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Offshore-Potenzial der Ostsee zum Großteil ungenutzt

Die Möglichkeiten für Offshore-Windparks in der Ostsee sind riesig. Die Ostseeanrainer wollen diese stärker nutzen, stehen dabei aber mit wenigen Ausnahmen noch ganz am Anfang. 

Von Christopher Fuß, Niklas Becker, Judith Illerhaus | Warschau, Helsinki, Stockholm

Bisher lag der Fokus in Europa beim Ausbau der Offshore-Windenergie auf der Nordsee. Nun sollen die Möglichkeiten im Ostseeraum stärker genutzt werden. Das Potential ist groß. Die Europäische Kommission bezifferte es 2019 für alle EU-Ostseeanrainer auf mehr als 90 Gigawatt. Nutzen die Staaten diese Möglichkeiten, ergeben sich erhebliche Geschäftschancen für deutsche Unternehmen. Dazu kämen diese Länder als Wasserstofflieferanten für Deutschland infrage. 

Beim Ausbau der Offshore-Windenergie in der Ostsee arbeitet Deutschland eng mit den anderen EU-Ostseeanrainern zusammen. So jährt sich am 30. August 2024 zum zweiten Mal die Unterzeichnung der sogenannten Marienborg-Erklärung. Die acht Ostseeanrainer-Staaten hatten sich mit der Erklärung erstmals gemeinsam zum Ausbau der Offshore-Windenergie in der Ostsee bekannt. Sie wollen die Entwicklung von neuen Projekten und Hubs unterstützen, die die Offshore-Windparks in der Ostsee miteinander verbinden. 

Im April 2024 folgte die sogenannte Vilnius-Erklärung. Hier setzten sich die Ostseeanrainer eine Offshore-Kapazität von 26,7 Gigawatt bis 2030 als Zielmarke. Im Jahr 2040 sollen es fast 45 Gigawatt sein. Im Sommer 2024 waren Anlagen mit einer Gesamtkapazität von rund 3 Gigawatt in Betrieb. Die Ziele sind sehr ambitioniert, auch weil die acht Staaten - wie unten ausgeführt - mit unterschiedlichen Ausgangsbedingungen und Herausforderungen ins Rennen gestartet sind. 

 

Kleiner Bestand - große Ambitionen 

Dänemark gilt beim Thema Offshore-Wind in der Ostsee mit einer installierten Leistung von 2,7 Gigawatt als Pionier. Das Land will sich nicht auf den Lorbeeren ausruhen: Bis 2030 sollen dort Anlagen mit weiteren 3 Gigawatt ans Netz gehen. Eine Ausschreibung hierzu läuft. Der Windpark Bornholm Energy Island wird ab 2030 ebenfalls 3 Gigawatt beisteuern. 

Die installierte Leistung Schwedens fällt im Vergleich dazu mit 0,2 Gigawatt eher klein aus. An großen Zielen mangelt es jedoch nicht. Laut Branchenverband Svensk Vindenergi befinden sich Offshore-Windparks mit einer potenziellen Leistung von 106 Gigawatt in Vorbereitung. Die meisten Vorhaben existieren aber wegen Finanzierungs- und Bürokratiefragen nur auf dem Papier. Vor der schwedischen Ostseeküste gibt es bislang nur eine Genehmigung für das Projekt Kriegers Flak mit 0,6 Gigawatt. 

Die anderen Ostseeanrainer besitzen noch keinen nennenswerten Offshore-Bestand. Das wird sich ändern. Bis zum Jahr 2030 sollen allein vor Polens Küste 5,9 Gigawatt ans Netz gehen. Finnland hat 2022 ein erstes Seegebiet namens Korsnäs an den Energiekonzern Vattenfall vergeben. Bei zwei weiteren Flächen warten Bewerber auf das Ergebnis der Auktion. In der 2. Jahreshälfte 2024 entscheidet zudem die zuständige Behörde Metsähallitus, ob sie drei weitere Seegebiete ausschreiben wird. 

Litauen und Estland haben bereits Gebiete für Offshore-Projekte verteilt. Sie leisten sich ein Wettrennen, wer den ersten Windpark vor der baltischen Küste fertigstellen wird. Im Jahr 2030 soll der erste Strom aus estnischen und litauischen Offshore-Windrädern fließen. Estland sticht durch die Vergabe einer Vielzahl von Seegebieten hervor. In Lettland sind die Entwicklungen noch nicht so weit wie in den anderen beiden baltischen Staaten. 

Die Ostseeanrainer verbinden große Erwartungen mit der Offshore-Energie. Finnlands Umweltminister Kai Mykkänen glaubt sogar, dass die Windräder auf hoher See zur wichtigsten Energiequelle seines Landes aufsteigen können. In Polens Strommix wird Offshore-Windenergie ab 2040 immerhin die zweitgrößte Rolle spielen, direkt nach Atomkraft. In Schweden könnte Offshore-Wind laut nationaler Energieagentur Energimyndigheten 2050 bis zu 16 Prozent zum heimischen Strommix beisteuern.

