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Zollfreies Einkaufen etabliert sich in China
Auf der Urlaubsinsel Hainan boomt das Duty-free-Geschäft. Shenzhen will nachziehen und ebenfalls zollfreies Shoppen anbieten. Das ist für Hongkong eine bedrohliche Entwicklung.
13.01.2022
Von Roland Rohde | Hongkong
Duty-free hat in China ein riesiges Absatz- und Zukunftspotenzial. Insbesondere ausländische Luxusgüter kaufen die Konsumenten traditionell zollfrei ein. Dazu sind sie vor der Coronapandemie vorzugsweise in die Sonderverwaltungsregion (SVR) Hongkong gereist. Auch nach Europa haben Chinesen umfangreiche Shoppingtouren unternommen. Doch seit Anfang 2020 sind die Grenzen weitgehend dicht. Zudem stellen die chinesischen Behörden kaum noch neue Reisepässe aus.
Die Verantwortlichen haben jedoch die Möglichkeiten zum zollfreien Einkaufen innerhalb des Landes deutlich verbessert. Seit 2011 ist dies auf der chinesischen Urlaubsinsel Hainan möglich. Doch es gab offizielle Grenzen, die beim Kauf von exklusiven Lederwaren oder Uhren schnell überschritten wurden. Im Sommer 2020 wurden diese deutlich angehoben. So dürfen Kunden statt für umgerechnet rund 4.700 US-Dollar (US$) nunmehr für insgesamt 15.700 US$ zollfrei einkaufen. Die Regelung, der zufolge man für ein einzelnes Produkt nicht mehr als 1.250 US$ ausgeben darf, wurde gänzlich gestrichen.
Umsätze in Duty-free-Shops in Hainan steigen um 84 Prozent
Die Lockerungen führten zusammen mit dem - zumindest bis zum Herbst 2021 - lebhaften Inlandstourismus für einen wahren Absatzboom. Laut der South China Morning Post stiegen die wertmäßigen Umsätze der zehn offiziellen Duty-Free-Shops Hainans im Gesamtjahr 2021 um 84 Prozent auf nahezu 10 Milliarden US$. Das waren schätzungsweise 30 Prozent des gesamten Einzelhandelsumsatzes der Provinz.
Indikator | 2020 |
---|---|
Bevölkerung (in Mio.) | 10,1 |
Bruttoinlandsprodukt (BIP, in Mrd. US$) | 80,2 |
BIP pro Kopf (in US$) | 7.940 |
Touristenankünfte (in Mio.) | 65,8 |
Warenexporte (in Mrd. US$) | 4,0 |
Warenimporte (in Mrd. US$) | 9,5 |
Einzelhandelsumsatz (in Mrd. US$) | 28,6 |
Landesweit betrachtet lag die Quote zwar nur bei gut 0,1 Prozent. Doch dürfte sie in den kommenden Jahren stetig ansteigen. Die Regierung will nämlich bis 2025 die gesamte Insel Hainan für zollfrei erklären. Zudem scheinen andere Regionen Gefallen an dem Konzept zu finden. Im südchinesischen Shenzhen reifen Pläne zur Schaffung einer Duty-free-Einkaufszone heran.
Hainan profitiert von Grenzschließungen
Covid wird beim Erfolg der Vorhaben ein gewichtiges Wort mitzureden haben. So hatte sich die Pandemie zwischen Sommer 2020 und Herbst 2021 recht positiv auf Hainan ausgewirkt. Da die Chinesen nicht mehr ins Ausland reisen konnten, erkundeten sie stattdessen ihre Heimat. Zudem hängt die Insel kaum vom internationalen Tourismus ab.
Doch für 2022 stehen die Zeichen wieder auf Sturm. Seit dem Herbst 2021 kam es in immer mehr Provinzen zu einem Wiederaufflackern der Pandemie. Da Beijing eine strikte Null-Covid-Politik verfolgt, kam es zu lokalen Lockdowns. Airports wurden zeitweise geschlossen, zahlreiche Zug- und Busverbindungen gestrichen. Zum Jahreswechsel 2021/2022 gab es nur nur noch einen eingeschränkten Reiseverkehr.
