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Platzt in China die Immobilienblase?
Das Neubaugeschäft, die Landkäufe und Immobilientransaktionen sind dramatisch eingebrochen. Kaum zu vermeidende Zinssteigerungen dürften den Sektor weiter schwächen.
07.10.2022
Von Roland Rohde | Bonn
Viele Landeskenner haben schon vor Jahren ein Platzen der Blase am chinesischen Immobiliensektor erwartet. Im Jahr 2022 ist der Fall nun eingetreten. Die negativen Auswirkungen dürften dafür umso größer und langfristiger sein. Im Prinzip muss der Markt nun Jahrzehnte der Fehlentwicklung korrigieren. So wurden zahlreiche Wohnungen am Bedarf vorbei gebaut, ganze Vorstädte machen teilweise einen verwaisten Eindruck. Um die Realität zu verschleiern, hängten Immobiliengesellschaften in leerstehenden Apartments Gardinen auf und ließen nachts etwa das Licht brennen.
Der chinesische Immobilienmarkt funktionierte wie ein riesiges Schneeballsystem: Die Bevölkerung kaufte als Geldanlage und Altersvorsorge fleißig Wohnungen, um diese nach ein paar Jahren gewinnbringend zu veräußern. Mit dem Geld tätigten chinesische Käufer wiederum neue Investitionen. Große Immobilienentwickler kamen an günstige Kredite und drehten oftmals ein viel zu großes Rad. Ein solches Modell funktioniert solange die Preise steigen. Doch sobald diese sinken, bricht es in sich zusammen.
Abwärtsspirale dreht sich mit zunehmenden Tempo
Mit den finanziellen Schwierigkeiten des Konzerns Evergrande im Jahr 2021 war der Wendepunkt erreicht. Seitdem dreht sich eine Abwärtsspirale, die 2022 deutlich an Geschwindigkeit zulegt. Das Neubaugeschäft, die Transaktionen sowie Landkäufe der Immobilienfirmen sind dramatisch eingebrochen. Auch die Preise bröckeln, allerdings geben offizielle Zahlen dies noch nicht wieder. Vermutlich versuchen viele Wohnungsbesitzer, ihre Objekte möglichst lukrativ zu verkaufen, ohne dabei allzu große Verluste einzukassieren, finden aber keine Abnehmer.
Bereits die offiziellen Zahlen zeichnen ein äußerst düsteres Bild für den Wohnungsmarkt. Die tatsächliche Lage dürfte noch prekärer sein.
Die offiziellen Zahlen des nationalen Statistikamtes sind besorgniserregend. So waren Neubauprojekte im Hochbau flächenmäßig bereits 2021 auf Jahresbasis um gut 11 Prozent geschrumpft. In den ersten acht Monaten 2022 beschleunigte sich der Rückgang auf rund 37 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Das Geschäft hat sich damit insgesamt nahezu halbiert. Die Landkäufe der Immobiliengesellschaften gingen von Januar bis August 2022 sogar um die Hälfte zurück. Das macht die Lage insbesondere für Lokal- und Regionalregierungen umso prekärer, die sich zu einem signifikanten Teil über den Verkauf von Landnutzungsrechten an Immobilienkonzerne finanzieren.
Indikator | 2021 | Januar bis August 2022 |
---|---|---|
Landkäufe von Immobilienfirmen (flächenmäßig) | -15,5 | -49,7 |
Laufende Bauprojekte (flächenmäßig) | 5,2 | -4,5 |
Fertiggestellte Bauprojekte (flächenmäßig) | 11,2 | -21,1 |
Neubauprojekte (flächenmäßig) | -11,4 | -37,2 |
Immobilienverkäufe (flächenmäßig), davon | 1,9 | -23,0 |
Wohnungsverkäufe | 1,1 | -26,8 |
Immobilienverkäufe (wertmäßig), davon | 4,8 | -27,9 |
Wohnungsverkäufe | 5,3 | -30,3 |
Immobilieninvestitionen (wertmäßig) | 4,4 | -7,4 |
Ebenso gingen die Verkäufe 2022 zweistellig zurück, am größten war das Minus in der Wohnungssparte. Dort verzeichnete die offizielle Statistik von Januar bis August 2022 einen (wertmäßigen) Rückgang von 30 Prozent. Andere Quellen kommen auf noch schlechtere Ergebnisse. Gemäß Angaben der China Index Academy ging die Anzahl der verkauften Neuwohnungen im 1. Halbjahr 2022 in 100 beobachteten Städten um fast 50 Prozent zurück.
