzeitlichen Wälder Europas darunter. Das Angebot für nachhaltigen Tourismus wächst, Branding und Kapazitäten müssen aber noch nachziehen.
Fernwanderwege durchziehen den Westbalkan
Seit 2018 verbindet der High Scardus Trail auf einer Länge von 289 Kilometer und in 16 Etappen die drei Länder Albanien, Kosovo und Nordmazedonien. Der Trail durchquert dabei auch sechs Nationalparks. Hinzu kommen über 200 Kilometer Nebentrails, die einen Ein- und Ausstieg ermöglichen oder zu besonderen Sehenswürdigkeiten entlang der Strecke führen. Zudem liegt der Korab, mit über 2.700 Metern der höchste Gipfel des Westbalkans, an der Strecke.
Nordmazedonien liegt im Trend
Lonely Planet, einer der weltgrößten Verlage für Reise- und Sprachführer, hat Nordmazedonien im Jahr 2020 zu den Top 3 Urlaubsländern weltweit gewählt - auch, weil mit dem High Scardus Trail ein weiterer Anreiz für einen Urlaub in dem Balkanstaat dazugekommen ist.
Noch steckt das ambitionierte Projekt in den Kinderschuhen. Die Outdoorbranche in Nordmazedonien entwickelt sich gerade, hinkt Albanien aber noch hinterher. Die Infrastruktur muss ebenfalls noch nachziehen.
Der englische Begriff Trail ist mittlerweile auch in der deutschen Sprache geläufig. Er bezeichnet meist enge, naturbelassene Wege. Der Begriff wird vor allem im Mountainbikesport (Single Trail), beim Laufen in unbefestigtem Gelände (Trail Running) oder beim Wandern (Peaks of the Balkans Trail) verwendet. |
Peaks of the Balkans wirkt Landflucht entgegen
Bereits etwas länger gibt es den Peaks of the Balkans Trail. Er verbindet Albanien, Montenegro und Kosovo. Der Fernwanderweg ist mit 192 Kilometern etwas kürzer als der neue High Scardus Trail. Er wurde bereits 2011 eingeweiht und gilt als Pionier für grenzüberschreitendes Wandern in der Region. Entlang des Trails sind nachhaltige Tourismuskonzepte entstanden, die insbesondere die einheimische Landbevölkerung einbezogen haben. So entstand eine Perspektive vor Ort. Damit ist es auch gelungen, der Landflucht in Albanien entgegenzuwirken. Teilweise sind Familien sogar in ihre Dörfer zurückgekehrt. Die Übernachtungen entlang des Trails finden in sogenannten Homestays bei lokalen Familien statt. Für Gäste bietet sich so die Gelegenheit, neben Landschaft und Biodiversität auch Leute und Kultur kennenzulernen.
Infrastruktur kommt an ihre Grenzen
Doch der Trail kommt mittlerweile an seine Kapazitätsgrenze. So verzeichnet beispielsweise Theth, ein Dorf entlang des Trails in den Albanischen Alpen, 50.000 Gäste pro Jahr. Im Jahr 2007 waren es noch 300. „Der Trail ist in gewisser Weise Opfer seines eigenen Erfolgs geworden. In der Hauptsaison, gerade mit Start am Wochenende, sind die Kapazitäten ausgeschöpft,“ erklärt Ricardo Fahrig. Der Deutsche ist bereits seit 2012 mit seiner Agentur Zbulo! in Albanien aktiv und unterstützt Tourismusprojekte als Experte. Auch deswegen sind Alternativen wie der High Scardus Trail notwendig. Nur so können die lokale Wirtschaft und der ländliche Tourismus nachhaltig weiterwachsen.
Vorreiter für die ländliche Tourismusentwicklung in der Region war die Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ). Die GIZ hat von 2005 bis 2007 den Tourismussektor in Theth mit fünf Projektgasthäusern gestärkt und vor Ort Mindeststandards gesetzt.
Im Jahr 2014 wurde der Trail vom Weltforum für Reise und Tourismus (World Travel and Tourism Council, WTTC) mit dem Tourism of Tomorrow Award ausgezeichnet. Die Laudatio des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton, in der er unterstrich, dass der Trail Geister und Grenzen geöffnet habe, sorgte für weitere internationale Aufmerksamkeit.
Neuer Trail entsteht an der albanischen Riviera
Neben dem Peaks of the Balkans und dem High Scardus Trail gibt es weitere Optionen in der Region. So durchquert die Via Dinarica auf drei unterschiedlichen Strecken den westlichen Balkan von Nordwesten nach Südosten. Alle drei Routen beginnen in Slowenien.
In Albanien entsteht mit dem Southern Coastal Trail entlang der Küste ein neuer Wanderweg abseits des Hochgebirges. In sechs Etappen stehen Strände, alte Ziegenpfade, verwinkelte Gässchen in romantischen Dörfern und Olivenhaine sowie tolle Ausblicke auf dem Programm. Der Pfad soll helfen, die kurze Saison an der albanischen Riviera Richtung Frühjahr und Herbst zu verlängern und eine Alternative zum Badetourismus bieten. Zudem bezieht er bislang unbekannte Dörfer im Hinterland in die Wertschöpfungskette des Tourismus ein. Der Trail existiert zwar bereits, noch ist die Vermarktung aber nicht abgeschlossen.
Auch kleinere Trails im Südosten können eine interessante Alternative sein, beispielsweise rund um Permet und das Zagoria Tal. Das gilt auch für den Norden um Dukagjini, einen abgelegenen Winkel Albaniens, der mit einer wilden Natur besticht.
Mountainbiking gerade gestartet
Während sich der Wandetourismus bereits gut entwickelt, steht der Radsport noch ganz am Anfang. Potenzial ist reichlich vorhanden. So kommen beim High Scardus Trail auf eigenen Wegen Mountainbiker auf ihre Kosten.
