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Neue Waggons und Leittechnik für Tschechiens Eisenbahnen
Der Eisenbahnverkehr in Tschechien kommt wieder in Schwung. Die Bahngesellschaften planen große Investitionen in rollendes Material und Instandsetzung.
31.05.2024
Von Gerit Schulze | Prag
Die Coronadelle ist nun auch im tschechischen Bahnverkehr überwunden. Die Zahl der Fahrgäste war 2023 mit 184 Millionen fast so hoch wie vor Ausbruch der Pandemie. Deutlich unter den Werten von 2019 liegt das Frachtvolumen. Das hängt mit der Dekarbonisierung der Energieerzeugung zusammen, teilte die staatliche Bahngesellschaft České dráhy mit. Da weniger Kohle zu den Wärmekraftwerken transportiert wird, sank das Frachtaufkommen.
Insgesamt verbessert sich die Ertragslage der Bahnbetreiber jedoch und damit auch der Spielraum für neue Investitionen. České dráhy will das Durchschnittsalter des Fuhrparks von derzeit über 30 Jahren mittelfristig auf 25 Jahre senken. Wettbewerber RegioJet hat jüngst laut Wirtschaftszeitung Hospodářské noviny einen Großauftrag beim tschechischen Waggonbauer Škoda Transportation platziert. Bis Ende 2026 soll das Unternehmen aus Plzeň 23 Zuggarnituren an den privaten Bahnbetreiber ausliefern.
Ballungsraum Prag plant Großauftrag für 30 Jahre
Einen ungewöhnlich großen Auftrag wollen die beiden Kreise Prag und Mittelböhmen im Herbst 2024 vergeben. Er betrifft den Betrieb des Regionalverkehrs in den Jahren 2029 bis 2059 von Prag nach Beroun, Kolín, Mladá Boleslav und Kladno, mit Anbindung des Prager Flughafens in Ruzyně.
Laut Zeitungsberichten müssen 54 Doppelstock-Triebzüge für jeweils 400 Passagiere beschafft werden. Die Waggons sollen mit Niederflurtechnik für einen stufenlosen Einstieg ausgestattet sein sowie Abteile für Fahrräder und Kinderwagen, drahtlose Lademöglichkeiten und barrierefreie Toiletten haben.
Die beiden Regionalverwaltungen führten bereits Vorgespräche mit sechs europäischen Herstellern von Schienenfahrzeugen sowie mit neun Bahnbetreibern. Darunter waren Unternehmen aus Tschechien (České dráhy und RegioJet), Österreich (ÖBB), Polen, der Slowakei und Deutschland.
Die Investition für den Erwerb der 54 Elektrotriebwagen werden auf 21,6 Milliarden Tschechische Kronen (Kč; etwa 870 Millionen Euro; Wechselkurs am 27. Mai 2024: 1 Euro = 24,733 Kč) geschätzt. Hinzu kommt eine Option für weitere Fahrzeuge im Wert von 970 Millionen Euro.
Zwei weitere Tender zum Bahnbetrieb in Mittelböhmen sollen 2025 starten (Vertragsdauer 2029 bis 2044).
Für die nicht elektrifizierten Regionalstrecken verlängerte die Region Mittelböhmen bereits 2024 einen Vertrag mit České dráhy bis 2034. Dadurch sind Investitionen in Fahrzeuge und andere Ausrüstung im Wert von 190 Millionen Euro geplant.
Täglich fahren rund 300.000 Pendler aus dem Umland nach Prag. Die Modernisierung des Schienenverkehrs soll den Umstieg auf den Zug attraktiver machen.
Staatsbahn modernisiert ihre Depots
Die Staatsbahn České dráhy investiert außerdem in die Instandhaltung des rollenden Materials. Bis 2031 sind dafür Ausgaben von fast 500 Millionen Euro vorgesehen. Etwa die Hälfte davon fließt in vier neue Reparaturzentren und in die Sanierung bestehender Einrichtungen. Standorte sind Prag, Cheb (Westböhmen), Havlíčkův Brod (Ostböhmen) und Šumperk bei Olomouc. Nach Bahnangaben werden künftig weniger Rund- und Ringdepots benötigt. Stattdessen erfolgt der Service in langen Hallen an kompletten Triebwagen.
Für die Wartungsdepots müssen neue Maschinen beschafft werden, darunter Hebebühnen, Hochspannungsprüfstationen oder Defektoskopie-Sonden zum Feststellen von Materialfehlern. Digitale Technik ist gefragt, um drohende Schäden an Zügen in Echtzeit (real-time) zu erkennen, heißt es in einer Pressemitteilung von České dráhy.
