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Wirtschaftsausblick | Kirgisistan

Kirgisistans Konjunktur profitiert von geopolitischem Umfeld

Die kirgisische Wirtschaft wächst dank Sondereffekten rasant. Davon profitieren vor allem der Außenhandel, der Konsum und die Bauwirtschaft. Wie lange die Impulse anhalten, ist ungewiss.

Von Viktor Ebel | Almaty

Top-Thema: Kirgisistans Wirtschaft wächst im Schatten des Ukrainekriegs

Einige Volkswirtschaften sind infolge der geopolitischen Umwälzungen der letzten Jahre stark gewachsen. Dazu zählt auch die zentralasiatische Gebirgsrepublik Kirgisistan. Das Land ist zu einer Handelsdrehscheibe für den Reexport von Gütern nach Russland avanciert. Dabei profitiert es von seiner geografischen Nähe zu China. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Zollunion mit Russland, die ein vollständiges Überwachen des Handels mit Moskau erschwert. Kirgisistan wird daher mitunter Sanktionsumgehung vorgeworfen.

Der Konjunktur kommen zudem gestiegene Rücküberweisungen von Migranten aus Russland und ein reger Tourismus zugute. Das veränderte Wirtschaftsumfeld hat der kirgisischen Regierung hohe Steuereinnahmen beschert. Experten raten, diese Chance für strukturelle Reformen und Investitionen zu nutzen, um damit ein langfristiges Wachstum zu sichern. Denn aufgrund der volatilen Lage könnte die Wirkung der Sondereffekte bald nachlassen.

Wirtschaftsentwicklung: Mehrere Faktoren begünstigen Wachstum 

Die Regierung schätzt, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2024 um 6,3 Prozent und 2025 um 6,0 Prozent zulegen wird, wozu auch höhere Goldexporte beitragen sollen. Die Asiatische Entwicklungsbank (ADB) rechnet mit ähnlich hohen Wachstumsraten. Staatliche Programme und Investitionen lassen den Bausektor boomen. Wachsende Touristenzahlen und ein reger Konsum sorgen für klingende Kassen im Einzelhandel, in der Gastronomie und bei Transportunternehmen.

Kritischere Stimmen, wie beispielsweise die Weltbank, sehen bereits ab 2025 ein Abflachen der lukrativen Reexporte, da die Russland betreffenden Sanktionen strikter durchgesetzt werden. Auch die Rücküberweisungen könnten geringer ausfallen, da erste kirgisische Banken Finanztransaktionen mit sanktionierten russischen Banken meiden wollen. Die Weltbank schätzt, dass die kirgisische Wirtschaft daher ab 2025 mit 4,5 Prozent weniger rasant wachsen wird.

Investitionen: Großteil der Gelder fließt in den Bausektor

In den ersten drei Quartalen 2024 stiegen die Bruttoanlageinvestitionen auf etwa 1,8 Milliarden US-Dollar (US$). Gegenüber dem Vorjahreszeitraum entsprach dies einem Plus von über 50 Prozent, so das kirgisische Statistikamt. Der Großteil der Investitionen (84 Prozent) floss in den Bau von Bergbauanlagen, Logistikkomplexe, Kapazitäten zur Stromerzeugung und -übertragung, Produktionsstätten sowie Wohngebäude.

In bestimmten Branchen ergeben sich perspektivisch neue Kooperations- und Lieferchancen. Dazu zählt auch der Bereich Logistik, der in Zukunft von der neuen Eisenbahnlinie zwischen China, Kirgisistan und Usbekistan profitieren dürfte. Das deutsche Unternehmen Rhenus Logistics hat die Strecke für seinen Warenumschlag bereits im Blick. Hinzu kommt die eingeleitete Diversifizierung der Stromproduktion. Erste Wind- und Solarprojekte internationaler Investoren werden vorbereitet. Beim Bau von Wasserkraftwerken kommt deutsche Technik bereits zum Einsatz.

Konsum: Verbraucherstimmung hellt sich auf, aber weiterhin viel Armut

Nach einem zweistelligen Anstieg im Vorjahr dürfte die Inflation 2024 auf etwa 7 Prozent zurückgehen. Für 2025 prognostiziert die ADB eine Teuerungsrate von 6,5 Prozent. Die Preise für Nahrungsmittel und Importe sollen weiter nachgeben und die Landeswährung leicht aufwerten. Das macht sich im Einzelhandel und der Gastronomie bemerkbar. Die Regierung erwartet, dass der Privatverbrauch sowohl dieses als auch nächstes Jahr um 6 bis 7 Prozent zunimmt. 

Die Zahlen täuschen aber nicht darüber hinweg, dass weiterhin etwa 30 Prozent der Menschen in Kirgisistan unterhalb der Armutsgrenze leben. Ihr Anteil war während der Coronapandemie rasant gestiegen. Viele Familien im Land sind auf Rücküberweisungen von Verwandten angewiesen, die im Ausland arbeiten. Die hauptsächlich aus Russland stammenden Gelder standen in den letzten Jahren für bis zu 30 Prozent des BIP.  Nach einem Rückgang im Vorjahr sind die Transfers 2024 wieder im Steigen begriffen. Trotzdem kann die Konsumstimmung aufgrund der Abhängigkeit von Russland und der volatilen Lebensmittel- und Energiepreise schnell kippen.

Außenhandel: Importe übertreffen Exporte um ein Vielfaches

Das Außenhandelsdefizit vergrößert sich weiter. Allein bei Autos, darunter mit einem wesentlichen Beitrag aus Deutschland, schnellte der Einfuhrwert zwischen 2021 und 2023 von 148 Millionen auf 2,8 Milliarden US$ empor. Viele davon dürften nach Russland gegangen sein, auch wenn dies aus der kirgisischen Statistik nicht klar hervorgeht. Weitere wichtige Importgüter sind Brenn- und Kraftstoffe sowie Medikamente. Über 40 Prozent der Importe stammten 2023 aus China (auch wegen Reexporten). Andere wichtige Importländer sind Russland und Kasachstan. 

Bei den Ausfuhren dominiert Gold, 2023 entfielen dem Wert nach 38 Prozent auf das Edelmetall. Dessen Hauptabnehmer sitzen in der Schweiz. Daneben exportiert Kirgisistan landwirtschaftliche Produkte sowie Bekleidung und Textilien vor allem nach Russland und Kasachstan. Im laufenden Jahr sind die Exporte um fast 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Vor allem die Ausfuhren von Schuhen, Textilien und Milchprodukten verzeichneten satte Zuwächse.

Deutsche Perspektive: Migrationsabkommen in Vorbereitung

Das angestrebte Migrationsabkommen zwischen Deutschland und Kirgisistan soll angesichts des deutschen Bedarfs an Fach- und Arbeitskräften weitere Möglichkeiten der legalen Erwerbsmigration schaffen. Gleichzeitig soll die Rückübernahme von Personen ohne Aufenthaltsrecht geregelt werden.

Bereits im Vorfeld haben erste kirgisische Auszubildende, initiiert von Industrie- und Handelskammern sowie Landkreisen, den Weg nach Deutschland gefunden. Im bayerischen Cham etwa konnten 21 junge Menschen aus Kirgisistan ihre Ausbildung beginnen. Im Oktober 2024 wurde eine weitere Gruppe in Thüringen begrüßt. In Sachsen ist ein Pilotprojekt mit Kirgisistan angelaufen, um Auszubildende für die Branchen IT, Bau, Gesundheit und Tourismus zu gewinnen.

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