Branche kompakt | China | Chemische Industrie
Markttrends
Chinas Chemiefirmen leiden unter der schwachen Konjunktur. Ausländische Chemiehersteller wiederum spüren die steigende Wettbewerbsfähigkeit der inländischen Konkurrenz.
12.11.2024
Von Corinne Abele | Shanghai
Als Lieferant für nahezu alle Industriebereiche ist die Chemiebranche ein Indikator für die reale Wirtschaftsentwicklung in China. An ihr zeigt sich deutlich die allgemeine Nachfrageschwäche sowohl im In- wie im Ausland.
der globalen petrochemischen Produktionskapazität entfiel bereits 2023 auf China.
Die Asiatische Entwicklungsbank sowie die Weltbank gehen von einem Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts (BIP) Chinas für das Gesamtjahr 2024 von 4,8 Prozent aus. Es wird daher schwierig, das im "Work Plan for Steady Growth of the Petrochemical and Chemical Industry" anvisierte Wachstum der (petro)chemischen Branche von 5 Prozent 2024 zu erreichen. Das Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Atradius Collections sieht letzteres 2024 eher bei 4,7 Prozent und 2025 bei 3,1 Prozent.
Bereich | Ziele |
---|---|
Innovation | Bis 2025 sollen die Forschungs- und Entwicklungsausgaben (FuE) in Großunternehmen mindestens 1,5 Prozent am Umsatz erreichen. Angestrebt wird der Durchbruch bei mehr als 20 Schlüsseltechnologien und mehr als 40 neuen Kernprodukten. |
Industriestruktur | Die Branchenkonzentration im Bereich Basischemie soll steigen; angestrebt wird eine Kapazitätsauslastung von 80 Prozent. Bis 2025 soll bei neuen chemischen Materialien die Selbstversorgungsquote 75 Prozent betragen. |
Industrieparks | Produktion von und Umgang mit gefährlichen Chemikalien soll sich künftig in 70 wettbewerbsfähigen Chemie-Industrieparks konzentrieren. Bis 2025 sollen die Unternehmen in diesen Chemieparks mindestens 70 Prozent des gesamten Branchenproduktionswertes erwirtschaften. |
Digitalisierung | Bis 2025 sollen 30 Pilotfabriken sowie 50 Pilotparks für intelligente Fertigung in der Chemiebranche entstehen. |
Nachhaltigkeit und Klimaschutz | Energieverbrauch und Kohlendioxidemissionen pro Einheit Schüttgut werden erheblich reduziert. Die Gesamtemissionen flüchtiger organischer Verbindungen sollen bis 2025 im Vergleich zu 2020 um über 10 Prozent sinken. Die Produktionssicherheit wird erheblich verbessert, um das Risiko schwerer Unfälle zu verringern. |
Gewinne unter Druck
Bislang hat die chemische und petrochemische Industrie den Herausforderungen mehr oder weniger getrotzt – allen voran der anhaltenden Immobilienkrise. Noch ist die Talsohle jedoch nicht in Sicht: Erneut wurden im 1. Halbjahr 2024 knapp 22 Prozent weniger Wohnungen als im Vorjahreszeitraum verkauft.
Aggressiv und robust zeigen sich zunehmend nicht staatliche Chemiekonzerne. Sie setzen auf Kapazitätserweiterung, technologische Aufrüstung und Innovation. Nach einem deutlichen Gewinnrückgang um rund 30 Prozent der Gesamtbranche im Jahr 2023 berichtete die China Petroleum and Chemical Industry Federation (CPCIF) für das 1. Halbjahr 2024 nur noch einen leichten Rückgang von 1,6 Prozent. Während der Gewinn des Chemiesegments um 4,4 Prozent zulegte, brach er im Raffineriesegment weiter um über 90 Prozent ein.
Sektor | 2023 1) | 1. Halbjahr 2024 2) | Veränderung 3) |
---|---|---|---|
Basischemie und verarbeitende Chemie | 1.248 | 623 | 5,9 |
Erdölverarbeitung / petrochemische Erzeugnisse | 862 | 416 | 1,5 |
Gummi-, Kunststofferzeugnisse | 400 | 198 | 5,8 |
Arzneimittel | 358 | 174 | -0,8 |
Erdöl- und Erdgasproduktion | 168 | 87 | 8,8 |
Kunststofffasern | 156 | 80 | 13,1 |
Preiskampf durch Überkapazitäten
Zunehmend setzt die inländische Chemieindustrie vor allem bei Basischemikalien und Agrarchemie auf Exporte, trifft dabei 2024 aber auf eine globale Nachfrageschwäche. Insgesamt ging der Außenhandel der chemischen und petrochemischen Industrie im 1. Halbjahr 2024 um 2,5 Prozent zurück.
