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Chemieindustrie greift auf breite Rohstoffbasis zurück
Kasachstan importiert einen Großteil seines Bedarfs an chemischen Produkten. Die Regierung will die heimische Chemieindustrie nun breiter aufstellen, um mehr selbst zu produzieren.
27.10.2023
Von Viktor Ebel | Bonn
Markttrends
Großteil der chemischen Erzeugnisse wird importiert
Kasachstans verarbeitende Industrie ist noch im Aufbau. Gerade bei technologisch anspruchsvollen Produkten ist das Land stark auf Importe angewiesen. Besonders deutlich zeigt sich dies bei chemischen Erzeugnissen. Etwa drei Viertel des Marktvolumens entfallen auf Lieferungen aus dem Ausland. Die Importe steigen von Jahr zu Jahr und machten 2022 etwa 6,8 Milliarden US-Dollar (US$) aus.
Aus Russland und China führt Kasachstan die meisten chemischen Erzeugnisse ein. An dritter Stelle folgt mit Importen von über 530 Millionen US$ Deutschland. Über die Hälfte davon entfällt auf Medikamente und pharmazeutische Erzeugnisse. Zweitwichtigste Position sind Chemikalien für den Bedarf der Industrie, Landwirtschaft und Labore. Aus anderen Ländern werden zudem Kosmetika, Waschmittel und Kunststoffe importiert.
Positive Aussichten für kasachische Chemieindustrie
Trotz einiger Schwächen wie veralteter Technik und die Anfälligkeit für externe Schocks wie beispielsweise den Ukrainekrieg ist die kasachische Chemieindustrie im Aufwind. Im Jahr 2022 stieg der Ausstoß der Branche auf fast 2 Milliarden US$. Preisbereinigt wuchs die Chemieindustrie mit 13,6 Prozent überdurchschnittlich schnell. Am stärksten nahm die Produktion von Waschmitteln, Chlorverbindungen und diversen Industriechemikalien zu. Rückgänge gab es bei Stickstoff- und Phosphatdünger, deren Ausgangsstoffen und Chromverbindungen. Die in der kasachischen Statistik separat erfasste Sparte Kunststoff- und Gummierzeugnisse wuchs um real 4,8 Prozent.
Ein großer Standortvorteil ist der Zugang zu Rohstoffen wie Öl, Gas, Phosphor, Chrom und weiteren Ausgangsstoffen der chemischen Industrie, die in Kasachstan reichlich vorhanden sind. Hinzu kommt eine durch die brummende Wirtschaft getriebene Inlandsnachfrage nach chemischen Produkten. Auch die Nähe zu China, Russland und dem Wachstumsmarkt Zentralasien liefert Impulse, wo insbesondere kasachische Düngemittel gefragt sind. Die Regierung hat in Atyrau (Gebiet Atyrau) und Taras (Gebiet Schambyl) auch bereits zwei Sonderwirtschaftszonen mit Schwerpunkt Chemie geschaffen, in denen Investoren von bestimmten Steuern befreit und bei der Ansiedlung unterstützt werden.
Produktpalette der chemischen Industrie wird breiter
Der Aufschwung dürfte mit der Eröffnung mehrerer neuer Produktionsstandorte zusammenhängen. Darunter ist auch ein milliardenschwerer Gaschemiekomplex in Atyrau, der vom staatlichen Wohlstandsfonds Samruk Kazyna initiiert wurde. Der Gaschemiekomplex ging 2021 mit US-Technologie an den Start und produziert 500.000 Tonnen Polypropylen pro Jahr. Laut der kasachischen Investitionsagentur wird gegenwärtig untersucht, ob die Produktion gesteigert und auf weitere petrochemische Produkte wie Polyethylen ausgeweitet werden kann. Das würde weitere Milliarden an Investitionen nach sich ziehen.
Laut Pressemeldungen des Industrieministeriums sollen 2023 allein 14 neue Chemiebetriebe die Produktion aufnehmen, darunter in den Sparten Emulsionssprengstoffe, Lösungsmittel, Chemikalien für die Metallurgie und Gelatine. Damit wird die Produktpalette der chemischen Industrie in Kasachstan zunehmend breiter, auch wenn ein Gros der Produktion weiterhin auf Erzeugnisse mit mittlerer und geringer Wertschöpfung sowie Halbwaren entfällt.
