Branchen | Italien | Gesundheitswesen
Entwicklungen im Gesundheitswesen
Der Modernisierungsbedarf ist groß und im Recovery-Fonds stehen Mittel bereit, auch wenn das Thema mittlerweile nicht mehr die höchste Priorität in der Regierung zu haben scheint.
19.12.2022
Von Oliver Döhne | Mailand
Italiens Bevölkerung ist eine der ältesten der Welt, die Nachfrage nach Medikamenten und medizinischen Dienstleistungen steigt. Das teure und zum Teil veraltete Gesundheitssystem soll mithilfe digitaler Lösungen effizienter und patientennäher werden. Auch wenn mit dem momentanen Abflauen der Covid-Pandemie andere Themen in den Vordergrund rücken, bleibt Italien grundsätzlich beim Ausbauplan, zumal viele Projekte im Rahmen des Europäischen Aufbau- und Resilienzfazilität verbindlich eingeplant sind und die Regierung Meloni den Kurs der Vorgängerregierung fortsetzen will.
Markenmedikamente bleiben stark
Italien ist gleichzeitig ein wichtiger Wirkstoffentwickler sowie Produzent, Importeur und Absatzmarkt von Pharmaprodukten. Internationale Konzerne produzieren in Italien für den Weltmarkt, unter anderem weil die Arbeitskräfte der Branche als erfahren und gut ausgebildet gelten. Etwa die Hälfte der Branchenfirmen sind ausländisch.
Der Inlandsumsatz mit Medikamenten lag laut der nationalen Pharmaagentur AIFA 2021 bei rund 32,2 Milliarden Euro, davon gingen 2021 etwa 69,2 Prozent an das öffentliche Gesundheitssystem, in dessen Rahmen alle Einwohner stark vergünstigte oder kostenlos Medikamente erhalten.
Markenmedikamente sind beim Endverbraucher und besonders bei Privatpatienten weiter beliebt, werden im öffentlichen Gesundheitssystem aber verstärkt durch Generika oder Biosimilars ersetzt, da im Gesundheitsbudget eine Obergrenze für Medikamentenausgaben gilt und der Staat hier sparen muss.
In den Apotheken waren im Jahr 2021 etwa 53,8 Prozent der mengenmäßig verkauften Präparate Medikamente mit gültigem Patent, 23,6 Prozent solche, die auf abgelaufenen Patenten basieren und 22,6 Prozent Generika. Wertmäßig machten die Anteile 48,3 Prozent, 36,8 Prozent und 14,8 Prozent aus. Rund 82 Prozent der Generika waren der Klasse A zuzuordnen.
Medizintechnik aus dem Ausland gefragt
Italien ist expandierender Markt, besonders für High-End-Produkte. Die Bank Mediobanca rechnet auf dem Inlandsmarkt für 2022 mit einem Umsatzplus der Medizintechnik von 5,8 Prozent. Der Absatz in Italien lag 2021 bei schätzungsweise 11 Milliarden Euro, etwas mehr als die Hälfte kam dabei durch ausländische Branchenunternehmen. Ein größerer Teil des Equipments wird importiert, nicht zuletzt aus Deutschland, von wo Italien unter anderem orthopädische Apparate, Elektrodiagnosegeräte, Spritzen/Kanülen/Katheter, Beatmungsgeräte, künstliche Nieren und Endoskope beschafft.
Rund 70 Prozent der Geräte gehen an das öffentliche Gesundheitssystem, dessen Bestand zunehmend veraltet. Im Rahmen des europäischen Recovery Funds will Italien nun in voraussichtlich zwei großen Beschaffungsrunden neue Ausrüstung für seine Gesundheitsämter und Krankenhäuser erwerben, darunter werden in Italiens Verwendungsplan der Recovery Gelder konkret genannt: Magnetresonanzgeräte, Linearbeschleuniger für die Strahlentherapie, feste radiologische Systeme, Gammakameras, Gammakameras für Computertomografie, Mammographen und Ultraschallgeräte. Die erst Ausschreibungsrunde soll für insgesamt 1.568 medizintechnische Großgeräte bis zum 3. Quartal 2023 stattfinden, die zweite Runde für 1.565 Geräte folgt bis zum 4. Quartal 2024.
