Branchen | Kanada | Lebensmittel, Nachhaltigkeit
Konsumverhalten bei Lebensmitteln in Kanada wird immer komplexer
Nachhaltigkeit und Resilienz halten in Kanadas Nahrungsmittelsektor zunehmend Einzug. EU-Anbieter machen sich dortige Verbrauchertrends sowie zollfreie Lieferkontingente zunutze.
15.10.2024
Von Heiko Steinacher | Toronto
Ikea will in seinen nordamerikanischen Restaurants mehr pflanzliche Alternativen anbieten. Laut IntraFish, einem Nachrichtenportal rund um die Themen Aquakultur und Fischerei, beteiligt sich die Möbelhauskette über ihre Holding Inter Ikea an New School Foods, an einem kanadischen Hersteller pflanzenbasierter Lachs-Alternativen.
Kanadas Regierung dürfte sich über Ikeas Entscheidung freuen. Denn Ottawa will die Lachszucht mit offenen Netzen vor der Küste von British Columbia bis Mitte 2029 verbieten. Grund sind die schwindenden Wildlachsbestände im Pazifik. Die Fischfarmen sind umstritten, weil der Verdacht besteht, dass sich Läuse und Krankheiten auf Wildfische übertragen können.
Doch reagiert das Einrichtungshaus in erster Linie auf das sich ändernde Verbraucherverhalten. So nehmen laut dem Verband Plant-Based Foods of Canada (PBFC) 61 Prozent der Bevölkerung Nahrungsmittel pflanzlicher Herkunft wie vegetarische Würstchen, milchfreie Getränke oder veganen Käse zu sich. "Die pflanzliche Lebensmittelindustrie ist in Kanada stark gewachsen", sagt Verbandschefin Leslie Ewing. "Sie hat sich von einer kleinen Abteilung im Lebensmittelgeschäft, ausgerichtet auf bestimmte Lebensstilgruppen, zum innovativsten Segment der Branche entwickelt."
Pflanzliche Proteine begehrt – aber nur, wenn sie schmecken
Ganz wichtig dabei: guter Geschmack. Er ist ein wesentlicher Faktor bei Kaufentscheidungen in dieser Produktkategorie, berichtet die Market-Insights-Plattform Innova.
Der Trend zu pflanzlichen Proteinen ist indes nur einer von vielen in Kanadas Lebensmittelmarkt. Konsumenten achten außerdem auf natürliche Inhaltsstoffe – sowohl in Nahrungsmitteln als auch in Getränken. So verzeichnete Kanada 2023 einen Nachfrageanstieg nach Butter, besonders im Bio- und Spezialitätensegment. Auch Naturjoghurt wird begehrter, während der Konsum von Milch und Käse stagniert.
Preisbewusste Verbraucher
Wichtige Trends sind laut Innova auch Nachhaltigkeit, ethische Beschaffung und die Hochwertigkeit von Fertigprodukten. Auch wird vermehrt zu lokalen Erzeugnissen gegriffen. Bei alledem muss das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmen – angesichts der gestiegenen Lebenshaltungskosten beeinflusst es Kaufentscheidungen immer stärker.
Neben ethischen Aspekten in der Lieferkette kommt es auch auf deren Resilienz an. So zieht der Treibhaushersteller Dalsem im Süden der Provinz Ontario gerade ein riesiges Gewächshaus hoch. Der Anbaubetrieb Ontario Plants Propagation will dort jährlich 34 Millionen Setzlinge für nordamerikanische Gemüse- und Beerenanbauer pflanzen. Beide Unternehmen gehören zur COFRA-Gruppe, in der die C&A-Eignerfamilie Brenninkmeijer ihre Beteiligungen bündelt. Boudewijn Beerkens verdeutlicht, wie wichtig dieses neue Geschäftsfeld für seine Holding ist: "Die Klimaerwärmung ist eine Bedrohung für die Nahrungsmittelproduktion", zitiert die Neue Zürcher Zeitung den COFRA-CEO. Er setzt daher auf Technologien, die Landwirtschaft in einem kontrollierten Umfeld ermöglichen.
Deutsches Brancheninteresse nimmt zu
Auch deutsche Anbieter machen sich die aktuellen Trends zunutze. Oft schließen sie Partnerschaften mit lokalen Firmen und investieren in Nachhaltigkeit sowie Innovation. So beteiligt sich Bayer Crop Science an Projekten zur Erforschung nachhaltiger Agrartechnologien, unter anderem mit der Provinz Saskatchewan. Symrise (innovative Zutatenlösungen) hat Ende 2021 Giraffe Foods übernommen, einen kanadischen Anbieter unter anderem von Soßen, Dips und Dressings.
