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China investiert weiter kräftig in Lateinamerika
Minen, Häfen oder Telekommunikation - China zählt zu den Hauptinvestoren in der Region und differenziert sein Engagement gezielt aus. Dabei geht es nicht nur ums Geldverdienen.
18.05.2022
Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile
Chinas Fußabdruck in Lateinamerika und der Karibik wird immer größer. Schon heute gehört die Volksrepublik zu den führenden Investoren in der Region. Allerdings gingen die Investitionen laut Forschern der Boston University im Pandemiejahr 2020 drastisch von 17,7 Milliarden auf 9,5 Milliarden US-Dollar (US$) zurück. Es ist fraglich, ob sie wieder auf das Niveau von vor der Pandemie steigen. Denn China konzentriert sich gegenwärtig vor allem auf seine Binnenwirtschaft. Trotzdem kommen immer neue Projekte hinzu. Hier nur einige Beispiele:
- Rund 70 Kilometer nördlich der peruanischen Hauptstadt Lima beginnt der chinesische Hafenbetreiber Cosco Shipping Ports gerade mit dem Neubau des Hafens Chancay. Die Baukosten werden auf 600 Millionen US$ geschätzt; der erste Pier soll 2023 fertig sein. Ziel ist es, Chancay zum wichtigsten Pazifikhafen Südamerikas auszubauen, schreibt das Handelsblatt. Dem Hafen käme somit eine Schlüsselrolle für Chinas Neue Seidenstraße in der Region zu. Ebenfalls in Peru: Im 1. Quartal 2021 kaufte China Yangtze weitere Anteile am Stromnetzbetreiber Luz del Sur.
- In Chile erhielt Ende 2021 China Railway 16th Bureau Group den Zuschlag für den Bau der Metrolinie 7 in der Hauptstadt Santiago. Im Februar 2022 bewarb sich der chinesische Konzern BYD erfolgreich um eine Konzession zum Lithiumabbau. Mit 61 Millionen US$ hatte der Spezialist für Elektroautos das höchste Gebot abgegeben. Allerdings liegt die Ausschreibung derzeit auf Eis. Ferner melden Zeitungen, unbekannte chinesische Investoren führten Gespräche bezüglich des Kaufs des Eisenerzprojekts Dominga (Región de Coquimbo) für 2,5 Milliarden US$.
- In Argentinien erwarb Zijin Mining Group im Oktober 2021 für 770 Millionen US$ das Lithiumprojekt Salar Tres Quebradas (3Q); Fachleuten zufolge ist 3Q das landesweit aussichtsreichste Vorhaben zur Lithiumgewinnung.
- In Brasilien stiegen die chinesischen Investitionen 2021 wieder an, meldet die Chinesisch-Brasilianische Handelskammer CCIBC; mit der weiteren Vergabe von Infrastrukturkonzessionen dürfte sich dieser Trend fortsetzen.
Chinesische Investoren in Lateinamerika seit 2010 auf dem Vormarsch
Laut einer Studie der UN-Organisation CEPAL verzeichnen Chinas Direktinvestitionen in die Region besonders seit 2010 einen deutlichen Anstieg. Allerdings erfassen die offiziellen Zahlungsbilanzstatistiken nur das direkt zugeführte Kapital. Die tatsächliche Beteiligung chinesischer Unternehmen wird daher systematisch unterschätzt.
Bei den Zielbranchen in Lateinamerika beobachtete die CEPAL zwei Phasen: Die erste bis 2010 war geprägt von chinesischen Investitionen in Kohle, Öl, Gas, Eisenerz und andere Rohstoffe sowie Landwirtschaft und Fischerei. Danach begann ein Diversifizierungsprozess, in dem sich die Unternehmen zunehmend für andere Sektoren interessierten, darunter vor allem Elektrizität, Verkehrsinfrastruktur, hauptsächlich Häfen, und in geringerem Maße das verarbeitende Gewerbe und Finanzen. Speziell die Investitionen in den Telekommunikations- und Hightech-Sektor spiegeln Chinas digitale Expansionsstrategie wider und zeigen das wachsende Gewicht seiner Player in der Welt.
Branche | Anteil *) |
---|---|
Strom, Gas, Wasser | 37 |
Gas, Öl | 28 |
Bergbau | 16 |
Fertigung | 9 |
Transport, Lagerhaltung | 5 |
Land- und Forstwirtschaft, Fischerei, Rinderfarmen | 3 |
Finanzdienstleistungen | 1 |
Andere | 1 |
Branche | Anteil *) |
---|---|
Kfz und Kfz-Teile | 44 |
Erneuerbare Energie | 17 |
Finanzdienstleistungen | 11 |
Konsumgüter | 6 |
Elektrokomponenten | 5 |
Kommunikation | 4 |
Transport und Lagerhaltung | 4 |
Hotelwesen/Tourismus | 4 |
Sonstige | 6 |
Vor allem finanziell klamme Länder wie Argentinien begrüßen das Engagement. Auch wertschätzen viele Beteiligte, dass China bei der Einhaltung von Sozialstandards/Menschrechten oder Umweltauflagen keine Forderungen stellt. Trotzdem hat die Zusammenarbeit mit dem Land ihren Preis. Hierauf verweist auch die CEPAL: China habe es verstanden, sich in den durch die Coronakrise geschwächten Volkswirtschaften als weiter aufstrebende Macht zu etablieren. Es könne deshalb verstärkt eigene Regeln setzen beziehungsweise sehe sich immer weniger veranlasst, internationale Gepflogenheiten einzuhalten.
Konflikt um die technologische Hegemonie
Entsprechend ist im Zuge der wachsenden Dominanz Chinas mit einem zunehmenden Export von technischen Standards zu rechnen. Basis ist unter anderem die 2018 gestartete Initiative "China Standards 2035". Die Volksrepublik investiert hohe Summen in die Entwicklung eigener Standards und Industrienormen – nicht nur für den eigenen Markt, sondern, um weltweit Normen zu setzen und so eigenen Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Hiervor warnte erneut die EU-Handelskammer in Peking in einem Ende 2021 veröffentlichten Bericht.
Besonders stark engagiert ist China hierbei in Bereichen, in denen chinesische Unternehmen technisch besonders fortschrittlich sind – etwa bei 5G oder bei der Gesichtserkennung. Lateinamerika ist dabei keine Ausnahme, wie sich schon heute im Streit um die Vergabe von 5G-Lizenzen zeigt. Befürchtet wird etwa die Errichtung unterschiedlicher 5G-Mobilfunknetze, die untereinander nicht kompatibel sein könnten.
Bereits jetzt stammt beispielsweise die Hälfte der Hardware im brasilianischen Mobilfunknetz von Huawei. Auch in Argentinien hat der Konzern aus Shenzhen gute Karten. Darüber hinaus sehen westliche Länder - allen voran die USA - nationale Sicherheitsinteressen bedroht. Tatsächlich ist Chinas Engagement in Lateinamerika als Teil der weltweiten Außen- und Außenwirtschaftspolitik zu sehen, welche darauf abzielt, China zur bestimmenden Weltmacht vor den USA aufzubauen.