Inlandstourismus muss 2022 mit Rückschlägen rechnen
Omikron dürfte die Lage verschlimmern. Die Bevölkerung ist lediglich mit Vakzinen geimpft, die wenig wirksam gegen die neue Variante sind. Beijing muss daher weiterhin auf die strikte Durchsetzung der Null-Toleranz-Politik setzen. Die zum Ende 2021 erfolgte komplette Abriegelung der Metropole Xi'an, einer der Haupttouristenattraktionen Chinas, gibt einen Vorgeschmack darauf, was der Fremdenverkehr zu erwarten hat.
Für Hainan sind das keine guten Nachrichten. Die Insel ist sehr anfällig für aus anderen Provinzen eingeschleppte Infektionen. Sie zählte 2020 rund 66 Millionen Touristen. Für 2021 zeichnet sich ein neuer Besucherrekord ab. Ein Lockdown etwa im Urlaubsort Sanya brächte das Duty-free-Geschäft zeitweise zum Erliegen.
Chinas Konsumenten können wohl nicht vor 2024 ins Ausland reisen
Doch zugleich wird die Regierung die chinesischen Grenzen dicht lassen. Vor 2024 rechnet kaum jemand mit einer durchgreifenden Öffnung. Damit kann die Bevölkerung weiterhin nicht im Ausland günstig einkaufen und wird daher - wenn möglich - in Hainan shoppen gehen. Und zufriedene Kunden kommen bekanntlich zurück. Eine Umfrage von McKinsey im Juni 2021 ergab, dass nahezu zwei Drittel aller Duty-free-Einkäufer auch dann auf die Urlaubsinsel zurückkehren werden, wenn internationaler Reiseverkehr wieder möglich ist.
In Hongkong beobachtet man die Entwicklung in Hainan und Shenzhen mit Argusaugen.
Des einen Freud ist bekanntlich des anderen Leid. Hongkong macht man sich angesichts solcher Nachrichten ernsthafte Sorgen. Die SVR war zu Vorkrisenzeiten traditionell das Einkaufsparadies für chinesische Konsumenten. Rund 50 Millionen per anno strömen normalerweise in die ehemalige britische Kolonie. Dort sind die Preise für Importprodukte aufgrund fehlender Mehrwertsteuern und Einfuhrzölle in etwa 15 bis 20 Prozent günstiger als in China.
Kehren Einkaufstouristen nach Hongkong zurück?
Insgesamt steuern die Einkaufstouristen zu etwa einem Drittel zum gesamten Einzelhandelsumsatz Hongkongs bei. In bestimmten Sparten - etwa bei Lederwaren, Schmuck und Uhren oder Kosmetik - liegt die Quote auch wesentlich höher. Das Geschäft hat sich 2021 lediglich auf dem Papier - aufgrund des statistischen Basiseffektes - gebessert. Tatsächlich ergab sich für die ersten elf Monate immer noch ein Minus von 27 Prozent im Vergleich zum Vorkrisenniveau. Sehnsüchtig erwartet man daher die Wiedereröffnung der Grenze. Doch was passiert, wenn die Kunden selbst dann nicht im gewohnten Maß zurückkehren?
Ausländische Anbieter von Luxuswaren reagieren bereits seit geraumer Zeit auf den Trend. Sie haben Läden in Hongkong geschlossen, insbesondere wenn sie keine ausreichende Reduzierung der - bislang extrem hohen - Mieten erreichen konnten. Dennoch setzen einige Mitspieler auf Expansion. Am Flughafen entsteht mit der Sky City ein riesiger neuer Einkaufs- und Unterhaltungskomplex. Er liegt besonders verkehrsgünstig zu den chinesischen Städten des Perflussdeltas wie Shenzhen oder Zhuhai.