Sowohl bei der Herstellung von Autoakkus, Elektroautos als auch Solarzellen und -modulen sorgen teilweise gewaltige Überkapazitäten für fallende Preise. Bei Solarzellen und -modulen haben sie historische Tiefstwerte erreicht; die globalen Überkapazitäten werden auf 50 Prozent geschätzt. Der Preisdruck wird an vorgelagerte Lieferanten in der Chemieindustrie weitergegeben.
Grüne Transformation verschiebt Produktnachfrage
Die Regierung forciert den Umbau der Chemieindustrie hin zu Dekarbonisierung sowie "grünen" Zwischen- und Endprodukten. Um welche Produktbereiche es sich dabei handelt, macht auch für die Chemiebranche der im Jahr 2023 neu erschienene Guiding Catalog for Industrial Structure Adjustment deutlich.
So profitiert die chemische Industrie auch vom Wechsel hin zur Elektromobilität. Zum einen ist die Nachfrage nach Lithium-Akkus rasant gestiegen. Die globale Wertschöpfungskette dominieren auf absehbare Zeit chinesische Hersteller wie CATL oder BYD. Zum anderen werden in Elektroautos deutlich mehr Kunststoffe verbaut als in Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor. Der American Chemistry Council (ACC) spricht bei einem Elektroauto mittlerer Größe von 45 Prozent mehr Kunststoffen. Dabei tragen Plastik- und Polymerverbundstoffe etwa 50 Prozent zum Volumen eines EV, aber nur 10 Prozent zum Gewicht bei.
Fahrzeuge mit alternativem Antrieb (NEV - New Energy Vehicle) sind in China auf dem Weg zum Mainstream. Im 1. Halbjahr 2024 stellten sie mit fast 5 Millionen Einheiten knapp über 35 Prozent aller verkauften Fahrzeuge. Erstmals wurden im Juli 2024 mehr NEV als Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor verkauft. Chinas Ballungsräume zeigen inzwischen gewisse Sättigungstendenzen. Der Export wird daher immer wichtiger. Nach Angaben des Automobilverbands sowie des chinesischen Zolls ging in den ersten sieben Monaten 2024 rund ein Fünftel der Fahrzeugproduktion Chinas in den Export. Allerdings dürften Strafzölle der USA sowie der Europäischen Union (EU) das Ausfuhrwachstum künftig bremsen. Die Folge sind unter anderem vorgezogene Investitionen in Drittmärkte.
Auch die Transformation des Energiesystem ist ein großer Nachfragefaktor für die chemische Industrie. Laut der Prognose des China Electricity Council (CES) dürfte China 2024 erneut 171 Gigawatt (GW) Solar-Anlagen und 89 GW Windkraftanlagen installieren. Hinzu kommen Exporte, die jedoch teilweise bereits mit Strafzöllen belegt werden.
Dekarbonisierung der Chemieindustrie hat begonnen
China treibt die Dekarbonisierung von Energieversorgung und Chemieproduktion voran. Dabei setzt es auch auf den Einsatz von Wasserstoff, der schrittweise "grün" werden soll. Parallel baut es jedoch seine strategischen Gas- und Ölvorräte aus. So stieg im 1. Halbjahr 2024 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum das inländische Produktionsvolumen von Gas um 6 Prozent und von Rohöl um 1,9 Prozent. Ebenfalls legte die mengenbasierte Einfuhr von Gas um 14,3 Prozent sowie von raffinierten Ölprodukten um 9,9 Prozent, während rund 2,3 Prozent weniger Rohöl importiert wurde.
Zunehmend wird vor allem im Osten des Landes die Einhaltung von Umweltschutz- und Sicherheitsauflagen kontrolliert. Die Regierung drängt weiterhin auf Umsiedlung in branchenspezifische Industrieparks. Ein Umzug in den Westen des Landes mit (noch) laxeren Kontrollen kann temporär, aber kaum langfristig die Lösung sein.
Geopolitik belastet Branche zunehmend
Stärker als zuvor müssen ausländische Chemiefirmen bei ihrem Engagement in China geopolitische Risiken einbeziehen und entsprechendes Risikomanagement betreiben. So hat China inzwischen seine Exportkontrollen unter anderem für Grafit sowie die beiden technischen Metalle für die Halbleiterproduktion, Gallium und Germanium, sowie Antimon verkündet.
Ebenfalls setzt Chinas Regierung auf Ergänzung und Stärkung inländischer Wertschöpfungsketten, um Abhängigkeiten von ausländischen Importen zu verringern. Dies gilt auch für einige chemische Grundstoffe sowie Feinchemikalien.