Investitionen zeigen nach oben
Laut dem Branchenverband Kazkhimiya nahmen die Bruttoanlageinvestitionen in der Chemieindustrie im 1. Halbjahr 2023 gegenüber dem Vorjahreszeitrum um 7,6 Prozent auf etwa 180 Millionen US$ zu, während die Investitionen der Kunststoff- und Gummiproduzenten um mehr als das dreifache auf 125 Millionen US$ stiegen. Zusammen standen sie für 4,2 Prozent der Bruttoanlageinvestitionen der kasachischen Industrie im 1. Halbjahr 2023.
Projektbezeichnung | Investitionen (in Mio. US$) | Projektstand/Realisierungszeitraum | Projektträger |
---|---|---|---|
Bau eines Gaschemiekomplexes zur Produktion von Polyethylen (2.Phase) in der Sonderwirtschaftszone Atyrau | etwa 7.600
| Projektfrühstadium (2023-2027) | |
Bau einer Anlage zur Harnstoffproduktion mit einer Kapazität von bis zu 1,3 Millionen Tonnen pro Jahr in der Sonderwirtschaftszone Seaport Aktau | Vorläufig: etwa 1.430 | Projektfrühstadium (2023-2028)
| |
Bau einer Anlage zur Herstellung von Mineraldüngern und Abbau von Lagerstätten im Karatau-Phosphoritbecken | 1. Phase: 126
2. Phase: mehr als 1.000
| 2. Phase im Gange |
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Natriumkarbonatanlage mit Kapazität bis zu einer Million Tonnen Soda pro Jahr im Dorf Togyzkent, Region Schambyl | etwa 440
| Bau bis 2024 | |
Komplex "Sastobe" zur Produktion von kalzinierter Soda, Polyvinylchlorid und Calciumcarbid in der Region Turkestan | etwa 350 | Bau bis 2024 |
Branchenstruktur und Rahmenbedingungen
Zahl der Betriebe nimmt zu
Stand Mitte 2023 waren in Kasachstan 1.023 Unternehmen in der Chemiebranche und 1.470 in der Kunststoff- und Gummiproduktion aktiv, gegenüber 876 beziehungsweise 1.396 ein Jahr zuvor. Bis auf wenige Ausnahmen handelt es sich dabei um Kleinbetriebe. Auf mittlere und große Unternehmen entfielen Mitte 2023 nur etwa 3 Prozent der Gesamtzahl. Knapp 10 Prozent sind ausländische Unternehmen. Insgesamt sind in der Chemie-, Kunststoff- und Gummiproduktion 24.300 Menschen beschäftigt. Am stärksten ist die Chemiebranche im Gebiet Schambyl vertreten, das für ein Drittel des Ausstoßes steht. An zweiter und dritter Stelle folgen Ostkasachstan und Aktobe.
Der Anteil der Chemieindustrie am Bruttoinlandsprodukt lag in den vergangenen Jahren jeweils bei unter 1 Prozent, so eine Analyse von Samruk Kazyna Ondeu (SKO), einer Tochtergesellschaft des Staatsfonds für die Entwicklung der Chemieindustrie. Das soll sich aber in Zukunft ändern, denn die Regierung sieht in der Chemieindustrie einen Schlüsselbereich für die Diversifizierung der kasachischen Wirtschaft.
Neue Entwicklungsstrategie gibt die Richtung vor
SKO hat für die Jahre 2023 bis 2032 eine Strategie veröffentlicht, die die Ziele für die nächsten Jahre absteckt. So soll die kasachische Chemieindustrie durch gezielte Investitionen weiterentwickelt und zum führenden Hersteller chemischer Produkte mit hoher Wertschöpfung in Zentralasien werden. Neben einer breiten Produktpalette soll auch ein Fokus auf Nachhaltigkeit gelegt werden. Die Produktion ist sowohl für den Export als auch den heimischen Markt gedacht. Schwerpunkte sind:
Agrochemie (Stickstoff- und Phosphatdünger),
Petrochemie (chemische Grundstoffe und Weiterverarbeitung),
Spezialchemie (Feinchemikalien, pharmazeutische Wirkstoffe).
SKO hat im Rahmen der neuen Entwicklungsstrategie analysiert, bei welchen chemischen Erzeugnissen Kasachstan einen Wettbewerbsvorteil hat. Herausgekommen ist eine Liste von 15 Produkten, auf die sich das Unternehmen konzentrieren will, darunter:
Harnstoff,
Monoammoniumphosphat (MAP),
Diamoniumphosphat (DAP),
Ethylenglykol,
Methanol,
Schwefelsäure,
Wasserstoffperoxid.