Special | Argentinien | Seidenstraße
China mit weitreichenden Absichten in Argentinien
China investiert Milliarden in Argentinien. Im Fokus stehen der Rohstoff- und Energiesektor. Aber nicht nur wirtschaftliche Ziele werden hinter dem Engagement vermutet. (Stand: 24.05.2023)
24.05.2023
Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile
Während deutsche Unternehmen angesichts der andauernden Wirtschaftskrise in Argentinien eher in Wartestellung verharren, baut China sein Engagement dort weiter aus. Beim Beitritt zur chinesischen Seidenstraßeninitiative im Februar 2022 vereinbarten Argentinien und China gemeinsame Projekte im Umfang von 24 Milliarden US-Dollar (US$).
Auch der Warenaustausch zwischen beiden Ländern wächst stetig, nicht zuletzt wegen sogenannter Währungsswaps, die den US-Dollar als Handelswährung umgehen. Im Jahr 2022 war China erstmals wichtigstes Lieferland vor Brasilien - mit stark steigender Tendenz der chinesischen Importe. Auch andere wichtige Handelspartner, darunter die USA und Deutschland, können bei diesem Tempo nicht mithalten.
China sichert sich Zugang zu Lithiumvorkommen
Argentinien gehört mit Chile und Bolivien zum sogenannten Lithiumdreieck, einer Region, wo sich mehr als die Hälfte der weltweiten Reserven des wertvollen Metalls befinden. Für Chinas Rohstoffpolitik ist Argentinien deshalb von großer Bedeutung. Um die Versorgung der eigenen Industrie sicherzustellen, haben sich Firmen wie Ganfeng, Zijin Mining, Tibet Summit Resources und Tianqi Zugang zu lukrativen Lagerstätten in Argentinien gesichert. Und sie treiben Investitionen in die Produktion von Lithiumkarbonat und -chlorid voran. Im Jahr 2021 unterzeichneten Ganfeng Lithium und die Provinzregierung von Jujuy zudem eine Absichtserklärung zum Bau einer Batteriefabrik.
Energiesektor ebenfalls im Fokus
Ein weiterer Schwerpunkt chinesischer Investitionen ist der Energiesektor. Im November 2022 sagte der chinesische Präsident Xi Jinping seinem argentinischen Amtskollegen Alberto Fernández zu, noch offene Gelder chinesischer Banken für den Bau der beiden Staudämme Néstor Kirchner und Cepernic beschleunigt auszuzahlen. Die Inbetriebnahme ist für 2027 geplant. Schon im Mai 2022 war für den Bau zweier Wasserkraftwerke in Patagonien ein neuer Kredit vereinbart worden.
Gefahr finanzieller Abhängigkeit wächst
Zudem sollen chinesische Unternehmen zwei Kernkraftwerke in Argentinien bauen und großteils auch finanzieren: Atucha III und Atucha IV. Derzeit liegt Atucha III allerdings auf Eis, weil beide Länder sich bei der Finanzierung des über 8 Milliarden US$ teuren Projekts nicht einig werden. Argentinien will, dass China die Kosten zu 100 Prozent trägt, China besteht auf 85 Prozent. Außerdem will Argentinien selbst die Brennstäbe liefern - China ebenso. Bei Attucha IV sind die Arbeiten bisher nicht über das Planungsstadium hinausgekommen.
Chinaexperten wie der Wirtschaftsprofessor Eduardo Daniel Oviedo warnen indes vor einer zunehmenden finanziellen Abhängigkeit Argentiniens gegenüber China. Laut dem Washingtoner Thinktank Inter-American Dialogue erhielt Argentinien zwischen 2007 und 2021 die höchste Zahl an Krediten chinesischer Geschäftsbanken unter allen Ländern Lateinamerikas: insgesamt 36. Und gemäß dem Portal AidData vergab die Volksrepublik zwischen 2016 und 2021 Liquiditätshilfen und Notkredite an 22 Länder in Höhe von rund 240 Milliarden US$, davon allein 112 Milliarden US$ an Argentinien.
Chinas Projekte nicht immer als solche erkennbar
Insgesamt fällt auf: China investiert nicht nur punktuell in Einzelprojekte, sondern kauft sich entlang der gesamten Lieferkette ein, bis hin zum Verschiffungshafen. Das Land investiert auch über Drittstaaten beziehungsweise über Firmen, die es in anderen Ländern erworben hat oder über Steuerparadiese wie den Kaiman-Inseln. Laut Eduardo Daniel Oviedo, Professor an der Nationalen Universität von Rosario, trifft das für 95 Prozent aller chinesischen Direktinvestitionen in Argentinien zu. Offizielle FDI-Statistiken sind deshalb nicht aussagekräftig.
Plant China einen Militärstützpunkt im Süden Argentiniens?
Einige chinesische Projekte sind aus westlicher Sicht besonders kritisch, weil sie über rein kommerzielle Ziele hinausgehen dürften. Das trifft auf ein Engagement in Feuerland, im Süden Argentiniens, zu. Im Januar 2023 unterzeichneten der dortige Gouverneur und das chinesische Staatsunternehmen Shaanxi Chemical Industry Group eine Absichtserklärung zum Bau eines "Mehrzweckhafens", einer Chemiefabrik und eines Kraftwerks.
Der Hafen könnte China in die Lage versetzen, die Passage zwischen Atlantik und Pazifik sowie die Kommunikation in der gesamten Hemisphäre zu überwachen. Statt der Strom- und Düngemittelerzeugung zu dienen, könnte das Projekt in einen Marinemilitärstützpunkt mit Ziel Antarktis umgewandelt werden, so Bedenken in Argentinien und von US-Seite. Dieser Verdacht wird dadurch untermauert, dass der Betrieb eines Hafens dieser Art in der weit abgeschlagenen Region nicht rentabel sei, wie die argentinische Digitalzeitung infobae recherchierte.
Ähnlich kontrovers ist der Plan einer zweiten Satellitenstation Chinas. Bereits seit 2019 betreibt die Volksrepublik mit Zustimmung des argentinischen Abgeordnetenhauses auf 200 Hektar eine Satellitenstation in der Provinz Neuquén. Der Vertrag gilt für 50 Jahre. Laut dem chinesischen Nachrichtenportal german.china.org.cn spielt Chinas erstes Bodenkontrollzentrum auf der Südhalbkugel seither eine wichtige Rolle für das Satellitennetz des Landes sowie bei geplanten Raumfahrtmissionen. Zwar kommen alle Techniker aus China und argentinische Vertreter haben nur schwer Zutritt. Jedoch soll Argentinien "strategische Informationen" von Chinas Aufklärungssatelliten erhalten, so der chinesische Propagandakanal.
Deutlich kritischer sieht dies die argentinische Tageszeitung La Nación: "Die Art der Einrichtung unterstützt die Satellitenverfolgung für zivile, friedliche sowie für militärische und Spionagezwecke wie das Abhören sensibler Daten aus anderen Ländern und das Versenden verschlüsselter Nachrichten." Tatsächlich unterstehen die beteiligten chinesischen Regierungsbehörden direkt der Volksbefreiungsarmee. Vor diesem Hintergrund ist die Hypothese einer militärischen Nutzung neben den vereinbarten wissenschaftlichen Zwecken nicht abwegig.