"Wir wurden jeden Tag aufs Neue positiv überrascht. Die Route, so wie wir sie in Angriff genommen haben, war konditionell und technisch fordernd, was genau unserem Geschmack entsprochen hat."
Mit dieser Einschätzung unterstreicht Christoph Berger-Schauer, Geschäftsführer des österreichischen Fachmagazins Lines, das reichlich vorhandene Potenzial. So kommen beim High Scardus Trail Mountainbiker auf ihre Kosten.
Eine Alternative für Mountainbiketouren ist die Trans Dinarica, die sich über acht Länder und insgesamt 2.000 Kilometer erstreckt. Sie kann in einzelne Etappen, Länder und Schwierigkeitskategorien unterteilt werden.
Im Süden Bosnien und Herzegowinas wurde die alte Schmalspurbahn Ćiro in einen 140 Kilometer langen Radweg umfunktioniert, der die Städte Ivanica und Mostar verbindet. Der Tourismus beschränkt sich hier häufig noch auf abenteuerlustige Reisende, welche die Strecken auf eigene Faust erkunden.
Potenzial für Radsport auf der Straße bietet gute Chancen
Während verschiedene Ziele am Mittelmeer von Rennrad- und Trekkingtouristen profitieren, gibt es auf dem westlichen Balkan hierfür bislang kein professionelles Angebot. Geeignet wäre die Region dafür aber allemal: Eine abwechslungsreiche Topographie und teilweise mediterranes Klima sind optimale Voraussetzungen, wie Holger Götze, ein Teilnehmer des deutschen Teams bestätigt.
„Landschaftlich sehr reiz-, aber auch anspruchsvoll. Die Straßenverhältnisse waren in Ordnung. Und man spürt in Sarajewo nach wie vor den Geist von Olympia 1984.“
Erste Versuche den Straßensport populärer zu machen, gibt es bereits. In Albanien wurden erste Tourenangebote entwickelt, Bosnien und Herzegowina hat 2021 die Straßenweltmeisterschaft in der Kategorie Gran Fondo ausgerichtet. Wird das Angebot weiterentwickelt, so hat der Straßenradsport in der Region mittel- bis langfristig eine gute Perspektive.
Das europäische Radwegenetzwerk EuroVelo hat die Balkanstaaten ebenfalls in sein Portfolio aufgenommen. So führt der Fernradweg 8 entlang der Mittelmeerküste von Spanien bis Griechenland. Die Abschnitte in Montenegro und Albanien befinden sich noch in der Entwicklungsphase. Sie könnten künftig für Anbieter von Radreisen eine spannende Alternative darstellen.
Wassersport bietet kühle Alternative im Hochsommer
Die Schluchten der dinarischen Alpen bieten Möglichkeiten für diejenigen, denen Fernwanderwege und Radsport zu langweilig sind. Auf den zahlreichen Flüssen der Region gibt es Angebote für Rafting oder auch Canyoning. Bekannt für Rafting sind die Flüsse Neretva (Bosnien und Herzegowina), Tara (Montenegro) und Vjosa (Albanien). Vjosa gilt als einer der letzten wilden Flüsse Europas.
Tourismus kommt wieder in Fahrt
"Unsere Auftragslage liegt bei rund 50 Prozent von 2019. Für uns ist das eine positive Überraschung. Seit 2021 Reisen wieder möglich waren, geht es deutlich bergauf. Ab 2022 hoffen wir auf eine weitere Zunahme" sagt Ricardo Fahrig. Allerdings bringt der anziehende Tourismus auch Herausforderungen mit sich. Gastwirte haben im Coronajahr die Instandhaltung vernachlässigt, Autos verkauft oder Personal verloren. Mit einer steigenden Nachfrage dürfte sich die Situation wieder stabilisieren.
Informationen sind häufig nur schwer zu finden
Auch abseits von Corona steht der Outdoortourismus auf dem Westbalkan noch vor einigen Herausforderungen. Die Vermarktung und das Branding hinken etablierten Tourismusregionen noch hinterher. Es mangelt an einer zentralen Koordination und Steuerung. Die Betreiber sind häufig Einzelkämpfer.
Interessierte stoßen häufig schon beim Informationsangebot an ihre Grenzen. Zu einzelnen Aktivitäten und Angeboten sind teilweise nur wenige Informationen abrufbar. Webseiten funktionieren nicht, sind veraltet oder nicht vorhanden. Für die Umsetzung des noch ungenutzten Potenzials ist Know-how aus etablierten Tourismusstandorten wie Deutschland oder Österreich besonders gefragt. Beim High Scardus Trail werden nun die Trails Angels unterstützen. Die österreichische Agentur hat sich auf nachhaltigen Tourismus spezialisiert und weltweit bereits Projekte unterstützt.
Kapazitäten sind häufig noch begrenzt. Etablierte Projekte stoßen in der Hochsaison schnell an ihre Grenzen, andere Projekte stecken wiederum noch in der Anfangsphase. "Gerade die lokale Bevölkerung muss oft erst Vertrauen gewinnen, bevor sie sich auf neue Projekte einlässt und mitzieht. Zudem ist es nicht leicht, Alternativen aufzubauen. Es geht um Finanzen, Rechnungen, Registrierungen und auch um eine entsprechende Ausbildung und Erfahrung", sagt Ricardo Fahrig. Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) setzt deshalb im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in der Region verschiedene Maßnahmen zur Aus- und Weiterbildung von Fachkräften im Tourismussektor um.
In Albanien bieten zwei Festivals einen Überblick über alle Möglichkeiten. Dort lassen sich auch die verschiedenen Sportarten direkt ausprobieren: |