Wirtschaftsumfeld | Slowakei | Start-ups
Slowakische Gründer müssen viele Hürden überwinden
Start-ups aus der Slowakei sorgen immer wieder für Furore. Die Rahmenbedingungen sind aber eher schlecht, weshalb junge Wachstumsunternehmen häufig ins Ausland drängen.
30.01.2024
Von Gerit Schulze | Bratislava
Fliegende Autos, autarke Wohncontainer oder hocheffiziente Batterien – slowakische Start-ups haben schon einige Innovationen auf den Weg gebracht. Doch diese Erfolgsgeschichten täuschen darüber hinweg, dass die kleine Republik bei der Förderung junger Wachstumsunternehmen zu den Schlusslichtern in Europa gehört. Das ist problematisch, da die Wirtschaftskraft des Landes stark vom Erfolg der Autobranche abhängt und wenig diversifiziert ist.
Noch kein Einhorn in Sicht
Anders als die Nachbarländer Tschechien und Polen hat die Slowakei noch kein Unicorn hervorgebracht – also ein Start-up mit einer Marktbewertung von mehr als 1 Milliarde US-Dollar. Geldgeber für Risikokapital (Venture Capital) sind zurückhaltend.
Gemessen an der Bevölkerungsgröße gibt es in der Slowakei weniger Start-ups als in Ungarn und Tschechien.
Im "Global Startup Ecosystem Index 2023" von StartupBlink findet sich die Slowakei weit hinten auf Platz 65. Seit fünf Jahren in Folge ist das Land in dem Ranking abgerutscht und wurde sogar von Nigeria und Kenia überholt.
Die Zeitschrift CEOWORLD hatte 2021 weltweit 62 Start-up-Standorte untersucht und die Slowakei auf Rang 34 einsortiert. In fast allen Kategorien gab es nur durchschnittliche Noten: Bei Investitionen in Bildung und Forschung, bei technischen Fachkräften, beim Umfeld für Firmengründungen und bei der politischen Flankierung.
Nähe zu Wien und Brno ein Plus
Dabei hat die Republik zwischen Tatra und Donau erhebliche Standortvorteile, schreiben die Experten von StartupBlink: Sie grenzt an zwei große Länder (Polen und Ukraine), die Hauptstadt liegt nur eine Stunde vom Start-up-Hub Wien und von der tschechischen IT-Hochburg Brno entfernt. Auch die lebendige Digitalszene in Bratislava mit Coworking-Angeboten und Business-Inkubatoren ist ein Plus.
Aber: Die Slowakei braucht weitere Erfolgsstories, um junge Gründer zu motivieren und die Abwanderung von Talenten zu stoppen. Den Verlust von Talenten sieht auch Michal Nešpor als Problem. Er ist Partner bei der tschechisch-slowakischen Investmentplattform Crowdberry, die mit Hilfe von Privatanlegern schon mehr als 100 Millionen Euro in über 100 Start-ups investiert hat. Laut Nešpor studieren rund 30.000 Slowaken im Ausland, vor allem in Brno, Prag und Wien. Sie fehlten als potenzielle Gründer im Land.
Steuerliche Anreize fehlen
Die slowakische Start-up-Szene wächst kaum, weil rechtliche, finanzielle und steuerliche Anreize für Gründer und Investoren fehlen, sagt Michal Nešpor. Aktiengewinne seien nach einem Jahr steuerfrei, Gewinne aus der Beteiligung an Start-ups aber müssten voll versteuert werden, inklusive einer Zahlung an die Krankenkasse. Somit müssen Privatinvestoren derzeit 33 bis 39 Prozent vom Gewinn abführen. "Verluste können mit Gewinnen nicht gegengerechnet werden", kritisiert der Experte für Risikokapital. Er sieht ein grundsätzliches Problem: "Unternehmertum ist für die hiesige Politik kein Thema. Und die Wirtschaft hat nur wenig Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit."
Trotzdem behält die Deutsch-Slowakische Industrie- und Handelskammer (AHK Slowakei) die einheimischen Start-ups im Blick. Laut Geschäftsführer Peter Kompalla bieten sie viel Potenzial für innovative Lösungen. Damit sich die Szene entwickelt, müssten jedoch bürokratische Prozesse vereinfacht und die Finanzierungsmöglichkeiten verbessert werden. "Außerdem sind mehr Investitionen in Aus- und Weiterbildung und in die Förderung der Internationalisierung von Start-ups wichtig, um den Zugang zu größeren Märkten zu ermöglichen," sagt Kompalla.
