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Kanada bietet großes Potenzial für Fintechlösungen
Im internationalen Vergleich nutzen in Kanada erst wenige Menschen Fintechangebote. Vor allem Start-ups aus den Bereichen Vermögensverwaltung und Zahlungsverkehr sind erfolgreich.
28.11.2024
Von Heiko Steinacher | Toronto
Jennifer Schell ist Vermögensberaterin in Toronto. Aus Enttäuschung über den Mangel an Empathie bei der Anlagevermittlung gründete sie 2019 ihr Fintech-Start-up Finliti. In den letzten fünf Jahren hat Finliti fast 1 Million US-Dollar (US$) an Finanzierung erhalten, mit einer bedeutenden Erstinvestition von Loyal VC und Unterstützung durch mehrere Acceleratoren.
"Mit dieser Rückendeckung und innovativen Tools transformieren wir die Finanztechnologie, um alle Interessengruppen einzubeziehen", sagt Firmengründerin Schell. Ihr Konzept: durch interaktive Lernmethoden Vertrauen zwischen Vermögensverwaltern sowie Kunden aufbauen und so Anlegern dabei helfen, Wissenslücken zu schließen und bessere Anlageentscheidungen zu treffen.
Kanadas Fintechmarkt wird immer reifer, und die Nachfrage nach innovativen Finanzlösungen steigt. Insbesondere in der Vermögensverwaltung und im Zahlungsverkehr waren Fintechs dort in den letzten Jahren erfolgreich. Ein weiteres Beispiel dafür ist Wealthsimple: Das Start-up hatte vor zehn Jahren als Robo-Advisor begonnen, einer digitalen Plattform, die über einen automatisierten Prozess Geldanlagelösungen bot. Bis September 2024 verwaltete Wealthtech bereits 36 Milliarden US$, etwa doppelt so viel wie im Vorjahr – über eine inzwischen breite Palette von Finanzprodukten, darunter provisionsfreies Trading, Kryptowährungen und Hypothekendarlehen.
Gefragt: Technologien und Dienste, die den Zahlungsverkehr vereinfachen
Immer beliebter werden in Kanada auch "Buy Now, Pay Later"-Dienste (BNPL), vor allem, um größere Anschaffungen in Raten zu bezahlen. Prognosen über das durchschnittliche jährliche Wachstum bis 2029 variieren von 10 bis 20 Prozent. Laut Statista Market Insights ist Kanadas Markt für Zahlungsgateways wie Stripe, Braintree, Adyen und Square deutlich größer als in vielen anderen Ländern. Das spricht dafür, dass auch digitale Geldbörsen, sogenannte E-Wallets, an Bedeutung gewinnen – auch wenn ihre Akzeptanz in Kanada bisher im Vergleich zu vielen anderen Ländern niedriger ist.
Vor allem im E-Commerce setzen kanadische Verbraucher sie gern ein. Stationäre Einzelhändler zögern zum Teil noch, da sie für die Verarbeitung von E-Wallet-Vorgängen neue Geräte anschaffen müssen. Andererseits können sich durch E-Wallets, die kostengünstige Methoden zur Zahlungsverarbeitung nutzen, die Transaktionskosten für Einzelhändler reduzieren.
Deutsche Supportsystem-Anbieter suchen ihre Marktlücke
Zudem wächst die Nachfrage nach grundlegenden Technologien und Dienstleistungen, die Fintechs nutzen, um ihre Produkte anzubieten. In dieses Segment dringen auch deutsche Anbieter von Supportsystemen vor: So hat League Data, der Technologiepartner ostkanadischer Genossenschaftsbanken, im Mai 2024 die Cloud-Banking-Plattform des Berliner Fintechs Mambu als technologische Grundlage für ein neues Kernbankensystem gewählt.
Laut einer McKinsey-Studie machten die Einnahmen des kanadischen Bankensektors 2023 rund 8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus, deutlich mehr als in anderen entwickelten Volkswirtschaften (USA: 6 Prozent). Das deutet auf Marktpotenzial für pfiffige Fintechs hin. Umso mehr, als der Anteil mobiler Internetnutzer und das Bildungsniveau in Kanada zu den höchsten weltweit zählen. Technikaffine Millennials und Gen-Z-er sind in der Regel schnell bereit, Neues auszuprobieren – und damit grundsätzlich offen auch für Fintechprodukte.
Bei einem internationalen Vergleich zeigt sich aber, dass Kanada noch viel aufzuholen hat: So gaben in einer weiteren McKinsey-Untersuchung nur 13 Prozent der kanadischen Verbraucher an, Fintechlösungen zu nutzen. Im Vereinigten Königreich waren es 32 Prozent, in den USA 42 Prozent. Außerdem ist die kanadische Finanzdienstleistungsbranche stark konzentriert: Gut drei Viertel der Einnahmen des Bankensektors entfielen dort im Jahr 2022 auf die fünf größten Kreditinstitute – und fast die Hälfte der Einnahmen des Versicherungssektors auf die sechs größten Branchenfirmen. Diese haben eine starke Marktpräsenz und Kundenbasis, sodass es für Fintechs schwierig werden kann, Fuß zu fassen.
Regulatorische Anforderungen können je nach Provinz variieren
Der Marktzutritt wird auch durch ein stark reguliertes Umfeld erschwert. Mehrere Behörden sind dabei für unterschiedliche Aspekte zuständig, und das Ausmaß der Regulierung durch Bund sowie Provinzen hängt vom konkreten Finanzprodukt oder der Dienstleistung ab, die ein Fintech anbietet. Genehmigungsverfahren können dadurch schnell komplex und zeitaufwendig werden.
Ein Lichtblick: Im Rahmen des Bundeshaushalts 2024 hat Kanadas Regierung den lang erwarteten Rahmen für Open Banking vorgestellt, der eine sichere Datenfreigabe ermöglichen und den Zugang zu Finanzdienstleistungen vereinfachen soll. Im Juni 2024 wurde dazu der Consumer-Driven Banking Act verabschiedet. Bis Oktober 2024 waren einige Teile noch nicht in Kraft.
Außerdem arbeitet die Regierung an der Einführung eines Echtzeit-Zahlungssystems, das Sofortüberweisungen rund um die Uhr ermöglicht. Unternehmen können dadurch zum Beispiel ihr Cashflow-Management optimieren. Das System soll 2026 eingeführt werden. Diese Änderungen könnten den Wettbewerb stärken und das Wachstum der Fintechbranche beflügeln.
Die Ergebnisse der McKinsey-Untersuchung spiegeln sich auch in den Zahlen der Weltbank wider: Kanada gehörte laut der internationalen Entwicklungsorganisation 2022 zu den fünf Industrieländern mit der niedrigsten Akzeptanz von digitalen Bankgeschäften, digitalen B2B-Dienstleistungen und Fintechlösungen. Wie McKinsey zudem ermittelte, waren 2023 nur 9 Prozent der Privatkunden geneigt, bei besseren Alternativen ihre Bank zu wechseln. Rund 61 Prozent der Befragten sind seit zehn Jahren oder länger bei der gleichen Bank. Um mit führenden Fintechmärkten wie den USA, dem Vereinigten Königreich und Australien Schritt halten zu können, muss Kanada daher noch einige Hürden überwinden. Das Marktpotenzial ist aber groß.