Rechtsbericht | Schweiz | Prozessrecht
Die Schweiz internationalisiert ihr Zivilprozessrecht
Am 1. Januar 2025 tritt eine Teilrevision der schweizerischen Zivilprozessordnung in Kraft. Diese wird vor allem für internationale Sachverhalte einige Veränderungen bringen.
13.12.2024
Von Karl Martin Fischer | Bonn
Internationale Handelsgerichtsbarkeit
Derzeit verfügen die Kantone Zürich, Bern, Aargau und St. Gallen über Handelsgerichte. Mit der novellierten ZPO werden die Grundlagen dafür gelegt, dass die Kantone das Handelsgericht über die bereits bestehenden Zuständigkeiten hinaus auch für internationale Handelsstreitigkeiten für zuständig erklären können (neuer Artikel 6 Absatz 4 c.). Voraussetzung wird sein, dass im entsprechenden Kanton eine örtliche Zuständigkeit besteht, zum Beispiel durch eine Gerichtsstandsvereinbarung. Weiter ist erforderlich, dass die Streitigkeit die geschäftliche Tätigkeit mindestens einer Partei betrifft, dass die Parteien der Zuständigkeit des Handelsgerichts zustimmen, und dass der Streitwert mindestens 100.000 Franken beträgt.
Gleichzeitig mit der Einführung der internationalen Handelsgerichtsbarkeit werden die Vorschriften für die Verfahrenssprache liberalisiert. Derzeit müssen Gerichtsverfahren zwingend in der Amtssprache des zuständigen Kantons geführt werden. Künftig können die Kantone vorsehen, dass das Verfahren in einer anderen Landessprache geführt werden kann - und in den Fällen der vorgenannten internationalen Handelsgerichtsbarkeit auch auf Englisch. Dies müssen die Parteien allerdings ausdrücklich beantragen (neuer Artikel 129 Abs.2 ZPO).
Weitere Neuerungen gibt es, wenn es um englischsprachige Schiedsverfahren geht. Unter dem neuen Recht können die Kantone vorsehen, dass die vor staatlichen Gerichten zur Unterstützung von Schiedsverfahren geführten Hilfsverfahren (beispielsweise die Ernennung von Schiedsrichtern oder die Mitwirkung bei der Beweisaufnahme) auf Antrag der Parteien in englischer Sprache geführt werden, wenn die Schiedsvereinbarung auf Englisch verfasst ist oder das Schiedsverfahren auf Englisch geführt wird.
Gerichtsverhandlung per Video- oder Telefonkonferenz
Künftig können schweizerische Gerichte – mit Einverständnis der Parteien – mündliche Verhandlungen per Videokonferenz durchführen, und zwar entweder rein virtuell oder hybrid (neue Artikel 141a und 170a ZPO).
Bei ausländischen Parteien und Zeugen kann es allerdings Einschränkungen geben. Denn die gerichtliche Befragung oder Anhörung einer sich im Ausland aufhaltenden Person stellt grundsätzlich einen Eingriff in die Souveränität des ausländischen Staates dar. Deshalb muss vorab sichergestellt sein, dass das Recht des betreffenden Staates eine solche grenzüberschreitende Handlung eines schweizerischen Gerichts überhaupt zulässt. Im umgekehrten Fall, wenn eine sich in der Schweiz aufhaltende Person für ein ausländisches Gerichtsverfahren mittels Video- oder Telefonkonferenz befragt werden soll, ist hierfür eine Genehmigung des Bundesamts für Justiz erforderlich.
Beitritt der Schweiz zum Haager Gerichtsstandsübereinkommen
Ebenfalls zum 1. Januar 2025 tritt die Schweiz dem Haager Gerichtsstandsübereinkommen (HGvÜ) bei. Das HGvÜ regelt die Zuständigkeit der vereinbarten Gerichte in internationalen Handelsstreitigkeiten sowie die grenzüberschreitende Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen. In der Europäischen Union, im Vereinigten Königreich, in Mexiko, Singapur, Montenegro sowie in der Republik Moldau und der Ukraine gilt das Übereinkommen bereits heute. Andere Staaten (unter anderen die USA und China) haben es unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert.
Als internationales Übereinkommen geht das HGvÜ dem nationalen Recht vor, insbesondere dem Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht (IPRG). In den meisten Fällen dürfte im Verhältnis zur EU das Luganer Übereinkommen vorrangig anzuwenden sein. Allerdings gilt dieses seit dem Brexit nicht mehr für Großbritannien, weshalb in diesem Verhältnis das HGvÜ eine neue Rechtsgrundlage für die internationale Anerkennung von gerichtlichen Zuständigkeiten und Urteilen schafft.
Sonstiges
In Sachen Gerichtskosten hatte bisher die Klägerin in der Regel die gesamten Kosten vorzuschießen. Wenn sie vollumfänglich obsiegte, hatte sie zwar einen Erstattungsanspruch, aber damit natürlich auch das Inkassorisiko. Nach der revidierten ZPO kann das Gericht von der klagenden Partei (von Ausnahmen abgesehen) nur noch maximal die Hälfte der zu erwartenden Gerichtskosten verlangen. Zudem behält das Gericht einen Kostenvorschuss nur in dem Umfang ein, in dem die Partei, die den Vorschuss geleistet hat, zur Zahlung der Gerichtskosten verpflichtet wird. Dies bedeutet, dass die siegreiche Klägerin, der keine Kosten auferlegt werden, den Vorschuss zurückerstattet erhält. Demgegenüber hat das Gericht die Kosten von der unterlegenen beklagten Partei, die kostenpflichtig geworden ist, einzufordern.
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