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Der Weg zur Klimaneutralität: Welche Pläne hat Costa Rica?
Grüner Strom soll in Costa Rica fossile Energie im Verkehr und der Industrie ersetzen. Das erfordert gewaltige Investitionen in zusätzliche Stromerzeugungskapazitäten.
10.10.2022
Von Sofia Hempel | Bonn
Seit sieben Jahren in Folge produziert Costa Rica zu über 98 Prozent reinen Ökostrom, dank Wasserkraft, Geothermie und Wind. Damit gehört es zu den wenigen Volkswirtschaften weltweit, die es geschafft haben, ihren Stromsektor schon heute (nahezu) vollständig zu dekarbonisieren. Auf diesem Erfolg kann sich Costa Rica nicht ausruhen, denn bis 2050 will das Land klimaneutral werden. So steht es im Nationalen Dekarbonisierungsplan 2018 bis 2050 und zu diesem Ziel hat sich auch die seit Mai 2022 amtierende Regierung unter Präsident Rodrigo Chaves Robles bekannt. Um das zu erreichen, muss das zentralamerikanische Land seinen Bedarf an fossiler Energie in weiteren Bereichen wie dem Transportsektor und der Industrie massiv senken.
Grüner Strom soll Verkehr und Industrie dekarbonisieren
Das soll in erster Linie durch die Elektrifizierung des Energiebedarfs gelingen. Seit 2018 ist die staatliche Förderung der Elektromobilität gesetzlich festgeschrieben. Im Juni 2022 hat die Regierung die Anreize für den Kauf von Elektrofahrzeugen nochmals erhöht. Auch beim Schwertransport will sie auf Strom setzen, sagt Vizeminister für Energie, Ronny Rodríguez, in einem Interview auf dem Forum für Erneuerbare Energien in Hamburg am 9. September: "Wir planen eine internationale Ausschreibung für den Kauf eines elektrischen Güterzuges im Wert von über 700 Millionen US-Dollar."
Laut einem Gesetz müsse Costa Rica zudem aktuell 5 Prozent seiner Busflotte durch emissionsfreie Fahrzeuge ersetzen. Diese könnten ebenfalls elektrisch betrieben sein oder mit alternativen Kraftstoffen fahren. Aktuell gehe es darum, Finanzierungsquellen für die Anschaffung von 500 emissionsfreien Bussen zu finden.
Einen wichtigen Beitrag zur Dekarbonisierung müsse auch die Industrie leisten, und zwar indem sie elektrische Energie anstelle von fossiler Energie nutze, so der Vizeminister für Energie. Größten Anpassungsbedarf hätten solche Betriebe, die bislang Bunker- beziehungsweise Dieselheizkessel oder Öfen im Einsatz hätten, die mit Autogas befeuert würden. "Wir wissen, dass in Europa entsprechende Technologien produziert werden und diese können in Costa Rica zum Einsatz kommen", sagt Ronny Rodríguez.
Markttreiber | Markthemmnisse |
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Politisches Bekenntnis zum Schutz des Klimas über Parteigrenzen hinweg | Kleiner Markt mit 5 Millionen Einwohnern |
Ressourcen wie Wasser und grüner Strom zur Produktion von grünem Wasserstoff vorhanden | Eindeutiges Bekenntnis der aktuellen Regierung zur Förderung der Wasserstofftechnologie fehlt bislang |
Großes Ausbaupotenzial dezentraler Stromerzeugungskapazitäten (vor allem Solarenergie, Biomasse und Niederenthalpiegeothermie) | Kein Datum festgelegt zum Ende des Verbrennermotors |
Geplante Reformen zur stärkeren Liberalisierung des Strommarktes | Monopolstellung der staatlichen Stromgesellschaft ICE hat private Investitionen bisher eingeschränkt |
Grüner Wasserstoff: Industrie wartet auf Fördergesetz
Costa Rica verfügt über hervorragende Bedingungen für die Herstellung von grünem Wasserstoff, schließlich sind Strom aus erneuerbaren Energien und Wasser reichlich vorhanden. Landesweit produzieren bereits vier Firmen das klimafreundliche Gas. Zu den bekanntesten gehört das costaricanische Unternehmen AdAstra Energy and Environmental Services, das mit seinem Pilotprojekt in der Provinz Guanacaste das bislang einzige Wasserstoffökosystem in ganz Lateinamerika errichtet hat. Die Firma des ehemaligen costaricanischen Astronauten Franklin Chang erzeugt das Gas mithilfe von Wind- und Solarenergie, betreibt eine Wasserstofftankstelle und betankt eine kleine Fahrzeugflotte mit dem Gas.