Private Labore und Dienstleister bieten gleiche Leistungen wie das öffentliche System, ermöglichen aber zeitnahe Untersuchungen, weshalb sie, trotz höherer Kosten für die Patienten, an Boden gewinnen und investieren.
Meloni will digitale Krankenhäuser
Gesundheitsinstitutionen, Hersteller und Patienten wollen mehr digitale Lösungen. Noch bremst die dezentrale Organisation des Gesundheitswesens. In ihrer Antrittsrede bekräftigte die neue Premierministerin Giorgia Meloni den Kurs von Amtsvorgänger Draghi, die Krankenhäuser so schnell und umfangreich wie möglich zu digitalisieren, die Telemedizin zu fördern und den Informationsaustausch aller wichtigen Akteure über Instrumente wie eine zentrale einheitliche Gesundheitssoftware zu gewährleisten. Mittel stehen hierfür im Recovery Fund üppig zur Verfügung.
Nach einer Studie des Politecnico Mailand umfasst der Markt für digitale Gesundheit in Italien 2021 rund 1,7 Milliarden Euro, 12,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Im Verlauf der Pandemie ist die Akzeptanz digitaler Kommunikation in Italien deutlich gestiegen. Da aber eine umfassendere Strategie für die Telemedizin noch fehlt, besteht die Gefahr, dass diese Chance vorbeiziehen könnte. Viel Kommunikation zwischen Arzt und Patient läuft noch über konventionelle Chatdienste und nicht über sichere und adäquate Plattformen. Auch die elektronische Patientenakte ist bekannter geworden und wird auch mehr genutzt, jedoch besteht noch Handlungsbedarf bei der Vereinheitlichung in den Regionen und dem noch dürftigen Umfang ihrer Datenspeisung. Ein weiteres im Recovery Plan genanntes Investitionsziel ist die Vorhersage von Krankheitsverläufen oder eine Frühwarnung möglicher künftiger Pandemien anhand von Analyse vernetzter Daten, komplexer Simulationsmodelle und künstlicher Intelligenz (KI).
Medizinische Biotechnologie benötigt mehr Mittel
Der Umsatz mit Produkten der medizinischen Biotechnologie lag laut dem aktuellsten Report des Branchenverbands Assobiotec im Jahr 2021 bei rund 7,5 Milliarden Euro. Die Investitionen in Forschung und Entwicklung betrugen rund 1,5 Milliarden Euro. Forschung erfolgt zunehmend in Start-ups, zuletzt auch mehr mit italienischem Kapital. Allerdings stand 2021 in Deutschland und Frankreich doppelt so viel Wagniskapital für medizinische Biotechnologie bereit.
Schwerpunkte in Italien sind Infektionskrankheiten, Impfstoffe, neue Ansätze zur Diagnose und Therapie von Krebs, seltene Krankheiten sowie Neurologie und Dermatologie. Die wichtigsten Cluster befinden sich in den Regionen Lombardei, Toskana und Latium. Die Forschung gilt als exzellent, aber unterdimensioniert.
Indikator | Wert |
---|---|
Einwohnerzahl (2022 in Mio.) | 58,9 |
Bevölkerungswachstum (2022 in % p.a.) | -0,4 |
Altersstruktur der Bevölkerung (2022) | |
Anteil der unter 14-Jährigen (in %) | 11,7 |
Anteil der über 65-Jährigen (in %) | 23,8 |
Durchschnittseinkommen (2021 in Euro) | 26.660 |
Gesundheitsausgaben | |
pro Kopf (2021 in Euro) | 2.834 |
öffentlich (2021 in Mrd. Euro) | 127,8 |
Anteil der Gesundheitsausgaben | |
am BIP (2021 in %, öffentl. u. privat) | 9,5 |
Medikamente (2021 in %) | 20,4 |
Anzahl Krankenhäuser (2020), davon | 1.065 |
öffentlich | 430 |
privat | 635 |
Ärzte/1000 Einwohner (2020) | 4 |
Krankenhausbetten/1.000 Einwohner (2020) | 3,2 |