Interview | Finnland | Erneuerbare Energien
"Das Ausbaupotenzial für erneuerbare Energien ist riesig"
Der finnische Energiemarkt bietet viele Chancen für deutsche Unternehmen. Denn in dem Land entstehen mehrere neue Abnehmerbranchen für Ökostrom, berichtet eine Marktexpertin.
18.11.2024
Von Niklas Becker | Helsinki
Claudia Greiner arbeitet seit mehr als 20 Jahren als Rechtsanwältin in Finnland. Sie ist Anwältin für Energierecht und betreut deutsche Firmen auf dem finnischen Markt. Im Gespräch mit Germany Trade & Invest berichtet Frau Greiner über Entwicklungen und Chancen auf dem finnischen Energiemarkt.
Finnland hat in der jüngeren Vergangenheit einen starken Zuwachs von Onshore-Windkraftanlagen registriert. Hält der Trend weiter an?
Die Projektlage bei Windkraftanlagen an Land ist weiterhin gut. Wir sehen nicht, dass die Zahl der Onshore-Projekte nachlässt. Der enorme Windenergieboom in den letzten Jahren und die zunehmend volatile Stromproduktion bringen natürlich auch Herausforderungen mit sich. Wenn viel Wind weht, ist der Strom besonders billig. In dieser Zeit erhalten Windparkbetreiber sehr wenig Geld für ihren Strom. Das nennt man Kannibalisierungseffekte. Es gab auch erste Fälle, in denen Windkraftanlagen vorübergehend abgeschaltet werden mussten, weil es aufgrund des großen Stromangebots lokale Engpässe im Netz gab.
In Finnland gibt es keine Einspeisevergütung oder andere Subventionen für erneuerbare Energien. Sicherheit über langfristige Einnahmen bieten daher nur langfristige Stromverträge, sogenannte Power Purchase Agreements (PPAs), mit einem Industrieabnehmer oder Energieunternehmen.
Ist der Markt also gesättigt?
Im Moment wird tatsächlich bereits eine erhebliche Menge Strom aus Onshore-Anlagen produziert und die Entwicklung auf der Verbrauchsseite hinkt etwas hinterher. Für Projekte, die in den nächsten zwei oder drei Jahren in Betrieb gehen, ist es daher besonders wichtig, gezielt nach passenden Abnehmern zu suchen.
Bietet der Markt also keine Chancen mehr?
Doch, auf jeden Fall. Das Ausbaupotenzial ist weiterhin enorm. Natürlich muss der erzeugte Strom auch verkauft werden. In Finnland entwickelt sich mit der Produktion von Wasserstoff allerdings ein neuer und meiner Einschätzung nach signifikanter Abnehmermarkt. Ich gehe davon aus, dass in Zukunft in großem Umfang Wasserstoff und E-Fuels aus erneuerbaren Energien, insbesondere Windkraft, erzeugt werden. Es gibt eine umfangreiche Projektpipeline und viele dieser Projekte sind schon sehr konkret. Zwar wird der Markthochlauf einige Jahre dauern, aber die Wasserstoffproduktion wird dann erhebliche Strommengen nachfragen. Der Wasserstoffmarkt ist auch nicht der einzige vielversprechende Abnehmermarkt.
Sondern?
In Finnland entstehen eine Reihe neuer Datencenter, die einen großen Strombedarf haben. Auch die zunehmende Elektrifizierung von Wärmeerzeugung und Industrie wird zu einer deutlichen Steigerung der Stromnachfrage führen. Die derzeitige Situation auf dem finnischen Onshore-Markt ist also kein Hindernis für neue Projekte.
Wo könnten die zusätzlichen Windparks denn gebaut werden?
Wir beobachten einen Trend, bei dem sich die Projektentwicklung zunehmend von den aktuellen Hotspots an der Westküste ins Inland verlagert, wo ebenfalls günstige Windbedingungen herrschen. Ich gehe davon aus, dass in Zukunft auch in Ostfinnland die Windkraft zunehmen wird. In der Vergangenheit hat das finnische Militär hier häufig Projekte aufgrund der Radaranlagen untersagt. Jetzt gibt es jedoch Bestrebungen, die Interessen des Militärs und der Windkraft besser aufeinander abzustimmen. Anstatt Anträge für neue Windparks pauschal abzulehnen, möchte man genauer prüfen, wie die jeweiligen Interessen im konkreten Fall in Einklang gebracht werden können.
