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Pharmabranche in China steuert 2023 auf neuen Rekord zu
Die Arzneimittelindustrie lässt das Vorkrisenniveau weit hinter sich. Der riesige und wachsende Markt lockt weiter ausländische Firmen an, doch zugleich steigen die Risiken.
19.07.2023
Von Roland Rohde | Bonn
Insgesamt betrachtet hat die chinesische Pharmabranche stark von der Coronapandemie profitiert. So stiegen ihre Umsätze 2021 gegenüber dem Vorjahr um 20 Prozent. Die Gewinne legten sogar um nahezu 80 Prozent zu, während sich die Branchenausfuhren mehr als verdoppelten. Zwar stellte sich 2022 wieder eine gewisse Marktnormalisierung ein. Doch mit Ausnahme der Exporte überschreitet die Branche das Vorkrisenniveau immer noch deutlich.
So gingen die Umsätze der Arzneimittelhersteller 2022 lediglich um 1,6 Prozent zurück. Zwar schrumpfen die Gewinne fast um ein Drittel, doch angesichts einer durchschnittlichen Umsatzrendite von rund 15 Prozent haben die wenigsten Unternehmen Grund zu klagen. Derweil sanken die Branchenexporte 2022 um knapp zwei Drittel und kehrten damit zum Vorkrisenniveau zurück. Chinesische Covid-19-Impfstoffe, die Anbieter zuvor noch an zahlreiche Entwicklungsländer verkauft hatten, wurden wegen ihrer geringeren Wirksamkeit nicht mehr nachgefragt.
Indikator | 2022 | Veränderung |
---|---|---|
Umsatz | 431,8 | -1,6 |
Gewinn | 63,6 | -31,8 |
Wertschöpfung | k.A. | -3,4 |
Anlageinvestitionen | k.A. | 5,9 |
Exporte* | 14,0 | -63,7 |
Importe* | 39,9 | -4,7 |
Die Aussichten für das Jahr 2023 fallen deutlich besser aus. Mit dem Übergang zum Post-Pandemie-Zeitalter hat sich die gesamtwirtschaftliche Lage in China in den ersten Monaten 2023 deutlich gebessert. Zwar fallen die Hamsterkäufe von Medikamenten weg, die es während der umfassenden Lockdowns gegeben hat. Dafür holen Patienten aufgeschobene Arzt- oder Krankenhausbesuche nach. Insgesamt sollen laut Prognose des China National Pharmaceutical Industry Information Center die Umsätze der Pharmabranche 2023 um rund 9 Prozent auf über 460 Milliarden US-Dollar (US$) steigen.
Einzelhandel mit Arzneimitteln könnte 2023 zweistellig zulegen
Die Einzelhandelsumsätze mit Arzneimitteln sollen 2023 um circa 9 Prozent auf gerundet 340 Milliarden US$ zulegen. Auch zweistellige Zuwächse erscheinen möglich. Für das 1. Quartal 2023 weist das nationale Statistikamt ein Plus von knapp 17 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum aus. Zwar beziehen sich diese Zahlen auf in größeren Geschäften getätigte Umsätze, die lediglich einen Bruchteil des Marktvolumens ausmachen. Dennoch eignen sie sich gut als Trendindikator.
Indikator | 2023 | Veränderung | Anteil 2023 |
---|---|---|---|
Gesamt, davon | 336,8 | 9,1 | 100,0 |
Über Kliniken/Krankenhäuser | 188,2 | 8,0 | 55,9 |
Über Apotheken | 70,0 | 4,0 | 20,8 |
Online | 52,5 | 23,0 | 15,6 |
Über kleine medizinische Einrichtungen | 26,1 | 6,5 | 7,7 |
Patienten in China erhalten ihre Medikamente üblicherweise direkt beim Arzt oder im Krankenhaus. Das bietet den Einrichtungen eine zusätzliche Einnahmequelle. In Apotheken werden vor allem nicht verschreibungspflichtige Präparate umgesetzt. Außerdem wird das Online-Geschäft in der Volksrepublik immer wichtiger. Laut der Informationsplattform China National Pharmaceutical Industry Information Center soll die Online-Sparte 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 23 Prozent wachsen und damit ihren Marktanteil auf nahezu 16 Prozent ausbauen.