Achillesferse Hafen- und Netzausbau

Ob die Offshore-Pläne der Ostseeanrainer gelingen, hängt auch von den Häfen ab. Alle Offshore-Bauteile werden mit dem Schiff transportiert. Insbesondere Finnland steht vor einem Problem: Die meisten Häfen an der Westküste des Landes sind zu klein. Das Geld für Investitionen fehlt. Die Regierung hat eine öffentliche Finanzierung bereits ausgeschlossen. In Dänemark gefährden nicht ausreichende Hafenkapazitäten den weiteren Ausbau der Offshore-Windenergie. In den anderen Ostseeanrainern laufen verschiedene Projekte zum Ausbau der Häfen. Im estnischen Hafen Paldiski entsteht beispielsweise für 53 Millionen Euro ein neuer Kai für Windparks. In Polen sind die Arbeiten am Hafen von Świnoujście besonders weit fortgeschritten. 

Die Ostseeanrainer werden aber nicht nur in ihre Häfen, sondern auch in ihre Stromnetze investieren müssen. Nur so kann der Anschluss der neuen Stromerzeuger in der Ostsee gelingen. Für Polen ist das eine geografische Herausforderung, denn ein großer Teil der Industrie sitzt im Süden des Landes. Die Offshore-Gebiete befinden sich hingegen im Norden. 

Estland steht vor einem ähnlichen Problem. Die Energieerzeugung des Landes liegt traditionell im Osten des Landes, die Seegebiete hingegen im Westen. Entsprechend sind die Netze an der Küste nicht ausreichend ausgebaut. Auch in Litauen und Lettland werden die Stromnetze die beschränkenden Faktoren beim Ausbau der Offshore-Windenergie sein. Geplante Seekabel von den baltischen Offshore-Windparks nach Deutschland könnten die Probleme lösen und so mehr Offshore-Projekte in den drei Ländern ermöglichen. 

Acht Staaten - acht Vergabeverfahren

Grundlage für die Entwicklung der Offshore-Windenergie ist die Vergabe von Seegebieten an Investoren. Dabei verfolgen die Ostseeanrainer unterschiedliche Verfahren. Dänemark und Schweden setzten bisher auf die Open-Door-Methode, planen jedoch Reformen. Die Abschaffung der Verfahren hat in Dänemark für Unruhe gesorgt. Von den 33 bereits unter Open-Door beantragten Projekten dürfen neun weiter umgesetzt werden. Zukünftig will Dänemark Gebiete nun in staatlichen Auktionen ausschreiben. 

In Schweden sind die nicht einheitlich geklärten Vergabeverfahren von Seegebieten ein Grund für den bisher schleppenden Ausbau der Offshore-Windenergie. Die Regierung hat das Problem erkannt und berät zurzeit über die Beibehaltung der Open-Door-Verfahren mit exklusiven Explorationslizenzen oder aber ein zuteilungsbasiertes System zu etablieren.

Was ist ein Open-Door-Verfahren?

Das Verfahren ermöglicht Entwicklern, selbst Gebiete zur Errichtung eines Offshore-Windparks auszuwählen, für die sie dann eine Genehmigung beantragen. Maritime Raumpläne weisen geeignete Gebiete aus und waren im Falle Dänemarks verbindlich, im Fall von Schweden sind sie richtungsweisend. Aufgrund des hohen Aufwands stehen die Verfahren vermehrt in der Kritik.

Finnland und die baltischen Staaten haben sich für ein Auktionsmodell entschieden. In Polen entscheidet das Infrastrukturministerium über die Vergabe von Seegebieten. Dies stieß auf Kritik, da der zugrundeliegende Punktekatalog des Ministeriums die staatlichen Energiekonzerne bevorzugte. 

Internationale Zulieferer müssen berücksichtigen, ob die Ostseeländer Quoten für die lokale Wertschöpfung vorschreiben. Solch eine Local-Content-Anforderung gibt es zum Beispiel in Litauen: Offshore-Entwickler müssen lokale Gemeinden und Unternehmen in ihr Projekt einbeziehen. Schweden arbeitet an einem ähnlichen Gesetz. In Finnland und Polen gibt es derzeit keine verpflichtenden Quoten. Allerdings müssen Investoren in Polen ihre Lieferketten offenlegen. In Finnland spielen unter anderem Nachhaltigkeitsstandards eine Rolle bei der Vergabe von Seegebieten. 

Deutsche Firmen bereits mit von der Partie

In den meisten Anrainer-Staaten in der Ostsee treiben Joint Ventures den Ausbau der Offshore-Windenergie voran. Auffällig bei Unternehmen aus den nordischen Ländern: sie kooperieren oft mit anderen nordischen Firmen. Trotzdem gibt es Chancen für deutsche Beteiligungen. So verlegt beispielsweise der deutsche Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz gemeinsam mit dem dänischen Gegenstück Energinet ein Unterseekabel zum Offshore-Windpark Bornholm. Vor der schwedischen Küste sind darüber hinaus RWE und Skyborn Renewables mit insgesamt acht Projekten vertreten.