Auf dem Sprung nach Deutschland
Die AHK Slowakei versucht deshalb, jungen Firmen des Landes eine bessere Startposition zu verschaffen. Sie ist Teil der Start.up! Germany Tour, die von Industrie- und Handelskammern aus Nordrhein-Westfalen, von der Wirtschaftsfördergesellschaft NRW.Global Business und weiteren Partnern organisiert wird.
Mitte Januar 2024 organisierte die AHK in Bratislava ein Pitching Event im Rahmen dieser Tour, bei dem sich acht slowakische Start-ups präsentierten. In der Jury saßen unter anderem Vertreter von Siemens und Volkswagen. Ihre Wahl fiel auf Glycanostics, 3IPK, DimensionLab und Terratico. Die Start-ups haben nun die Chance, sich beim Europe Contest für die nächste Auswahlrunde zu qualifizieren. Es winken ein Preisgeld und Treffen mit potenziellen Geschäftspartnern in Deutschland.
"Unser Ziel ist, slowakische Start-ups bei der Internationalisierung zu unterstützen, insbesondere beim Aufbau von Beziehungen zur deutschen Wirtschaft", beschreibt AHK-Geschäftsführer Kompalla die Motivation der Kammer. "Wir sehen einen großen Mehrwert darin, die von jungen slowakischen Unternehmen entwickelten Innovationen einem internationalen Publikum vorzustellen."
Unternehmen, Sitz | Geschäftsidee |
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WeWell, Trnava | App zur Beschreibung von Inhaltsstoffen in Kosmetika |
SmartHead, Bratislava | Erstellung von ESG-Nachhaltigkeitsreports (Environmental, Social und Corporate Governance) für Unternehmen |
Glycanostics, Bratislava | Neuartige Krebsdiagnostik (nicht-invasive Flüssigbiopsie bei Verdacht auf Prostatakrebs) |
DimensionLab, Košice | KI-gestützte Software für Ingenieure und Forscher, um physikalische Prozesse zu simulieren |
Ecocapsule, Bratislava | Energieautarke und mobile Wohnkapseln |
Hypherdata, Trnava | Auswertung von medizinischen Daten aus Krankenhäusern mit Hilfe von KI |
3IPK, Bratislava | Blockchain-basiertes System zur Qualitätskontrolle von Raumfahrtkomponenten mit Hilfe von Satellitendaten, Nachverfolgung im gesamten Lebenszyklus |
Terratico, Žilina | Patentierte Technologie zur Nutzung von Kunststoffabfällen in Beton und Terrazzo. Produkt ist bis zu 30 Prozent leichter als konventionelle Baustoffe. |
Neue Technologien für Abfallwirtschaft
Die Start.up! Germany Tour gibt es seit 2017. Schon in der Vergangenheit haben slowakische Gründer teilgenommen. Ein Erfolgsbeispiel ist Sensoneo, das sogar einen Großauftrag in Deutschland an Land ziehen konnte. Gemeinsam mit dem Netzwerkbetreiber Heliot Europe hat Sensoneo ein Abfallmanagementsystem für zwei Werke eines Landmaschinenherstellers implementiert. Ausgeklügelte Sensorik und intelligente Software überwachen dort die Abfallströme und helfen dabei, die Recyclingquoten zu erhöhen.
Die Abfallwirtschaft scheint für slowakische Gründer besonders interessant zu sein. Beim Pitching Event der AHK in Bratislava präsentierte Terratico aus Žilina einen Baustoff, der bis zu 45 Prozent aus Kunststoffabfällen besteht. Und das Start-up EcoButt aus Žiar nad Hronom produziert Asphaltmischungen aus Zigarettenstummeln.
Für die AHK bleiben slowakische Start-ups daher spannend, auch im Hinblick auf die Mitgliedsunternehmen aus Deutschland. "Sie können von innovativen Lösungen und Technologien profitieren und durch die Zusammenarbeit mit slowakischen Start-ups ihr Geschäft national und international skalieren", erklärt AHK-Chef Kompalla.