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Bei der Gebäudeeffizienz muss Kanada noch eine Schippe drauflegen
In den Bereichen Bautechnik und nachhaltige Energiesysteme macht das Land große Fortschritte. Die Wohnungsnot könnte Energieeffizienzbestrebungen mancherorts untergraben.
24.11.2023
Von Heiko Steinacher | Toronto
Kanada hat in den letzten zwei Jahrzehnten große Fortschritte beim Bau umweltfreundlicher, nachhaltiger Gebäude gemacht. So werden zum Beispiel immer öfter nachhaltige Baustoffe eingesetzt, wie etwa Massivholz, das Kohlenstoff bindet. Dieser Trend zeigt sich unter anderem im Hafenviertel von Toronto: Der Bürokomplex T3 Bayside und der Limberlost Place, ein zehnstöckiges Gebäude des George Brown College, wurden dort in Massivholzbauweise errichtet.
In British Columbia werden energieeffiziente Isolierungen für Keller, Dächer, Außenwände, Fenster, Türen, Warmwasseraufbereiter sowie Belüftungs-, Drainage- und Heizsysteme stark nachgefragt. Zu dem Ergebnis kommt die AHK Kanada in einer regionalen Zielmarktanalyse.
Seeprovinzen setzen auf Wärmepumpen
Darüber hinaus steigt die Zahl der in kanadischen Privathaushalten installierten Wärmepumpen (2022: rund 850.000) seit über 20 Jahren. Die überwiegende Mehrheit sind vergleichsweise günstige Luft-Wärmepumpen, die der Umgebungsluft die Energie entziehen. In den drei Seeprovinzen Prince Edward Island, New Brunswick und Nova Scotia sind Wärmepumpen laut dem Canadian Climate Institute die primäre Heizquelle in bereits mehr als einem Fünftel der Privathaushalte: New Brunswick liegt mit 32 Prozent an der Spitze, gefolgt von Prince Edward Island mit 27 Prozent und Nova Scotia mit 21 Prozent. Zudem sind diese Anteile in den genannten Provinzen schneller gewachsen als bei jeder anderen Primärheizquelle: in Nova Scotia zum Beispiel von 6 (2013) auf 21 Prozent (2022).
Wie auf der Klimakonferenz "Building Momentum Toward Net Zero" Mitte November 2023 in Ottawa verlautete, setzen sich abgelegene Gemeinden bei ihrer Energieversorgung vermehrt mit dezentralen Ansätzen und Insellösungen auseinander. Neben Mikronetzen nutzt die Bevölkerung unter anderem Waldabfälle, um Gebäude zu heizen und warmes Wasser zu erzeugen.
Bei LEED-zertifizierten Gebäuden liegt Kanada auf Platz 3
Auch hochmoderne Technologien sind in Kanada beliebt: So belegte das Land 2022 im Ranking des U.S. Green Building Council (USGBC) unter den Top-Ten-Ländern und -Regionen für LEED den 3. Platz weltweit. LEED steht für "Leadership in Energy and Environmental Design" und gilt als international anerkanntes Zertifizierungssystem für ökologisches Bauen. Die Rangliste hebt Länder und Regionen außerhalb der USA mit bedeutenden Fortschritten bei der Planung, dem Bau und dem Betrieb gesunder, nachhaltiger und widerstandsfähiger Gebäude hervor. Nach Angaben des Canada Green Building Council (CAGBC) wurden von 2003 bis 2022 landesweit bereits etwa 5.145 Projekte LEED-zertifiziert.
Im Jahr 2020 hat der kanadische Premierminister Justin Trudeau im Rahmen eines nationalen Wachstumsplans angekündigt, dass die Canada Infrastructure Bank 2 Milliarden US-Dollar in große Gebäudesanierungen investieren wird. Investitionszusagen für rund die Hälfte dieser Summe hat es bereits bis Mitte 2023 gegeben. Die Regierung richtete die Bank im Jahr 2017 ein, unter anderem um Klimaschutzziele zu erreichen und öffentliche Investitionen zu fördern, die zu langfristigem Wirtschaftswachstum beitragen.
Trotz dieser löblichen Entwicklungen vertraten gleich mehrere Panelisten auf der Klimakonferenz in Ottawa die Einschätzung, dass Kanada Gefahr laufe, seine Klimaziele zu verfehlen – nicht zuletzt wegen des Gebäudesektors, der in dem Land für 12 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich ist. Bis 2030 sollen die CO2-Emissionen um 40 Prozent unter die Werte von 2005 gesenkt werden, aber die Gebäudeemissionen in Kanada steigen seit 2005 permanent.
Effizienzanforderungen wurden sowohl national als auch regional verschärft
Zwar wurden die Anforderungen an die Energieeffizienz bereits verschärft, sowohl im Rahmen nationaler Bauvorschriften als auch auf Provinz- und Kommunalebene. Toronto hat mit dem Toronto Green Standard (TGS) ein mehrstufiges System von Leistungsindikatoren eingeführt, um eine nachhaltige Bauplanung zu fördern. In der Pazifikprovinz British Columbia schreibt der BC Building Code für die meisten neuen Gebäude seit Mai 2023 eine um 20 Prozent höhere Energieeffizienz vor. In Toronto und Vancouver soll der Betrieb neuer Gebäude bis 2030 keine Treibhausgasemissionen mehr verursachen, in Montreal bereits bis 2025. Darüber hinaus will Kanada laut seiner Gebäudestrategie "Build Smart" (aus dem Jahr 2017) bis 2030 landesweit einen neuen Gebäudestandard etablieren, der den Bau von Nullemissionshäusern ermöglicht.
Jedoch könnte die Wohnungsnot in manchen Regionen die Energieeffizienzbestrebungen untergraben: So berichtet das Magazin "The Narwhal", dass die Provinz Ontario Bundesstrategien für mehr Energieeffizienz nur mit Verzögerung umsetze, um auf diese Weise den Wohnungsbau zu beschleunigen. In den dortigen Metropolregionen, besonders im Großraum Toronto, werden mehr erschwingliche Mietwohnungen benötigt. Laut einer Studie der nationalen Wohnungsbehörde (CMHC) müsste Kanada zur Entschärfung der Wohnungskrise bis Ende 2030 rund 5,8 Millionen Wohneinheiten bauen. Von 2019 bis 2022 wurden aber nur knapp 830.000 Einheiten fertiggestellt. Das Bautempo müsste sich daher mindestens verdreifachen.
Einige Provinzen bieten Fördergelder für energieeffiziente Gebäudetechnologien
British Columbia, Québec und Ontario stellen Fördergelder für energieeffiziente Technologien für Wohngebäude bereit. Besonders in den urbanen Regionen dieser drei Provinzen werden solche für Nachrüstungen und Neubauten beantragt.
Darüber hinaus fördert das kanadische Ressourcenministerium (NRCAN) den Ausbau der Energieeffizienz mit vielen Programmen. Diese reichen von Energy-Star-Zertifizierungen über Zuschüsse für die Eigenheimsanierung bis hin zu Direktsubventionen für die Einführung von Energiemanagementsystemen. In seiner Datenbank "Main Directory of Energy Efficiency and Alternative Energy Programs in Canada" bietet NRCAN einen Überblick über zahlreiche Programme für Gebäudeeffizienzmaßnahmen sowohl auf Bundes- als auch auf Ebene der Provinzen und Territorien.