Branchen | Italien | Medizintechnik
Bedarf an Medizintechnik wächst
Italien stellt mithilfe europäischer Gelder sein Gesundheitssystem neu auf. Dabei ist Technik aus Deutschland sehr gefragt.
24.06.2022
Von Oliver Döhne | Mailand
Nach einem Importplus von rund 12,6 Prozent im Krisenjahr 2020 stieg die italienische Einfuhr von Medizintechnik 2021 gegenüber dem Vorjahr um weitere 6,7 Prozent. Mittlerweile kommt Medizintechnik im Wert von über 9,4 Milliarden Euro nach Italien, sodass ausländische Produkte etwa drei Viertel des Inlandsmarktes decken. Deutschland rangiert dabei mit einem Importanteil von etwa 21 Prozent knapp hinter den Niederlanden. Damit ist die Bundesrepublik die Nummer zwei der Herkunftsländer. Weitere Konkurrenten sind Belgien, China, Frankreich und die USA.
Die einheimische Produktion erreicht etwa 6 Milliarden Euro, geht aber zu mehr als der Hälfte ins Ausland. Italien gehört mit Deutschland, Frankreich und dem Vereinigten Königreich zu den größten Märkten für Medizintechnik in Europa.
Nachfrage der öffentlichen und privaten Abnehmer steigt
Abnehmer von Medizintechnik in Italien ist zu etwa drei Viertel der öffentliche Sektor. Dieser betreibt das nationale Gesundheitssystem, das allen Personen in Italien Zugang zu allen gesundheitlichen Dienstleistungen bietet, für die sie nur einen kleinen Beitrag zahlen müssen. Durch die europäischen Gelder des Recovery Funds ist im öffentlichen Sektor viel neue Nachfrage entstanden, um die oft veralteten Geräte zu ersetzen.
Wegen oft langer Wartezeiten weichen viele Patienten aber auch mehr und mehr auf private Anbieter aus, die sie, in der Regel, aus eigener Tasche bezahlen. Daher steigt auch hier die Nachfrage nach Equipment deutlich an.
Breite Importpalette
Italien importiert eine breite Palette von Produkten. Am meisten gefragt waren im Jahr 2021 Diagnostik- und Laborreagenzien, von denen die meisten aus Deutschland kamen. Es folgten orthopädische Geräte/Implantate/Prothesen, darunter insbesondere künstliche Gelenke und andere Körperteile, Herzschrittmacher und andere Implantate, Hörgeräte und Zahnfüllungen. Die nächste Importkategorie sind medizinische Geräte, von denen vor allem künstliche Nieren, Endoskope und Transfusionsgeräte bevorzugt aus Deutschland stammen. Auch bei den Elektrodiagnosegeräten wie Magnetresonanzgeräten und Elektrokardiographen ist Deutschland der führende Lieferant Italiens.
Warengruppe (HS) | Import 2021 | Veränderung 2021/2019 | davon aus Deutschland |
---|---|---|---|
Diagnostik- und Laborreagenzien (3822) | 1.991 | 85,6 | 421 |
Orthopädische Geräte/Apparate, Implantate, Prothesen (9021) | 1.794 | 2,2 | 313 |
Medizinische Geräte (außer E-Diagnose, Röntgen, Optik, Spritzen, Dental) (90189) | 1.426 | -1,4 | 315 |
Spritzen, Nadeln, Katheter, Kanülen (90183) | 1.077 | 7,8 | 159 |
Elektrodiagnoseapparate (90181) | 500 | 12,3 | 209 |
Röntgenapparate (9022) | 431 | 5,5 | 124 |
Geräte für Mechanotherapie, Beatmung, Ozon- und Sauerstofftherapie (9019) | 282 | 16,8 | 40 |
Kontaktlinsen (90013) | 214 | 11,2 | 116 |
Watte, Gaze, Binden für medizinische Zwecke (3005) | 200 | 10,0 | 29 |
Motor EU-Gelder
Die Gründe für die hohe Nachfrage sind mannigfaltig: Die Gesellschaft altert und chronische Krankheiten nehmen stark zu. Auch die Coronakrise zeigt ihre Folgen. Hinzu kommt, dass Italien rund 15,6 Milliarden Euro aus dem europäischen Recovery Fonds (Next Generation EU) in den Gesundheitssektor investieren will.