Dr. Oetker unterhält in der Provinz Ontario zwei Produktionswerke, eines in London (vor allem Pizza) und ein weiteres in Mississauga (Backartikel, Desserts und Soßen). Bei Pizza hatten die Bielefelder laut Innova in Kanada 2023 einen Marktanteil von 26 Prozent. Nestlé setzt auf Vielfalt, um sich von der Konkurrenz abzuheben: Die Schweizer bringen regelmäßig wesentlich mehr Produkte neu auf den Markt als andere Wettbewerber. Um dem Gesundheitstrend Rechnung zu tragen, werden auch Blumenkohl- und Vollkornkrusten sowie Beläge auf Gemüsebasis angeboten.
Gründerzentren für Start-ups, aber zu wenig Wagniskapital
Start-ups wie Above Food, Milk Moovement und New School Foods haben Kanadas Lebensmittelbranche in den letzten Jahren mit innovativen Produkten bereichert. Kanadas Regierung hat pflanzliche Proteine schon 2018 als Wirtschaftsfaktor erkannt und 260 Millionen US-Dollar in Protein Industries Canada investiert, eines von fünf Innovations-Superclustern. Damit wurde Jungunternehmen wie Big Mountain Foods und Plant Up der Weg geebnet. Weitere staatliche Förderprogramme für kanadische Start-ups in der Lebensmittel- und Getränkeindustrie sind das AgriInnovate-Programm, das Canadian Food Innovation Network, Natural Products Canada sowie für kleine und mittlere Unternehmen das National Research Council of Canada Industrial Research Assistance Program.
Obwohl es in Kanada mehrere Gründerzentren und staatliche Förderprogramme gibt, beklagt die Szene einen Mangel an heimischen Business Angels und Wagniskapitalgebern. Diese erwarten oft schnelle Renditen – was vor allem ein Problem für Jungunternehmen in frühen Finanzierungsphasen ist. Viele aufstrebende Firmen sind daher auf ausländische Geldgeber angewiesen.
CETA mit Vorteilen für EU-Anbieter
Durch CETA, das umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen zwischen Kanada und der EU, sind bereits 99 Prozent der Zölle zwischen den beiden Partnern mittlerweile Geschichte. Bei Nahrungsmitteln haben bisher vor allem die Europäer von dem Abkommen profitiert: So haben Käseproduzenten aus der EU im Jahr 2023 ihr Exportkontingent von 19.000 Tonnen nach Kanada voll ausgeschöpft.
Auch den europäischen Viehzüchtern kommt CETA in hohem Maße zugute: Sie konnten ihre Rindfleischexporte nach Kanada seit dem vorläufigen Inkrafttreten des Abkommens im Jahr 2017 bis 2023 von 2.000 auf 14.000 Tonnen steigern. Kanada dagegen exportierte 2023 nur 1.400 Tonnen Rindfleisch nach Europa. Das entsprach kaum 2 Prozent der Menge, die durch CETA möglich gewesen wäre.
SITC-Position | Warenbezeichnung | 2021 | 2022 | 2023 | Veränderung 2) |
---|---|---|---|---|---|
0,11 | gesamt, davon: | 401,3 | 399,8 | 429,9 | 7,5 |
07 | Kaffee, Tee, Kakao, Gewürze und Waren daraus | 98,5 | 99,8 | 120,0 | 20,3 |
11 | Getränke | 70,9 | 69,1 | 59,9 | -13,3 |
04 | Getreide und Getreideprodukte, Teig- und Backwaren | 40,3 | 40,6 | 58,6 | 44,3 |
09 | verschiedene genießbare Waren und Zubereitungen | 35,5 | 37,8 | 52,5 | 38,7 |
01 | Fleisch und Zubereitungen von Fleisch | 86,1 | 81,6 | 52,5 | -35,7 |
06 | Zucker, Zuckerwaren und Honig | 24,8 | 26,4 | 38,0 | 44,2 |
05 | Gemüse und Früchte | 20,7 | 18,3 | 21,7 | 18,2 |
02 | Milch und Milcherzeugnisse | 11,9 | 13,2 | 14,0 | 6,2 |
08 | Tierfutter (ausgenommen ungemahlenes Getreide) | 4,9 | 5,9 | 4,8 | -18,2 |
03 | Fische, andere Wassertiere und Zubereitungen | 3,0 | 2,5 | 2,7 | 9,3 |