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Konsumlaune in China trübt sich stark ein
Der Einzelhandel leidet unter Lockdowns und der Immobilienkrise. Die Aussichten für 2022 sind nicht rosig. Absolut betrachtet wächst der Markt aber immer noch kräftig.
26.01.2022
Von Roland Rohde | Hongkong
Die Konsumlaune hat sich in China stark eingetrübt. Das Wiederaufflackern von Covid-19 und das Auftreten der Omikron-Variante führten im Verlaufe des 2. Halbjahres 2021 immer wieder zu lokalen Lockdowns. Im Dezember 2021 wurde Xi'an, die Heimat der weltberühmten Terrakottaarmee, für mehrere Wochen komplett unter Quarantäne gestellt. Im Januar 2022 ereilte das gleiche Schicksal Stadteile der Hafenmetropole Tianjin.
Reisen innerhalb des Landes sind nur noch bedingt möglich. Die Bewohner vieler Städte werden dazu aufgerufen, diese nicht mehr zu verlassen. Unter solchen Bedingungen nehmen Verbraucher Abstand von ausgiebigen Shoppingtouren. Dadurch fehlen wichtige Spontankäufe. Zudem scheint das Interesse am E-Commerce als Ersatzlösung deutlich nachzulassen.
Hinzu kommen die Folgen der bevorstehenden Insolvenz des Immobilienkonzerns Evergrande. Auch wenn nicht mehr mit einem Übergreifen auf den Finanzsektor zu rechnen ist, wirkt sich die Pleite negativ auf das Neubaugeschäft und die Wohnungspreise aus. Auf dem Papier werden viele Haushalte ärmer. Dieser sogenannte Vermögenseffekt wirkt sich nachteilig auf die Konsumbereitschaft aus.
Abkühlung seit dem 1. Quartal 2021
Die gesamten Einzelhandelsumsätze Chinas legten 2021 nach Angaben des nationalen Statistikamtes (National Bureau of Statistics; NBS) in der Durchschnittsbetrachtung zwar nominal um 12,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu. Doch in der monatlichen Betrachtung zeigt sich eine Abwärtskurve. Während sich im Januar, Februar und März 2021 noch ein Wachstum von einem Drittel im Vergleich zum Vorjahresquartal einstellte, fielen die monatlichen Wachstumsraten ab der zweiten Jahreshälfte in den einstelligen Bereich.
Im Dezember 2021 lagen die Einzelhandelsumsätze nominal nur noch 1,7 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Real ergab sich damit eine Stagnation. Solche Werte sind für chinesische Verhältnisse extrem niedrig. In Zeiten vor der Pandemie legte der Einzelhandelsumsatz regulär um 8 bis 9 Prozent zu.
E-Commerce entwickelt sich nicht mehr antizyklisch
Während sich der E-Commerce 2020 stark antizyklisch entwickelte und regelrecht boomte, kehrte er 2021 auf den Boden der Tatsachen zurück. Die Wachstumslücke zwischen dem Online- und Offlinehandel hat sich 2021 geschlossen. Beide Vertriebsarten verzeichneten auf das Gesamtjahr 2021 hochgerechnet ähnliche Wachstumsraten.
Indikator | 2019 | 2020 | 2021 | Veränd.1 |
---|---|---|---|---|
Einzelhandelsumsatz mit Konsumgütern insgesamt, davon | 5.958 | 5.686 | 6.940 | 12,5 |
in größeren Geschäften getätigt2 | 2.142 | 2.079 | 2.584 | 13,4 |
Anteil der größeren Geschäfte am Einzelhandelsumsatz (in Prozent) | 36,0 | 36,6 | 37,2 | 0,63 |
Online-Einzelhandelsumsatz mit Konsumgütern | 1.234 | 1.416 | 1.701 | 12,0 |
Anteil des Onlinehandels am Einzelhandel (in Prozent) | 20,7 | 25,1 | 24,5 | -0,63 |
Die Aussichten für 2022 sind eher trüb. Die Omikron-Variante des Coronavirus dürfte sich stärker im Land verbreiten. Da Beijing nach wie vor auf eine strikte Null-Covid-Strategie setzt, wird es weiterhin zu lokalen Lockdowns und Reisebeschränkungen kommen. Die Situation könnte sich sogar spürbar verschlechtern.