Zu den Pionieren gehört auch ein Unternehmen aus Deutschland: Der Medizintechnikhersteller G.Rau stellt auf seinem Werksgelände in Cartago Wasserstoff für die thermischen Prozesse im Betrieb her. "Es gibt noch mehr Investoren, die sich für die Wasserstofffertigung interessieren", weiß Dr. Christian Schauer, Geschäftsführer der Deutsch-Costaricanischen Industrie- und Handelskammer (AHK). Ein US-amerikanisches Unternehmen wolle in großen Mengen grünen Wasserstoff für den Export nach Europa, insbesondere Deutschland, produzieren. Auch gebe es Interessenten aus Katar und Dubai. Das bislang größte Projekt im Land plant das australische Unternehmen Kadelco, das 3,3 Milliarden US$ investieren will.
Die Offensive der Privatwirtschaft ist umso beeindruckender angesichts der Tatsache, dass das Land weder eine Wasserstoffstrategie hat noch Unternehmen eine staatliche Förderung für ihre Investitionen erhalten haben. Immerhin könnte sich Letzteres bald ändern, denn die Regierung arbeitet derzeit an einem Fördergesetz. Wesentlicher Kern des Gesetzesvorschlages ist die Befreiung von Steuern, Zöllen und weiteren Abgaben beim Import oder Kauf von Wasserstofftechnologien für unterschiedliche Anwendungen. Dass das Gesetz in dieser Form verabschiedet wird, ist allerdings nicht sicher. Gegenüber der Zeitung "La Nación" Ende August sagte Staatspräsident Chaves, dass er es ablehne, die öffentlichen Finanzen durch den Gesetzentwurf zur Förderung der Produktion von grünem Wasserstoff in Costa Rica zu gefährden.
Investitionen in Ausbau der Stromkapazitäten und intelligente Netze erforderlich
Die Elektrifizierung der Wirtschaft wird die Nachfrage nach Strom in den kommenden Jahren enorm in die Höhe treiben, um so mehr noch, je stärker sich die Wasserstoffproduktion durchsetzt: "Ich gehe davon aus, dass wir in den nächsten 20 bis 25 Jahren 10.000 bis 15.000 Megawatt benötigen werden, um die Nachfrage neuer Stomkunden bedienen zu können", sagte Marco Acuña, Vorstandsvorsitzender des staatlichen Stromversorgers ICE, auf dem Forum in Hamburg. Ausgehend von der derzeit installierten Leistung wäre das eine Zunahme um beinahe 300 Prozent. "Auf diese Weise werden wir privaten Unternehmen mehr Raum für Investitionen in dezentrale Lösungen geben."
Laut ICE werden gerade 2 Prozent der vorhandenen Solarkapazitäten genutzt. Bei Biomasse sind es 13 Prozent. Off-Shore Windenergie mit einem identifizierten Potenzial von 14.400 Megawatt ist in Costa Rica noch völlig unerschlossen
Costa Rica muss Strommarkt für private Investoren öffnen
Um mehr Investoren nach Costa Rica zu locken, muss der Staat den von ICE dominierten Strommarkt für private Betreiber weiter öffnen. Seit Januar 2022 gibt es ein Gesetz zur Förderung der dezentralen Energie. Das Gesetz 10.086 beseitigt bereits eine Reihe von Hindernissen. Das könnte erst der Anfang einer Reforminitiative gewesen sein: "Ein Gamechanger dürfte die angestrebte Loslösung des Stromverteilers CENCE von der ICE-Gruppe sein", sagt AHK-Geschäftsführer Dr. Schauer.