Kanadas Konjunktur flaut ab. Eine Rezession ist möglich. Aktuell sind Unternehmen bei Investitionen vorsichtig, langfristig besteht aber Potenzial für deutsche Technologieexporte.
Angespannte Wirtschaftslage bremst kurzfristig die Investitionsbereitschaft
Der kanadische Mittelstand im verarbeitenden Gewerbe hat mittel- bis langfristig hohen Bedarf an Maschinen und Ausrüstungen. Eine unterdurchschnittliche Digitalisierung der Produktion in vielen Industrien, ausgenommen der Kfz-Industrie, dürfte die Absatzchancen für entsprechende Ausrüstung in den kommenden drei bis fünf Jahren erhöhen.
Für die nächsten sechs bis zwölf Monate sind die Erwartungen jedoch weniger positiv. Seit April 2022 kämpft die Zentralbank (BoC) gegen die Inflation und erhöhte die Zinsen kräftig und schnell. Seit einem Jahr werden also kreditbasierte Unternehmensinvestitionen immer teurer.
Das senkt die Investitionsbereitschaft vieler Mittelständler. Eine Umfrage der Business Development Bank Kanadas (BDC) bestätigt, dass seit etwa einem Jahr die Investitionsabsichten kanadischer KMU in Kapitalgüter jeden Monat etwas weiter sanken. Im Januar 2023 planen nur noch etwa 40 Prozent der befragten Unternehmen für die nächsten zwölf Monate Ausgaben für Maschinen und Ausrüstungen.
Unter der restriktiven Geldpolitik leidet zunehmend auch Kanadas Konjunktur. Die BoC registrierte zuletzt die Probleme knapperer Liquidität im Markt und setzte weitere Zinserhöhungen aus. Gleichwohl wird das Preisniveau auf absehbare Zeit weiter über der Zielmarke von 2 Prozent steigen.
Nachfrage nach digitalen Produktionstechnologien wird zunehmen
Die Ergebnisse der aktuellen Umfrage des PLANT Magazins von Januar 2023 zeigen das steigende Interesse vieler Unternehmen aus dem verarbeitenden Gewerbe an neuen Technologien. Demnach planen 95 Prozent der von PLANT befragten Unternehmen Investitionen in neue Fertigungstechnologien, von Automatisierung bis hin zu virtuellen Prototypen. Für deutsche Zulieferer ist dies ein gutes Signal. Sie sollten den ungesättigten kanadischen Markt für Industrie-4.0-Anwendungen im Auge behalten.
Umfrage: Priorität für Technologieinvestitionen in den nächsten 3-5 Jahren - verarbeitendes Gewerbe in KanadaTechnologie | 2023 (in %) |
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Robotik, Automatisierung | 54 |
Cloud Computing | 44 |
IIOT, Maschinelles Lernen | 40 |
Künstliche Intelligenz | 39 |
Datenerfassung und Shopfloor Management | 36 |
Fortgeschrittene Datenanalyse | 36 |
3D-Druck, additive Fertigung | 30 |
Enterprise-Resource-Planning (ERP) | 26 |
Virtuelle Realität | 13 |
Quelle: PLANT Magazin - Advanced Manufacturing Outlook 2023
In der Metallbearbeitungsindustrie wächst der Bedarf an Automatisierung
Betriebe aus der Zerspanungstechnik wollen deutlich mehr investieren. Das kanadische Fachmagazin "Shop Metalworking Technology" befragte Unternehmen der Branche zu deren Investitionsplänen für 2023.
Demnach planen etwa ein Viertel der Firmen 2023 Investitionen in Automatisierung und Robotik. Das sind bedeutend mehr Unternehmen als noch vor einem Jahr, als nur etwa 15 Prozent der Befragten diese Ausgaben planten. Weiterhin ergab die Abfrage der Investitionsabsichten, dass etwa 75 Prozent der Branchenunternehmen - trotz erschwerter Finanzierungsbedingungen - in gleicher Höhe oder höhere Maschinenkäufe planen als 2022. Kanadische Zerspanungsunternehmen planen im Jahr 2023 vor allem neue Schneidewerkzeuge ("cutting tools") und mehrachsige Werkzeugmaschinen ("machining centres") zu kaufen.