Langfristige Trends treten zum Vorschein
Zugleich machen sich längerfristige Trends zunehmend bemerkbar. Die Verschuldung hat inzwischen ein nicht mehr tragfähiges Niveau erreicht. Allein die chinesische Staatsbahn sitzt auf Verbindlichkeiten in Höhe von rund 900 Milliarden US-Dollar (US$), dreimal mehr als Evergrande. Hinzu kommt die rasche Alterung der Gesellschaft. China dürfte den Wettlauf, schneller reich als alt zu werden, kaum noch gewinnen.
Die Schuldenspirale und die Alterung der Bevölkerung drücken langfristig auf den Konsum.
Immer mehr Geld muss daher in die Stabilisierung des Rentensystems und die Bedienung von Schulden fließen. Das drückt wiederum auf die Konjunktur. Für 2022 prognostiziert Goldmann Sachs für China nur noch ein Wachstum des Bruttoinlandsproduktes von real 4,3 Prozent. Dabei handelt es sich um den zweitschlechtesten Wert der letzten viereinhalb Jahrzehnte.
Dennoch bleibt China nach wie vor ein attraktiver Markt für Konsumgüter. Für 2021 ergab sich laut NBS ein Einzelhandelsvolumen von umgerechnet fast 7 Billionen US$. Bei solch hohen Basiswerten bedeutet selbst ein Wachstum von nur 3 Prozent einen absoluten Zuwachs von rund 200 Milliarden US$.
Daten zur Konsumstruktur mit Vorsicht zu genießen
Laut chinesischer Statistik entfielen 2021 fast 40 Prozent der Einzelhandelsumsätze auf Kraftfahrzeuge und -stoffe. Allerdings beziehen sich die Zahlen ausschließlich auf in größeren Geschäften getätigte Verkäufe. Insofern sind die Zahlen mit Vorsicht zu genießen. Der Autohandel und Tankstellen befinden sich zumeist in der Hand von größeren Firmen.
Bei Bekleidung und Nahrungsmitteln, die zusammen auf einen Anteil von 20 Prozent an den gesamten Einzelhandelsumsätzen kommen, dominieren hingegen kleine Läden. Demzufolge dürfte der tatsächliche Anteil über der Rate der in größeren Geschäften getätigten Umsätze liegen. Ziemlich repräsentativ sind hingegen die Wachstumsraten der einzelnen Sparten. Besonders dynamisch entwickelten sich 2021 Nahrungsmittel, Getränke und Güter des täglichen Bedarfs, Arzneimittel, Baumarktartikel, Schreibwaren sowie Produkte für den Sport- und Freizeitbedarf.
Sparten | Umsatz | Veränderung | Anteil |
---|---|---|---|
Kraftfahrzeuge | 689,3 | 7,6 | 26,7 |
Kraftstoffe | 328,8 | 21,2 | 12,7 |
Bekleidung, Schuhe, Textilien | 271,9 | 12,7 | 10,5 |
Nahrungsmittel | 263,8 | 10,8 | 10,2 |
Haushalts- und Unterhaltungselektronik | 147,0 | 10,0 | 5,7 |
Waren für den täglichen Bedarf | 116,8 | 14,4 | 4,5 |
IKT-Geräte | 100,1 | 14,6 | 3,9 |
Arzneimittel | 91,7 | 9,9 | 3,5 |
Alkohol, Tabakwaren | 75,4 | 21,2 | 2,9 |
Kosmetik | 63,4 | 14,0 | 2,5 |
Einzelhandel bleibt stark fragmentiert
Chinesische Konsumenten meiden zunehmend traditionelle Tagesmärkte aufgrund der hygienischen Bedingungen. Stattdessen gehen Verbraucher lieben in Super- und Hypermärkten sowie in Shoppingmalls einkaufen. Dennoch dürfte der Großteil des Einzelhandelsumsatzes auf absehbare Sicht auf kleine inhabergeführte Geschäfte entfallen. Damit bleibt der Einzelhandel stark fragmentiert, intransparent und protektionistisch.
Für ausländische Anbieter von Konsumgütern erschweren die hohe Sprachbarriere, die von westlichen Konsummustern abweichenden Geschmäcker und die undurchsichtigen Vorschriften das Geschäft. Daher kommt einem Handelsvertreter eine wichtige Vermittlerrolle zu. Weitergehende Informationen bietet die GTAI-Broschüre "Vertrieb und Handelsvertretersuche – China".