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Branche kompakt | Polen | Chemische Industrie

Nachhaltigkeit in der Chemieindustrie

Der Mineralölkonzern Orlen übernimmt eine Vorreiterrolle bei der Dekarbonisierung des Chemie- und Energiesektors. Klimaneutralität bis 2050 erfordert Milliardeninvestitionen.

Von Beatrice Repetzki | Berlin

Der polnische Mineralölkonzern Orlen will seine dominante Marktposition und Finanzkraft nutzen, um die Dekarbonisierung voranzutreiben. Übernahmen anderer Großunternehmen erhöhen seinen Umsatz. Damit will Orlen die längerfristig anstehenden Milliardeninvestitionen stemmen, um die Emissionen von Treibhausgasen zu reduzieren und bis 2050, gemäß dem ''Grünen Deal“ der EU-Kommission, klimaneutral zu werden. Das Engagement von Orlen gilt dabei nicht nur der chemischen und petrochemischen Industrie. Das Unternehmen soll auch bei der anstehenden Energietransformation die Führungsrolle in Polen übernehmen, wie der Vorstandsvorsitzende Daniel Obajtek verkündet.

Innovative Bioprodukte tragen zur Nachhaltigkeit bei

Im Chemiesektor betrifft der Trend zu mehr Nachhaltigkeit sowohl die Produktion selbst als auch die hergestellten Produkte wie Biobrennstoffe oder grünen Wasserstoff. Orlen will längerfristig umfangreiche Investitionen in die Entwicklung eines emissionsarmen und -freien Energiesektors sowie in die Produktion von emissionsarmen und -freien Brennstoffen tätigen. 

Der Bedarf an herkömmlichen Kraftstoffen sinkt nicht nur angesichts der wachsenden Elektromobilität, sondern auch aufgrund des steigenden Angebots an innovativen und saubereren Alternativprodukten. So vereinbarte Orlen Południe (Süd) die Installation einer großen Ölpresse in Kętrzyn (Rastenburg) für 191 Millionen Euro bis Mitte 2026. Sie soll jährlich 0,5 Millionen Tonnen Raps verarbeiten. Die so gewonnenen 0,2 Millionen Tonnen Öl werden in einen emissionsarmen Biobrennstoff umgewandelt.

In Jedlicze (Südpolen) errichtet Orlen Południe derzeit eine Installation für 25.000 Tonnen Bioethanol jährlich, das aus Getreidestroh gewonnen und als ökologischer Zusatzstoff für Benzin verwendet wird. Außerdem baut das Unternehmen bis zum 2. Halbjahr 2024 in Płock (Plozk) ein Werk zur Hydrierung von Pflanzenölen, HVO (Hydrogenated Vegetable Oils). Das Endprodukt wird Diesel und Kerosin beigemischt.

Mehr Kunststoffe werden recycelt

Da Erdöl generell als Rohstoff an Bedeutung verliert, steht die gesamte petrochemische Industrie vor Veränderungen. Die Entwicklung innovativer, wiederverwertbarer Kunststoffe gewinnt mit der fortschreitenden Kreislaufwirtschaft an Gewicht, in die Orlen ebenfalls investiert. Recycelte Kunststoffe ersetzen zunehmend neu produzierte. Im Jahr 2030 will der Konzern bereits über Recycling-Installationen mit einer Gesamtkapazität von über 300.000 Tonnen jährlich verfügen. Damit sollen kommunale Abfälle verwertet und neue petrochemische Halbfabrikate sowie Produkte gewonnen werden.

Für all diese umfangreichen und vielfältigen Transformationsprozesse benötigt Orlen auch Know-how und Technologien aus dem Ausland. Deutsche Investitionsgüter werden geschätzt und haben gute Chancen auf dem polnischen Markt. So errichtet Linde Engineering für Orlen eine Sauer- und Stickstoffanlage in Płock.

Bis 2030 ein Viertel weniger Kohlendioxid-Emissionen

In einer ersten Etappe strebt Orlen bis 2030 eine Reduktion des Ausstoßes von CO2 um 25 Prozent gegenüber 2023 an, in den Bereichen Raffinerie, Petrochemie und Rohstoffförderung. Gleichzeitig diversifiziert er sein Sortiment, das sowohl Brennstoffe, Gas und grünen Wasserstoff als auch Strom und Elektromobilität, wie etwa Ladestationen für E-Autos, umfasst. Von 2023 bis 2030 will Orlen rund 40 Prozent seiner Investitionsausgaben für ''grün'' Vorhaben aufwenden. Dazu zählen auch Investitionen in erneuerbare Energien wie Offshore-Windparks.

Ein weiteres Geschäftsfeld ist Kunstdünger, den die zur Orlen-Gruppe gehörende Firma Anwil produziert. Diese nimmt gegen Ende 2023 ihre dritte Produktionslinie für Stickstoffdünger an ihrem Standort in Włocławek in Betrieb. Die für 383 Millionen Euro installierte Anlage stößt während des Produktionsprozesses kaum Treibhausgase aus und produziert vier neue, qualitativ besonders hochwertige Düngemittel. Die Jahreskapazität von Anwil erhöht sich dadurch von 1 Million auf 1,5 Millionen Tonnen Dünger.

Führend bei Kunstdünger ist die Dünger- und Chemiegruppe, Grupa Azoty. Sie setzt sich nicht nur für dessen effizientere Anwendung ein, sondern erforscht und entwickelt auch bei Grupa Azoty Fosfory in Gdańsk (Danzig) Biodünger. Außerdem entwickelt sie den Wasserstoffbereich weiter. Branchenfremde Unternehmen engagieren sich hier ebenfalls wie das Kupferkombinat KGHM oder die Kohlegesellschaft JSW (Jastrzębska Spółka Węglowa).

Hoffnung auf EU-Förderung          

Finanzielle Mittel für die geplanten Investitionen stehen Orlen zur Verfügung. Der Konzern erwirtschaftete in den ersten drei Quartalen 2023 einen Umsatz von 58,6 Milliarden Euro mit einem Nettogewinn von 3,8 Milliarden Euro. Gleichzeitig wurden 4,6 Milliarden Euro wieder investiert.

Die künftige polnische Regierung wird versuchen, den Streit über die Rechtsstaatlichkeit mit der EU beizulegen. Wenn dies gelingt, könnten die zurückgehaltenen EU-Mittel aus dem Wiederaufbaufonds ab 2024 freigegeben werden. Im Rahmen des nationalen WIederaufbauplans KPO (Krajowy Program Odbudowy) stehen zunächst insgesamt 34 Milliarden Euro für nachhaltige Reformen und Investitionen bereit, davon 22,5 Milliarden als Zuschüsse und 11,5 Milliarden als vergünstigte Kredite. Beantragt sind weitere Mittel, sodass sich der Gesamtbetrag der 60-Milliarden-Euro-Marke annähern könnte.

Förderfähig sind Investitionen in den Umwelt- und Klimaschutz, darunter in erneuerbare Energien und in die Energieeffizienz. Für Wasserstofftechnologien sind 800 Millionen Euro vorgesehen. Die Mittel, die auch die Chemieindustrie nutzen kann, müssen bis Ende 2026 ausgegeben werden. Einige Firmen haben Investitionen selbst vorfinanziert und hoffen auf eine spätere Rückerstattung. Insgesamt verzögerte sich aber die Investitionstätigkeit durch das Einfrieren der Mittel. Eine Auszahlung der Gelder würde den Investitionen neuen Schub verleihen.

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