Weitere 140 Millionen Euro sind für Bereitstellungsgleise, Inspektionskanäle und Drehscheiben vorgesehen. In Prag will České dráhy sogenannte Fäkaliengleise bauen. Dort können die Fäkalientanks der Züge abgesaugt und frisches Wasser nachgefüllt werden.
Der Bedarf an Eisenbahnreparaturen in Tschechien ist groß. Allein der Fuhrpark des Marktführers České dráhy besteht nach Firmenangaben aus 3.400 Lokomotiven, Triebwagen und Personenwaggons. Davon sollen bis 2027 rund 2.000 Einheiten instandgesetzt werden.
Die Staatsbahn interessiert sich deshalb auch für das Reparaturwerk für Lokomotiven Českomoravská železničnı́ opravna in Přerov. České dráhy würde das Unternehmen gern übernehmen und prüft dafür zurzeit die Unterlagen.
Netzbetreiber investiert in Steuerungstechnik
Größere Investitionen plant ebenso der staatliche Schienennetzbetreiber Správa železnic. Interesse bei internationalen Anbietern weckt besonders die geplante Einführung des European Train Control Systems (ETCS). Dieses EU-Projekt dient der Harmonisierung des europäischen Eisenbahnverkehrs, des Zugfunks und der Verkehrssteuerung.
Aktuell schreibt das Unternehmen einen 100 Kilometer langen Abschnitt von der deutsch-tschechischen Grenze bis nach Kralupy nad Vltavou aus. Nach Angaben der Wirtschaftszeitung E15 haben sich drei Konsortien beworben: TTC Marconi/Alstom/Cobra, Siemens Mobility/Iskra/Geosan und AŽD Praha/Sudop Praha/ČD Telematika.
Weitere Projekte in der Planungsphase
- Elektrifizierung der 14 Kilometer langen Strecke von Ostrava-Kunčice nach Frýdek-Místek, inklusive zweitem Gleis und Sanierung von vier Bahnhöfen. Projektdokumentation Sudop Brno, geplanter Baubeginn 2026.
- Sanierung der Strecke Lysá nad Labem - Mělník (30 Kilometer). Planung: Moravia Consult und Sudop Praha, geplanter Baubeginn 2028, Investition 580 Millionen Euro.
- Zweites Gleis und Modernisierung der Strecke Hradec Králové - Chlumec. Planung: Sudop Praha, Sudop EU. Baubeginn 2027.
- Neue Verkehrsleitzentrale zur Steuerung des Hochgeschwindigkeitsverkehrs in Prag. Projektbüro wird derzeit gesucht, Baubeginn für 2027 geplant.
- Sanierung von Bahnhofsgebäuden, häufig verbunden mit barrierefreien Zugängen, unter anderem in Ostrava-Vítkovice, Plzeň-Jižní Předměstí, Jihlava, Pardubice, Klatovy, Čáslav und Jaroměř.
Quelle: Schienennetzbetreiber Správa železnic 2024
Mehr Tempo auf den Schienen
Das wichtigste Vorhaben der nächsten Jahrzehnte ist der Bau eines Hochgeschwindigkeitsnetzes in Tschechien. Ziel ist es, Prag, Brno und Ostrava innerhalb von einer Stunde per Zug miteinander zu verbinden. Alle übrigen Regionalzentren sollen von Prag in unter zwei Stunden erreichbar sein.
Bis zum Sommer 2024 will Netzbetreiber Správa železnic eine Machbarkeitsstudie für die Abschnitte von Brno nach Ostrava und nach Břeclav vorlegen. Dann wird sich zeigen, ob die Einbindung privater Investoren im Rahmen von Public Private Partnerships (PPP) sinnvoll ist. Die ersten Bauarbeiten beginnen laut aktuellen Planungen 2026.
Auch für die Verbindung Richtung Dresden und Berlin gibt es Lichtblicke. Die Vorplanungen der Deutschen Bahn (DB) für den rund 30 Kilometer langen Tunnel durch das Erzgebirge gehen auf die Zielgerade. Der Bundestag soll bis zum Ende der Legislaturperiode entscheiden, wie das Projekt umgesetzt wird.
Projektbezeichnung | Investitionssumme (Mio. Euro) * | Projektstand / Projektträger |
---|---|---|
Beschaffung von neuen Zügen und Betrieb des Regionalverkehrs im Großraum Prag | 4.000 | