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Wirtschaftsumfeld | China | Konjunktur

Wachstumslokomotive ade

China steckt nicht nur aktuell in einer Krise. Das Land steht auch vor einer längeren Phase niedrigen Wachstums. Für ausländische Firmen steigen die Risiken im Chinageschäft.

Von Roland Rohde | Bonn

Chinas Wirtschaft befindet sich seit dem Frühjahr 2022 in einer veritablen Wirtschafts- und Vertrauenskrise. Nahezu wöchentlich korrigiert ein Forschungs- oder Finanzinstitut seine Wachstumsprognose für das Reich der Mitte nach unten. Der Internationale Währungsfonds (IWF) erwartet in seiner Prognose vom Juli 2022 für das laufende Jahr nur noch eine Zunahme des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von real 3,3 Prozent. Goldman Sachs und Nomura gehen in ihrer August-Vorhersage sogar nur von 3 Prozent beziehungsweise 2,8 Prozent aus.

Das wäre der zweitniedrigste Wert der vergangenen vier Jahrzehnte. Die Ursachen sind vielfach hausgemacht. Mit seiner kompromisslosen Null-Covid-Politik würgen die Behörden jeden zarten wirtschaftlichen Aufschwung sofort wieder ab. Selbst bei kleinsten Ausbrüchen setzen sie nach wie vor massiv auf Lockdowns. Es gibt wenig Anzeichen dafür, dass sich an dieser Strategie bald etwas ändern dürfte.

Stromrationierungen kommen, Transportstörungen bleiben

Praktisch immer und überall ist mit Lockdowns zu rechnen - für Produzenten ein belastendes Szenario. Viele berichten, dass keine Planbarkeit bestehe. Die Lieferkette bleibt störanfällig. Vorprodukte kommen nicht rechtzeitig in die Fabriken, Endwaren warten auf den Versand. Zwar bleiben inzwischen die internationalen Flug- und Containerhäfen offen. Doch das nützt wenig, denn der größte Engpassfaktor besteht beim innerchinesischen Lkw-Transport. Im Sommer kam es zusätzlich in manchen Landesteilen zu einer ernsthaften Dürre, die zu Stromrationierungen und Produktionsstörungen führte.

Auch für die einheimischen Verbraucher ist die Lage alles andere als rosig. Die Arbeitslosigkeit ist stark angestiegen. Auf dem Papier sind zudem viele infolge der Immobilienkrise ärmer geworden. Die eigene Wohnung galt bislang als die beste Altersvorsorge. Angesichts einer rasch alternden Gesellschaft und eines nur rudimentär ausgebildeten Rentensystems müssen nun viele ihre Sparquote steigern und ihren Konsum zurückfahren.

Einzelhandelsgeschäft vom Niveau vor der Pandemie weit entfernt

Entsprechend mau entwickelt sich das Einzelhandelsgeschäft. Im Frühjahr 2022 war der Umsatz infolge des Lockdowns in Shanghai dramatisch eingebrochen. Anschließend hatte sich die Kauflaune zwar wieder erholt. Doch von den Vorkrisenwachstumsraten von nominal 8 bis 9 Prozent blieb sie noch Welten entfernt. Insgesamt stagnierte der Einzelhandelsumsatz in den ersten sieben Monaten 2022 nach Angaben des nationalen Statistikamtes. Auch der E-Commerce, in den Jahren 2020 und 2021 noch Krisengewinnler, schwächelte.

Ähnlich sieht die Lage im Industriebereich aus. Die Einkaufsmanager- und Auftragseingangsindizes waren im Frühjahr 2022 spürbar zurückgegangen und hatten sich anschließend nicht mehr vollständig erholt. Insgesamt zeigt sich in den Statistiken ein bereits im Frühjahr 2021 einsetzender, stetiger Abwärtstrend. Viele Firmen haben Personal entlassen oder reduzieren bei den Neueinstellungen. Auch große Internetkonzerne wie Alibaba folgen dem Trend.

Außenhandelsdynamik nimmt ab

Nach Angaben des chinesischen Zollamtes sind Chinas Warenausfuhren in den ersten acht Monaten um 13,5 Prozent gestiegen. Das ist allerdings weniger als 2021, als die Zuwachsrate noch bei 30 Prozent lag. Bei den Importen betrug sie nur 4,6 Prozent. Die Einfuhren sind in der Regel ein guter vorauseilender Indikator für die künftige Exportentwicklung. In Hongkong, dessen Hafen viele chinesische Güter abwickelt, gingen die Warenexporte gemäß dem lokalen Statistikamt im Juli 2022 bereits um 9 Prozent zurück.

Bei ungeschönter Rechnung dürfte ein BIP-Wachstum um 2 bis 3 Prozent die neue Normalität sein.

Im 2. Quartal 2022 legte das chinesische BIP nur um 0,4 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal zu. Fast alle Institute erwarten für 2023 wieder ein kräftigeres Wirtschaftswachstum. Dafür wird der Nachholeffekt sorgen. Dennoch rechnet der IWF mit einer BIP-Zunahme von vergleichsweise niedrigen 4,6 Prozent. Letztendlich muss sich China dauerhaft von den rasanten Wachstumsraten der letzten vier Jahrzehnte verabschieden. "Mehr als 2 Prozent wird die Wirtschaft bei ehrlicher Rechnung künftig kaum noch wachsen", schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 25. August 2022.

Tatsächlich sind die BIP-Zahlen Chinas nach Einschätzung nahezu aller Landeskenner geschönt. Alleine die exorbitanten Anstrengungen zur Pandemiebekämpfung dürften einige Prozentpunkte zum Wachstum beitragen. Diese herausgerechnet, stagniert die Wirtschaft 2022 wohl bereits. Somit könnte auf Basis einer bereinigten Statistik ein Wachstum um 2 bis 3 Prozent auf absehbare Sicht durchaus die neue Normalität sein.

Auch künftig ist mit niedrigem Wachstum zu rechnen

Zahlreiche Faktoren verringern dauerhaft das Potenzialwachstum. So dürfte weiter Luft aus der Immobilienblase weichen. Zugleich macht sich die immer höhere Verschuldung der Unternehmen bemerkbar. Neue Konjunkturprogramme nutzen da wenig, denn sie würden noch mehr unrentable Straßen und Schienenwege entstehen lassen. Zugleich altert und schrumpft die Bevölkerung rasant. Die Geburtenrate liegt seit 2020 bereits unter dem Niveau Deutschlands.

Unternehmen prüfen alternative Absatz- und Beschaffungswege.

Die Regierung setzt angesichts der enormen Herausforderung auf mehr Kontrolle der Wirtschaft und auf Abschottung vom Ausland, wodurch sich aber die ökonomische Lage weiter verschlechtern dürfte. Auch politisch isoliert sich Beijing mit der Unterstützung Russlands und der Bedrohung Taiwans einen Schritt weiter vom westlichen Wertesystem.

Internationale Firmen werden sich in ihrer Heimat zunehmend dafür rechtfertigen müssen, dass sie in China und mit China Geschäfte betreiben. Dieses kann zudem, etwa bei einer Eskalation des Taiwan-Konfliktes, schlagartig wegbrechen. Die Erschließung alternativer Beschaffungs- und Absatzmärkten ist daher eine notwendige Konsequenz. Viele Unternehmen befinden sich auch bereits auf der Suche.


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