Special | Zentralasien | Global Gateway
EU-Studie evaluiert Transportwege von Zentralasien nach Europa
Die Studie legt der EU Schlüsselmaßnahmen zum Transportausbau nahe. Empfohlene Infrastrukturinvestitionen könnten Basis für weitere Global-Gateway-Projekte sein. (Stand: 28.09.2023)
Von Edda Schlager | Berlin
Mehr als 30 Transportinfrastrukturprojekte mit einem Investitionsumfang von rund 18,5 Milliarden Euro: Das könnte in den kommenden Jahren die Konnektivität der zentralasiatischen Länder untereinander und ihre Anbindung an europäische Transportnetze deutlich verbessern. Zu diesem Schluss kommt die Studie „Nachhaltige Transportverbindungen zwischen Europa und Zentralasien“. Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) hatte diese im Auftrag der Europäischen Kommission durchgeführt und im Juni 2023 veröffentlicht. Die Studie ist eines von vier Leuchtturmprojekten der europäischen Konnektivitätsinitiative Global Gateway in Zentralasien.
Analyse bestehender Verkehrsnetze und Vorschläge zum Ausbau
Ziel der Studie war es, zum einen die nachhaltigsten Verkehrskorridore in Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan zu ermitteln. Die Transportrouten wurden auf Grundlage von Nachhaltigkeitskriterien bewertet. Dafür wurden ökologische, soziale, wirtschaftliche, fiskalische beziehungsweise schuldenbezogene Nachhaltigkeit sowie die politische Tragfähigkeit untersucht.
Zum anderen schlägt die Studie Schlüsselmaßnahmen für die Entwicklung der ermittelten Korridore vor. Die empfohlenen Maßnahmen betreffen sowohl den Bau und Ausbau physischer Infrastruktur als auch regulatorische Rahmenbedingungen - in der Studie als harte und weiche Faktoren für Konnektivität charakterisiert.
Als harte Faktoren gelten Investitionen in Eisenbahn, Straßen, Häfen und Seeverkehr, Logistik und intermodalen Verkehr sowie in Grenzübergänge. Weiche Faktoren sind rechtlich-regulatorische, institutionelle und politische Bedingungen, bi-/multilaterale Vereinbarungen sowie Digitalisierung. Beispiele dafür sind staatliche Investitionsstrategien oder Risikomanagementprogramme für Grenzkontrollpunkte. Sie können Institutionen, Vorschriften oder gar nationale Verkehrspolitik betreffen.
Für die Studie wurden von Ende 2021 bis Mitte 2023 zahlreiche Stakeholder befragt, unter anderem Regierungsbehörden aller fünf zentralasiatischer Länder (Ministerien für Verkehr, Wirtschaft und Investitionen, Eisenbahn- und Straßenbehörden, Zollbehörden). Angehört wurden außerdem Verbände und Vertreter des Privatsektors in Zentralasien, Europa, im Kaukasus und in der Türkei, die EU-Mitgliedstaaten, EU-Delegationen in der Region, internationale Finanzinstitutionen, UN- Organisationen, NGOs und andere Interessengruppen.
Der Fokus der Studie liegt auf dem Landverkehr (Schiene und Straße). Jedoch macht die Querung von Kaspischem und Schwarzem Meer auf dem Seeweg aus den Korridoren intermodale und interoperable Verkehrsverbindungen, deren rechtliche und regulatorische Besonderheiten ebenso analysiert wurden.
Zentraler transkaspischer Korridor am nachhaltigsten
Der transkaspische oder Mittlere Korridor durch Zentralasien und über das Kaspische Meer ist neben dem nördlichen Korridor durch Russland und dem südlichen Korridor durch Zentralasien und Iran eine von drei Landrouten quer über den Eurasischen Kontinent. Die Studie betrachtete den Mittleren Korridor noch einmal differenzierter mit seinen drei Strängen:
- Nördlicher transkaspischer Korridor durch Nordkasachstan
- Zentraler transkaspischer Korridor durch Südkasachstan
- Südlicher transkaspischer Korridor durch Kirgisistan, Usbekistan, Turkmenistan
Der zentrale transkaspische Korridor - auch zentral-kaspisches Netz (CTCN) genannt - wurde entsprechend der Kriterien Verkehr, Infrastruktur, Sozial- und Umweltverträglichkeit, Länderbewertung und wirtschaftliche Integration als nachhaltigste Option ermittelt. Er ermöglicht laut Studie eine umfassende Entwicklung des Verkehrsnetzes in der Region. So deckt er mit seinem Einzugsgebiet bis zu 600 Kilometer nördlich und südlich seiner Hauptroute alle fünf zentralasiatischen Länder und die wichtigsten Bevölkerungs- und Produktionszentren wie Almaty, Taschkent, Bischkek oder Duschanbe ab.
Die in der Studie betrachteten transkaspischen Korridore schließen über die Länder der Östlichen Partnerschaft (Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Moldau, Ukraine) und die Türkei an das erweiterte transeuropäische Verkehrsnetz der EU (TEN-V) an. Somit erhielten die 27 EU-Mitgliedstaaten und die Länder des westlichen Balkans (Albanien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien) Anbindung an Zentralasien. |
Regulatorische Maßnahmen fast wichtiger als Investitionen
Zentrales Element der Studie sind Empfehlungen, um die Funktionalität des Verkehrsnetzes zu verbessern. Dazu gehört zum einen der konkrete physische Ausbau der Infrastruktur. Für jedes der fünf zentralasiatischen Länder wurde ein Katalog aus kurz-, mittel- und langfristigen Investitionsprojekten ermittelt, deren Umsetzung teilweise bereits im Gang ist. Beispiele dafür sind der Bau des Hafens Kuryk in Kasachstan oder der Bau der Eisenbahnverbindung zwischen China, Kirgisistan und Usbekistan.
Überrascht zeigten sich die Macher der Studie darüber, dass nicht fehlende Infrastruktur oder Finanzierungen das größte Problem darstellen, sondern komplizierte Zollprozesse, unterschiedliches Regelwerk in Nachbarländern oder fehlende Abstimmungen noch problematischer erscheinen.
Daher trägt die Studie auch Maßnahmen zusammen, um Vorschriften und Gesetze der Länder zu harmonisieren und insgesamt die Transparenz zu erhöhen:
- Digitalisierung von Verkehrsdokumenten
- Förderung der Interoperabilität,
- Verbesserung des Umfelds für öffentlich-private Partnerschaften (PPP),
- Handelserleichterungen,
- Marktliberalisierung,
- Verbesserung von Mechanismen zur Festsetzung von Tarifen,
- Aufstockung der Mittel für Instandhaltung von Anlagen
Ausbau soll Kapazität des Mittleren Korridors deutlich steigern
Im Vergleich zum Seeweg durch den Suezkanal und zum Landkorridor über Russland ist der Mittlere Korridor bisher relativ unbedeutend. Dennoch geht die Studie davon aus, dass bei Umsetzung der empfohlenen Maßnahmen das Transitcontainervolumen auf dem CTCN von geschätzten 18.000 TEU im Jahr 2022 bis auf 865.000 TEU im Jahr 2040 ansteigen könnte. Von dieser Entwicklung würde nicht nur der Verkehr zwischen Europa und Asien profitieren, sondern auch das Wirtschaftswachstum und generell die Entwicklung Zentralasiens.
Im Januar 2024 plant die EU ein Investorenforum in Brüssel, um die Umsetzung von in der Studie empfohlenen Projekten zu erleichtern. Angestrebt ist ein Team-Europe-Ansatz, der bereits bei anderen Global-Gateway-Projekten genutzt wird.