Welche Herausforderungen könnten Ihrer Meinung nach beim weiteren Ausbau der Windenergie in Finnland entstehen?
Finnland hat ein sehr gutes Stromnetz, das fortlaufend ausgebaut wird. Trotzdem sehen wir Engpässe beim Netzanschluss in einigen lokalen Hotspots – vor allem an der finnischen Westküste. Die bestehenden Kapazitäten werden zwar ständig erweitert. Dies nimmt aber Zeit in Anspruch, was sich negativ auf die Projektdauer auswirkt. Ein weiteres Problem sind Beschwerden. Auch in Finnland wird mittlerweile gegen die Mehrheit der Windkraftprojekte rechtlich vorgegangen und dies muss bei den Projektentwicklungszeiten einkalkuliert werden. Hier erhoffen wir uns Abhilfe von Bestrebungen zur schnelleren Abweisung offensichtlich unbegründeter Beschwerden.
Wie sieht es mit Windkraftanlagen in der finnischen Ostsee aus?
Derzeit hat Finnland kaum Offshore-Windparks, aber die Entwicklung in diesem Bereich hat Fahrt aufgenommen. Für die territorialen Gewässer erwarten wir noch 2024 Entscheidungen für zwei Auktionen. Für die Ausschließliche Wirtschaftszone gibt es nun ebenfalls ein rechtliches Rahmenwerk und einen ungefähren Zeitplan. Ende 2025 dürften die ersten Auktionen starten, deren Ergebnis Mitte 2026 vorliegen wird. Das sind positive Nachrichten, es gilt aber auch noch Fragen zu klären. So gibt es beispielsweise in Bezug auf die Auktionen zwar mehr, aber noch nicht genügend Klarheit. Weitere Einzelheiten sollen durch eine Verordnung geklärt werden, die wir für Anfang 2025 erwarten.
Der finnische Energiemarkt bietet für deutsche Unternehmen, unabhängig von der Technologie, entlang der gesamten Wertschöpfungskette Beteiligungschancen. Bereits jetzt sind beispielsweise zahlreiche Zulieferer, Baudienstleister oder auch Techniker aus Deutschland auf dem finnischen Markt aktiv. Das nordische Land ist zudem ein interessanter Markt für deutsche Investoren. Finnische Banken sind bei der Projektfinanzierung eher konservativ. Schon heute werden finnische Onshore-Windenergieprojekte vor allem mit Finanzierung aus dem Ausland und besonders aus Deutschland umgesetzt.
Inwiefern gibt es Chancen für Fotovoltaikanlagen in Finnland?
Der Markt ist derzeit noch relativ klein, zeigt jedoch eine dynamische Entwicklung. In Finnland bietet die lange Tageslichtdauer im Sommer ein vielversprechendes Potenzial für die Stromerzeugung durch Solaranlagen. Besonders interessant ist die Synergie mit Windkraftanlagen, da sich die Ertragsprofile von Sonne und Wind hervorragend ergänzen. Während die Stromproduktion von Fotovoltaikanlagen im Sommer am höchsten ist, erreichen Windkraftanlagen ihre Spitzenleistung in den Wintermonaten. Diese Kombination macht Solarenergie attraktiv, um die Volatilität der Windstromproduktion zumindest teilweise auszugleichen.
Sind denn schon Projekte in der Planung?
Ja, eine ganze Reihe. Dabei beobachten wir, dass viele Solarparks als Hybridprojekte mit Windparks entwickelt werden. Der Solarpark wird also neben einem Windkraftpark gebaut. Es gibt aber auch eine gut gefüllte Projektpipeline für alleinstehende Solarparks. Die Größenordnung der Parks liegt dabei deutlich über dem deutschen Durchschnitt. Projekte im dreistelligen Megawatt- und Hektar-Bereich sind keine Seltenheit.