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Taiwan verfehlt Ziele bei erneuerbaren Energien
Der Ausbau alternativer Energien gilt als ein zentraler Eckpfeiler der taiwanischen Wirtschaftspolitik. Der steigende Stromverbrauch erhöht den Druck auf die Verantwortlichen.
15.09.2022
Von Alexander Hirschle | Taipei
Taiwan wird seine selbstgesteckten Ziele bei erneuerbaren Energien vorerst verfehlen. Dies gab das zuständige Wirtschaftsministerium MOEA (Ministry of Economic Affairs) Mitte 2022 öffentlich bekannt. Ursprünglich sollten bis 2025 mindestens 20 Prozent der Stromkapazitäten aus erneuerbaren Quellen gespeist werden. Die aktuellen Prognosen gehen jedoch davon aus, dass der Anteil bis zu diesem Zeitpunkt maximal 15,1 Prozent erreichen wird.
In der Publikation "Taiwan Energy Statistics Year Book" prognostiziert das Ministerium bis Ende 2022 einen Anteil alternativer Stromquellen an den landesweiten Stromkapazitäten von 8 Prozent. Ende 2021 hatte der Vergleichswert 6 Prozent erreicht. Noch Ende 2016 hatte er bei 4,1 Prozent gelegen. In diesem Jahr hatte die damals neu gewählte Präsidentin Tsai Ing-wen ihre Pläne zur Reform des taiwanischen Energiesektors lanciert.
Diese Pläne sahen bis 2025 einen Strommix von rund 50 Prozent aus Naturgas, 30 Prozent aus Kohle und den restlichen 20 Prozent aus erneuerbaren Energien vor. Gleichzeitig sollten die bestehenden Atomkraftwerke ihren Betrieb einstellen, die zuvor für fast 10 Prozent der Kapazitäten verantwortlich zeichneten. Der Energiereport des Ministeriums führt als wichtigsten Grund für die nicht erreichten Ziele im Bereich erneuerbare Energien die unerwartet stark gestiegene Nachfrage nach Strom an.
Arbeitsmarkt und Lieferketten als Hemmschuhe
Doch nach Einschätzung von Unternehmensvertretern gibt es auch andere Ursachen. Neben Covid-bedingten Problemen in den Lieferketten werden die starken Lokalisierungsbestrebungen der Regierung vor allem bei Offshore-Windprojekten als Ursache für die Verzögerungen bei Projekten genannt. Die hohen geforderten lokalen Anteile bei vielen Produkten führten zu Problemen bei der Qualität und Verfügbarkeit von Erzeugnissen. Auch der Arbeitsmarkt gilt als zunehmend angespannt. Es mangelt auf der Insel allgemein an Arbeitskräften.
Im Offshore-Segment ist ein Nachfrageüberhang auf vielen Ebenen zu konstatieren, sei es bei Ingenieuren, Monteuren oder Bauarbeitern. Dieses Problem wurde durch die scharfen Quarantäne- und Einreisebestimmungen Taiwans im Zuge der Pandemie noch einmal verschärft. Deutsche Firmen empfehlen daher unter anderem, das Thema Nachhaltigkeit und alternative Energien im Ausbildungsbereich stärker zu berücksichtigen.
Die Regierung hat derweil neue Daten für die Umsetzung ihrer Ziele veröffentlicht. Sie peilt das 20-Prozent-Ziel jetzt für den Oktober 2026 an. Bis 2027 dürfte der Anteil erneuerbarer Energien auf 21 Prozent und 2028 auf 23 Prozent steigen.
Solarenergie hinkt hinter Zielen her
Als symptomatisch für die bisherigen Schwierigkeiten bei der Implementierung alternativer Energien in Taiwan gilt die Entwicklung bei Solarkraft. Diese erreichte 2021 eine installierte Kapazität von 7,7 Gigawatt. Eigentlich waren 8,75 Gigawatt angepeilt. In den vergangenen drei Jahren wurden die gesteckten Ziele in diesem Bereich nie erreicht. Um die anvisierten 20 Gigawatt bis 2025 zu realisieren, müssten bis dahin pro Jahr 3 Gigawatt installiert werden. In den ersten fünf Monaten 2022 wurden gemäß Informationen der taiwanischen Medien jedoch nur 680 Megawatt neu gebaut.