Zukünftig will Italien so viele Patienten wie möglich zu Hause oder in kleineren regionalen Gesundheitszentren versorgen. Dazu sind im Verwendungsplan für den Recovery Fonds rund 7 Milliarden Euro vorgesehen, davon 2 Milliarden Euro für neue lokale Gesundheitszentren (Case della comunità) und 1 Milliarde Euro für kleinere lokale Krankenhäuser für Patienten, die nicht sehr schwer erkrankt sind (ospedali di comunità). Rund 1 Milliarde Euro ist für Pilot- und Entwicklungsprojekte in der Telemedizin reserviert. Hier sollen Pilotprojekte in den Regionen Lombardei, Emilia-Romagna und Apulien auf den Weg gebracht werden, die später als Best Practice-Beispiele auf nationale Ebene übertragen werden können. Ein laufendes Beispiel ist Cor-eHealth in Apulien, die erste operative regionale Telemedizinzentrale im Land.
Investitionen in IT-Infrastruktur und E-Health
Außerdem wird das nationale Gesundheitssystem gestärkt, auch um eine einheitliche Qualität sicherzustellen und um die Digitalisierung voranzutreiben. Für ein Upgrade der oft veralteten Medizintechnikanlagen und die Digitalisierung der Notaufnahmen stehen 4,1 Milliarden Euro bereit. Die entsprechenden Ausschreibungen sollen bis Ende 2022 über das öffentliche Beschaffungsportal erfolgen. Inzwischen ist nicht nur das Ausschreibungswesen digitalisiert, auch die Auftragsvergabe und der Austausch von Transportdokumenten erfolgen digital. Hier muss der Repräsentant des deutschen Lieferanten stets über eine digitale Unterschrift verfügen.
Darüber hinaus werden insgesamt rund 300 Millionen Euro für IT-Infrastruktur und Analyseinstrumente in das geplante neue Gesundheitsinformationssystem (NSIS) investiert. Konkret sollen davon 93 Millionen Euro für die zentrale Infrastruktur, technische Analyseinstrumente und eine Open Data-Plattform beim Gesundheitsministerium ausgegeben werden. Weitere 103 Millionen Euro fließen in das NSIS auf lokaler Ebene und 77 Millionen Euro in die Entwicklung eines Simulationssystems für mittel- bis langfristige medizinische Szenarien. Bleiben noch 20 Millionen Euro für die Entwicklung einer Plattform für das Angebot medizinischer Dienstleistungen.
Italiens Markt für E-Health hatte 2021 nach Angaben des Beratungsunternehmens Netconsulting Cube ein Marktvolumen von etwa 3,3 Milliarden Euro, davon entfielen 1,7 Milliarden Euro auf die Informations- und Telekommunikationstechnologie und 1,3 Milliarden Euro auf medizintechnische Anlagen. Der Branchenumsatz könnte, auch dank des Recovery Fonds, bis 2025 auf 4,8 Milliarden Euro ansteigen. Ein Engpass sind noch die digitalen Kompetenzen.
Es fehlen Fachkräfte
Spätestens während der Coronakrise wurde klar, dass Italiens Gesundheitssystem, ähnlich wie auch die Industrie, einen ernsthaften Engpass an qualifizierten Arbeitskräften hat. Das vergleichsweise niedrige Lohnniveau, schwierige Aufstiegsmöglichkeiten, knappe Forschungsgelder und wenig Zusammenarbeit zwischen Forschung und Wirtschaft drängen den italienischen Nachwuchs ins Ausland. Gleichzeitig ist der Zugang von ausländischen (Nicht-EU-)Arbeitskräften zum italienischen Gesundheitssystem sehr beschränkt. Im Recovery Plan stehen daher etwa 1,3 Milliarden Euro für Stipendien, Facharztausbildungen, Fortbildung und Forschungsprojekte bereit.
Bezeichnung | Anmerkung |
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Online-Beschaffungsportal der öffentlichen Verwaltung | |
Italienischer Medizintechnikdachverband | |
Status Quo der Projekte von Italiens Recovery Plan |