Noch kein Preisrückgang auf dem Papier
Bei den Preisen lässt sich derweil noch kein Rückgang verzeichnen. Laut der China Real Estate Association lagen diese im August 2022 in vielen Städte immer noch, teils sogar deutlich über dem Niveau des Vorjahresmonats. In Beijing, Shenzhen und Shanghai betrugen die Quadratmeterpreise weiterhin mehr als 10.000 US-Dollar. Angesichts der stark zurückgegangenen Transaktionen sind diese Angaben aber nur bedingt aussagekräftig. Zudem tendieren Makler dazu, die Preisentwicklung schönzuschreiben, um nicht ihr eigenes Geschäft zu belasten.
Die Regierung dürfte den Ernst der Lage erkannt haben. So wurden 2022 die Möglichkeiten zur Kreditaufnahme verbessert, Steuern gesenkt und finanzielle Unterstützungsleistungen gewährt. Doch insgesamt dürften diese Maßnahmen weitgehend verpuffen, zumal die Geldpolitik weltweit rasch gestrafft wird. Die Volksrepublik wird letztendlich nachziehen müssen, wenn sie eine Kapitalflucht, eine starke Abwertung der Inlandswährung und hohe Inflation verhindern will.
Verschuldungsproblematik bleibt angespannt
Die Zinsen werden daher auch im Reich der Mitte auf kurz oder lang steigen, was wiederum die Lage am Immobiliensektor weiter verschärfen dürfte. Hinzu kommt, dass die Verschuldung ohnehin schon besorgniserregende Höhen erreicht. Bei Unternehmen ist die Verschuldungsrate laut Angaben der Bank of International Settlements (BIS) bereits die höchste innerhalb Asiens. Dahinter stecken unter anderem Kredite von Immobiliengesellschaften wie Evergrande.
Weniger dramatisch erscheint die Lage der privaten Haushalte, bei denen die Volksrepublik im Mittelfeld liegt. Erhebliche Sorgen bereitet jedoch die Dynamik, denn noch vor einigen Jahren rangierte China im unteren Bereich. Zwischen dem 1. Quartal 2012 und dem 1. Quartal 2022 sind die Verbindlichkeiten der Privathaushalte absolut betrachtet um den Faktor fünf gestiegen. Die entsprechende Schuldenquote im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) hat sich im vorliegenden Zeitraum mehr als verdoppelt.
Langfristige Aussichten bleiben düster
Immer mehr Ökonomen erwarten, dass China eine ähnliche Entwicklung nehmen könnte wie Japan Anfang der 90er-Jahre. Damals platzte im Land der aufgehenden Sonne eine riesige Immobilienblase. Darauf folgte eine langwierige Phase mit niedrigem Wachstum, die Experten als "zwei verlorene Jahrzehnte" bezeichnen.
Auch wenn sich dieses Szenario nicht vollständig auf die Volksrepublik übertragen lässt, sind die Jahre des großen Wachstums für China vorüber. Laut Prognosen der Weltbank wird das chinesische BIP 2022 um weniger als 3 Prozent zulegen. Für das Jahr 2023 werden 4,5 Prozent erwartet. Erstmals seit Jahrzehnten wachsen andere Länder in der Region wie Indien, Indonesien, die Philippinen und Vietnam damit schneller als das Reich der Mitte.