Energieträger | 2021 | Veränderung 2021/2020 |
---|---|---|
Kohle, Gas, Öl | 42.302 | 1,2 |
Pumpwasserkraft | 2.602 | 0,0 |
Atomkraft | 2.887 | -25,4 |
Erneuerbare Energien | 11.585 | 22,2 |
Solarenergie | 7.700 | 32,4 |
Wasserkraft | 2.094 | 0,0 |
Windenergie | 1.062 | 24,4 |
Kapazität insgesamt | 59.375 | 2,8 |
Die Regierung reagierte darauf schon im Sommer und verlängerte die Einspeisetarife für Rooftop-Solaranlagen von Juni bis Ende 2022. Eigentlich war es geplant, die Tarife im zweiten Halbjahr abzusenken. Darüber hinaus beschloss die zuständige Behörde BoE (Bureau of Energy) weitere Subventionen für Entwickler von großen Solaranlagen, für den Fall dass diese ihre Projekte früher als geplant abschließen können. Das BoE begründete die Fördermaßnahmen mit gestiegenen Installationskosten aufgrund erhöhter Notierungen für Rohstoffe.
Der Sommer 2022 hielt positive Nachrichten für den Sektor bereit: Im August erreichte der durch Solarkraft generierte Strom einen Tagesrekordwert von 5,5 Gigawatt. Er zeichnete damit für rund 15 Prozent des Stromverbrauchs auf der Insel verantwortlich.
Internationale Windfirmen investieren kräftig
Positive Meldungen kamen zuletzt auch aus dem Bereich Offshore-Wind. Die genehmigten Direktinvestitionen (FDI, Foreign Direct Investment) in Taiwan stiegen in den ersten sieben Monaten 2022 wertmäßig um mehr als 200 Prozent auf fast 10 Milliarden US$. Hierfür zeichneten vor allem Engagements im Bereich erneuerbare Energien verantwortlich. Nach Angaben der Behörde Investment Commission entfielen allein auf drei Offshorewind-Engagements 43 Prozent der Gesamtsumme. Branchenvertreter sehen für 2022 und das kommende Jahr ein deutliches Anziehen der Projekte im Offshore-Segment voraus.
Zunehmende Probleme bei der Stromversorgung
Die Initiativen in Richtung Ausbau erneuerbarer Energien sind in Taiwan umso wichtiger, da der Stromverbrauch auf der Insel tatsächlich in den vergangenen Jahren stark gestiegen ist. Dies hatte 2022 zu vermehrten Stromausfällen geführt. Allein zwischen Anfang Juli und Ende August wurden 22 größere Blackouts gezählt. Die historisch hohen Temperaturen im Sommer 2022 hatten zu einer enorm gestiegenen Nachfrage nach Strom geführt.
Bisher waren noch keine großen Industrieparks oder produzierenden Unternehmen betroffen. Doch die energiehungrige Elektronikindustrie wird weiter Ressourcen verschlingen. Vor allem die geplanten Kapazitätserweiterungen der Halbleiterschmieden werden die Nachfrage auch künftig hochhalten. Branchenkenner fordern daher einen Ausbau der Infrastruktur, um eine resistentere Energieversorgung zu garantieren.
Taiwan ist bei Energien zu 98 Prozent von Importen abhängig. Das Stromnetz der Insel gilt als stark zentralisiert und kommt in die Jahre. Reparaturen und Wartung werden zunehmend wichtiger. Aber auch ein Upgrade im Bereich Smart Grid wird benötigt. Hiervon können auch deutsche Firmen profitieren, die in diesem Sektor über reichhaltige Erfahrung und Technologie verfügen.
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