Wirtschaftsausblick | Libyen
Libyens Wirtschaft erwartet starkes Wachstum
Nach dem Ende der Ölblockade könnte die libysche Wirtschaft 2025 stark zulegen. Risiken in Bezug auf die politische Stabilität und die Sicherheitslage bleiben bestehen.
20.12.2024
Von Verena Matschoß | Tunis
Top-Thema: Erneuerbare Energien auf der Agenda
Ende 2023 hat Libyen seine aktualisierte Strategie zum Ausbau der erneuerbaren Energien und zur Verbesserung der Energieeffizienz veröffentlicht. Bis 2035 hat sich das Land zum Ziel gesetzt, Kapazitäten von Solar- und Windenergie in Höhe von 4 Gigawatt beziehungsweise 20 Prozent am Energiemix zu erreichen. Der Löwenanteil soll dabei auf Solarkraftwerke entfallen. Trotz großen Potenzials ist der Anteil von erneuerbaren Energien an der Stromproduktion aktuell noch marginal.
Ein größeres Projekt soll sich seit 2020 in Kufra, im Südosten Libyens, im Bau befinden. Der 100-Megawatt-Solarpark wird Pressemeldungen zufolge mit einem chinesischen Unternehmen umgesetzt. Einige weitere Projekte werden erwartet, vor allem von Energiefirmen, die bereits im Land aktiv sind. So will TotalEnergies aus Frankreich einen 500-Megawatt-Solarpark im Südosten von Tripolis errichten. Eine weitere Investition plant AGNA aus Irland. In einer ersten Phase sollen in Ghadames am Dreiländereck Libyens mit Tunesien und Algerien 200 Megawatt Solarleistung installiert werden. Unternehmen aus den USA und Katar haben ein Auge auf eine Großfläche in Al-Saddada geworfen. Unabhängig davon setzt die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) ein Vorhaben zur Flächendemarkierung um.
Kleinere Projekte, vor allem zur Eigenversorgung, kommen schneller voran als die Großvorhaben. Fehlende Investitionen und Kriegsfolgen haben dazu geführt, dass die Stromversorgung in Libyen unzuverlässig ist und es immer wieder zu Ausfällen im Netz kommt. Die staatliche Stromgesellschaft GECOL plant bis zum Jahr 2030 insgesamt rund 6 Gigawatt an zusätzlicher Kapazität im Stromnetz zu schaffen. Ein Baustein sind dabei die Erneuerbaren.
Wirtschaftsentwicklung: Alles hängt vom Öl ab
Internationale Beobachter wie der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Economist Intelligence Unit (EIU) gehen davon aus, dass Libyen 2025 ein reales Wirtschaftswachstum von über 13 Prozent erreichen könnte. Dazu trägt vor allem das erwartete Wachstum der Ölförderung bei, nachdem diese 2024 für zwei Monate unterbrochen war. Über 90 Prozent der Exporte und Staatseinnahmen entfallen auf Kohlenwasserstoffe.
In den nächsten Jahren wird die Wirtschaft weiter wachsen, wenn auch in geringerer Höhe. Wirtschaftliche Prognosen sind für Libyen immer mit Vorsicht zu genießen, da es in Bezug auf die Höhe des Ölpreises, auf die politische Stabilität und die Sicherheitslage erhebliche Risiken gibt.
Nach Blockade wieder hohe Ölförderung
Nach einem politisch relativ ruhigen Jahr 2023 nahmen die Spannungen zwischen den beiden konkurrierenden Regierungen Mitte 2024 wieder zu. Nachdem die international anerkannte Westregierung im August den Zentralbankchef abgesetzt hatte, stoppten die Anhänger der östlichen Regierung die Ölproduktion. Im August 2024 sank die Ölförderung im Land von über 1 Million auf unter 450.000 Barrel pro Tag. Ein großer Teil der Ölinfrastruktur befindet sich im Osten Libyens und wird immer wieder als politisches Druckmittel eingesetzt.
Nach der Ernennung eines neuen Gouverneurs der Zentralbank wurde im Oktober die Ölförderung wieder aufgenommen und erreichte in Folge wieder über 1 Millionen Barrel pro Tag. In den folgenden Jahren könnte die Öl- und Gasförderung steigen. Internationale Energiefirmen wie ENI oder TotalEnergies planen größere Investitionen, während andere Firmen ihre Explorationstätigkeiten wieder aufnehmen könnten. Investitionen in die veraltete Infrastruktur sind dringend nötig, um in den nächsten Jahren die anvisierte tägliche Fördermenge von 2 Millionen Barrel Öl zu erreichen.
Kaum Investitionen in den Wiederaufbau
Die Teilung des Landes in zwei konkurrierende Regierungen verhindert weiterhin eine einheitliche Wirtschaftspolitik. Offiziell hat sich die Zentralbank im August 2023 vereinigt, der Prozess bleibt allerdings unvollendet. Ohne einen verabschiedeten Einheitshaushalt wird der Staat trotz hoher Öleinnahmen kaum in den Wiederaufbau und die wirtschaftliche Diversifizierung des Landes investieren. Ein Großteil der Ausgaben fließt in die Gehälter der Staatsbediensteten und in Subventionen für die Bevölkerung.
Exporte legen 2025 wieder zu
Im 1. Halbjahr 2024 wurden laut libyscher Zentralbank Waren in einem Wert von 17 Milliarden US-Dollar (US$) exportiert. Das war ein Rückgang um 4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Hinter Italien war Deutschland zweitwichtigster Abnehmer. Eine höhere Öl- und Gasproduktion wird in den Folgejahren zu steigenden Exporten führen. Da die lokale Produktion abgesehen von fossilen Brennstoffen gering ist, ist Libyen stark von Importen abhängig. Hauptlieferländer waren im 1. Halbjahr 2024 China, die Türkei und Italien.
Deutsche Perspektive: Kooperationspotenzial bei Erneuerbaren
Für deutsche Unternehmen könnten sich Chancen beim Ausbau der erneuerbaren Energien in Libyen ergeben. Bei ersten Pilotprojekten erhielten deutsche Architekturbüros bereits Beratungsaufträge. Die GIZ unterstützt die libysche Regierung seit einigen Jahren bei den Ausbauplänen. Unter anderem geht es dabei um die Identifizierung und Demarkierung von geeigneten Großflächen für Projekte, im Fokus stehen die Flächen Al-Saddada, Ghadames und Al-Shati.
Zudem unterstützt die GIZ die Renewable Energy Authority of Libya bei der Projektentwicklung, den Ausschreibungsverfahren und der Netzdienlichkeit von erneuerbaren Energien. Probleme bleiben aber bestehen, vor allem was das Thema der Investitionssicherheit in Libyen angeht.
Beim Außenhandel dominiert Rohöl, das Deutschland aus Libyen bezieht. Libyen war 2023 dafür das viertwichtigste Lieferland für die Bundesrepublik. Die deutschen Ausfuhren sind dagegen gering. In den ersten acht Monaten 2024 lagen die deutschen Importe aus Libyen bei 3,2 Milliarden Euro. Damit stiegen die Einfuhren um 6 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.