In Lettland wollen die deutsche Aktiengesellschaft PNE und der schwedische Konzern Eolus gemeinsam den Offshore-Park Kurzéme entwickeln. Das Projekt befindet sich in einer Frühphase. In den baltischen Staaten spielen Joint Ventures auch deshalb eine große Rolle, weil den heimischen Unternehmen das Geld und die Erfahrung für solche Großvorhaben fehlen. Ein ähnliches Bild zeigt sich in Polen. Die staatlichen Energieversorger wollten ursprünglich mehrere Gebiete allein erschließen. Mittlerweile suchen sie allerdings doch nach Partnern.

"Das Offshore-Potenzial der Ostsee wird unterschätzt"

Hamburg Offshore Wind Conference 2023 am 09.05.2023 in Hamburg. Foto: Daniel Reinhardt Hamburg Offshore Wind Conference 2023 am 09.05.2023 in Hamburg. Foto: Daniel Reinhardt | © Daniel Reinhardt

Peter Frohböse ist Segmentleiter Offshore Wind für die Region Nordeuropa bei dem unabhängigen Energieexperten und technischen Beratungsunternehmen DNV. Er ist seit 2009 im Offshore-Bereich tätig und berät Entwickler und Investoren unter anderem bei der Planung und Umsetzung von Offshore-Projekten. 

Wie unterscheidet sich der Offshore-Sektor in der Ostsee von dem in der Nordsee?

Das Potenzial der Ostsee wird stark unterschätzt. Die Möglichkeiten sind meiner Meinung nach deutlich größer als die von den anliegenden Staaten ausgegebenen Ziele. Im Vergleich zur Nordsee liegen die Offshore-Gebiete in der Ostsee näher an der Küste. Zudem ist die Ostsee flacher und hat in vielen Teilen gute Bodenbedingungen. Deshalb sind die reinen Projektkosten niedriger als in der Nordsee. Dafür ist der Ertrag aufgrund der leicht geringeren Windgeschwindigkeiten etwas kleiner. Die Stromgestehungskosten für Offshore-Windparks liegen daher auf dem gleichen Niveau wie in der Nordsee. Aber natürlich spielt der jeweilige Standort des Windparks eine große Rolle für die Bewertung der Stromgestehungskosten

Stellt denn das Eis in der Ostsee ein Problem da? 

Kein unlösbares. Man muss bei der Projektplanung Zeit und Know-how einplanen. Tatsächlich ist der staatenspezifische Flickenteppich mit unterschiedlichen Auktions-Vergabemechanismen, Vorschriften und Richtlinien meine größere Sorge. 

Können Sie das ausführen? 

Die Ostsee steht beim Ausbau der Offshore-Windenergie in einer weltweiten Konkurrenz. Überall auf der Welt werden derzeit Windparks auf See entwickelt. Wir haben deshalb gerade eine Zuliefermangellage. Das heißt, die Nachfrage nach neuen Windparks ist aktuell größer als die Kapazitäten der Zulieferer und Entwickler. Die Unternehmen konsolidieren daher ihr Portfolio und konzentrieren sich nur noch auf die attraktivsten Märkte. In der Ostsee haben wir insgesamt zwar ein großes Potenzial. Aber aufgeteilt auf acht Staaten. Mit acht verschiedenen Vergabefahren, Vorschriften, etc. Statt sich in acht Märkte einzuarbeiten, entscheiden sich die Firmen dann eventuell eher für einen großen Markt irgendwo anders auf der Welt oder einfach in der Nordsee. Lösen könnte man das Problem auf europäischer Ebene mit EU-weiten Standards sowie einer gemeinsamen Harmonisierung der Länder miteinander.

Gibt es aufgrund der Zuliefermangellage denn Möglichkeiten für neue Firmen in die Branche einzusteigen? 

Generell ist das schwieriger. Newcomer bräuchten beispielsweise für die Produktentwicklung eine gewisse Zeit. Währenddessen können sie preislich aber nicht mit den etablierten Firmen mithalten. Höhere Preise abzurufen ist nicht möglich, weil die Offshore-Windparks mit den aktuellen Marktpreisen geplant werden und sich dann nicht rentieren. Ich erwarte daher, dass existierende Akteure ihre Produktionskapazitäten ausbauen werden. Chancen für neue Marktteilnehmer sehe ich für Komponenten- und Teilelieferanten (2nd- und 3rd-Tier-Lieferanten). Beispielsweise für Zulieferer von Turbinenherstellern. Und natürlich gibt es für Finanzdienstleister eine große Möglichkeit in den Markt einzusteigen. 

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