Hohe Importabhängigkeit bei forschungsintensiven Medikamenten
China produziert und exportiert viele pharmazeutische Wirkstoffe und hat sich in einigen Sparten als wichtiger Anbieter innerhalb der globalen Lieferkette etabliert. Doch bei forschungsintensiven Fertigarzneimitteln ist das Land vielfach auf Importe angewiesen. Die einheimische Bevölkerung misstraut häufig den lokalen Herstellern und zeigt eine hohe Präferenz für internationale Produkte und Marken. Gemäß chinesischer Zollstatistik summierten sich die Pharmaeinfuhren (Fertigarzneimittel, ohne pharmazeutische Wirkstoffe) der Volksrepublik 2021 auf einen Rekordwert von rund 42 Milliarden US$. Im Jahr 2022 fielen die Importe wieder leicht auf etwa 40 Milliarden US$.
2016 | 2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | Veränderung | |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Importe | 20,7 | 25,3 | 27,9 | 33,6 | 34,9 | 41,9 | 39,9 | -4,7 |
Deutschland ist wichtigstes Lieferland
Auf der Liste der wichtigsten Bezugsländer liegt Deutschland traditionell auf Rang eins. Allerdings gingen chinesische Importe aus Deutschland 2022 um mehr als 17 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück. Bei den Hauptkonkurrenten gab es keinen entsprechend kräftigen Einbruch der Pharmalieferungen. Insgesamt genießt das Label "Made in Germany" bei Ärzten, Krankenhäusern und Patienten immer noch einen hervorragenden Ruf. Doch die chinesische Regierung bemüht sich, die Abhängigkeit von ausländischen Medikamenten zu reduzieren. Zunehmend macht sich die sogenannte "Buy China"-Politik bemerkbar; Beijing pocht auf eine immer größere Lokalisierung.
Land | 2021 | 2022 | Veränderung |
---|---|---|---|
Deutschland | 9.476 | 7.814 | -17,5 |
Irland | 5.166 | 6.171 | 19,5 |
USA | 6.244 | 6.067 | -2,8 |
Frankreich | 3.036 | 3.054 | 0,6 |
Schweiz | 2.314 | 2.632 | 13,7 |
Italien | 2.463 | 2.464 | 0,0 |
Japan | 1.729 | 1.524 | -11,9 |
Vereinigtes Königreich | 1.654 | 1.399 | -15,4 |
Schweden | 1.702 | 1.368 | -19,6 |
Auch langfristig hohes Wachstumspotenzial
Langfristig betrachtet existieren zwei große Treiber für den Arzneimittelmarkt in China. Einerseits besteht bei der medizinischen Versorgung noch Nachholbedarf. Die Coronapandemie hat offengelegt, wie dringend weitere Investitionen in den Gesundheitssektor sind. Andererseits nimmt die Lebenserwartung weiter zu, während die Anzahl der Geburten in den letzten fünf Jahren dramatisch eingebrochen ist. Seit 2020 liegt die Geburtenrate pro Frau sogar unterhalb des deutschen Niveaus. Die Alterung der Gesellschaft schreitet immer schneller voran und wird zur Wachstumsbremse. Damit hat China das Wettrennen, schneller reich als alt zu werden, wohl endgültig verloren.
Ausländische Firmen setzen zunehmend auf die "In China für China"-Strategie.
Ausländische Unternehmen werden angesichts des langfristigen Wachstumspotenzials, aber auch der zunehmenden "Buy China"-Politik ihr Engagement im Reich der Mitte aufrechterhalten beziehungsweise ausweiten. Ein Decoupling wie in anderen Branchen zeichnet sich im Pharmabereich bislang nicht ab. Wohl aber werden internationale Investoren verstärkt die sogenannte "In China für China"-Strategie verfolgen: Fabriken, aber auch Forschungs- und Entwicklungsabteilungen vor Ort sollen vor allem den chinesischen Inlandsmarkt bedienen. Dabei kommt Firmen unter anderem zugute, dass klinische Studien in der Volksrepublik leichter durchführbar sind.
Dennoch sind ausländische Anbieter gut beraten, ihr China-Geschäft auf den Prüfstand zu stellen. Einerseits müssen Unternehmen sich womöglich in ihrer Heimat zunehmend für ihr Engagement im Reich der Mitte rechtfertigen. Andererseits sind durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine die politischen Risiken und Abhängigkeiten schlagartig in den Fokus gerückt.