Kapazitätsauslastung nach Industriebereichen in Kanada North American Industry Classification System (NAICS)*) | 3. Quartal 2021 (in %) | 2. Quartal 2022 (in %) | 3. Quartal 2022 (in %) |
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Gesamtindustrie | 80,9 | 82,8 | 82.6 |
Öl- und Gasförderung [211] | 80,6 | 82,7 | 82.7 |
Bergbau [212-213] | 78,1 | 78,6 | 81,4 |
Baugewerbe [23] | 90,1 | 91,6 | 91,7 |
Verarbeitende Industrie [31-33] | 75.6 | 78,2 | 76,6 |
Nahrungsmittelproduktion [311] | 78,5 | 79,6 | 79,6 |
Bekleidungsproduktion [315] | 73,0 | 84,1 | 77,6 |
Chemieproduktion [325] | 77,3 | 77,8 | 74,8 |
Maschinenbau [333] | 76,3 | 79,6 | 78,2 |
Herstellung von Elektrogeräten, Geräten und Komponenten [335] | 78,9 | 85,3 | 83,6 |
* North American Industry Classification SystemQuelle: Statistics Canada 2022
Industrie 4.0 in der Produktion ausbaufähig
Einer der wichtigsten Trends für Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe Kanadas in den nächsten zehn Jahren wird der beschleunigte Ausbau von Industrie-4.0-Technologien sein, schätzen Marktbeobachter wie die BDC und das Fachmagazin PLANT. Damit gemeint ist in erster Linie die Ausweitung von Automatisierung und Robotik, Internet der Dinge, analytischen Informationssystemen und künstlicher Intelligenz. Damit soll vor allem die Produktivität Kanadas erhöht werden, welche deutlich hinter den USA und Deutschland zurückliegt.
Doch die Umfragen zeigen auch, dass momentan nur etwa 60 Prozent der Unternehmen einen konkreten Plan für eine digitale Transformation haben und häufig den Schritt hin zu Industrie-4.0-Anwendungen noch scheuen.
Die drei meistgenannten Gründe, dass kanadische Unternehmen nicht in Industrie 4.0 investieren sind:
- zu teuer (33 Prozent)
- Integration neuester Technologien in bestehende Systeme zu kompliziert (30 Prozent)
- Fehlendes Wissen/Fachkräfte, um neue Technologie zu bedienen (27 Prozent)
Vor allem außerhalb des Automobilsektors nutzt das kanadische verarbeitende Gewerbe wenig Automatisierung und Robotik in der Produktion. Ein Bericht von Next Generation Manufacturing Canada (NGen), einer Industrieorganisation, die mit der Förderung des "Advanced Manufacturing Supercluster" beauftragt ist, stellt fest, dass viele Firmen die technische Implementation von Robotik und Automatisierung weiterhin "unattraktiv" finden.
Nach der Umfrage von NGen unter OEMs, Anbietern von Automatisierungstechnik und Systemintegratoren haben vor allem die meisten kleineren Unternehmen ihre Prozesse bisher nicht vollautomatisiert. Über punktuelle Automatisierung - der Bericht nennt es "Automatisierungsinseln" - ginge es in vielen Unternehmen nicht hinaus. Bisher werde Automatisierung und Robotik in Kanada hauptsächlich für Warenumschlag und Montagearbeiten genutzt sowie für Teleoperation und 3D-Druck.
Kanadas "Roboterdichte" (Industrieroboternutzung pro 10.000 Mitarbeiter) liegt außerhalb des Kfz-Sektors bei 71 (Vergleich USA: 139). Dagegen kommt Robotik in der kanadischen Automobilfertigung überdurchschnittlich häufig zum Einsatz, mit einer Roboterdichte von 1.475 (USA: 1.311). Für vollautomatische industrielle Fertigung mit Industrie-4.0-Anwendungen, intensiver Nutzung von Daten und Sensoren und der Vernetzung von Maschinen (Industrial Internet of Things - IIoT) gäbe es im Land kaum Beispiele, so NGen.
Elektromobilität und künstliche Intelligenz mit Wachstumschancen in Kanada
Ob sich Batterie- oder Brennstoffzellentechnologie im Transportsektor oder eine Mischung durchsetzt, ist noch offen. Kanada hat das Potenzial, in beiden Bereichen eine globale Rolle zu spielen. Viele Materialien und Metalle, die zur Batterieproduktion benötigt werden, können lokal bezogen und verarbeitet werden. Das Gleiche gilt für eine kanadische Wasserstoffwirtschaft. Dazu ist das Land stark im Bereich künstliche Intelligenz. Im Korridor zwischen Toronto und Waterloo sitzen allein über 350 Firmen aus der Automatisierungstechnik und Robotik.
Von Daniel Lenkeit
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Toronto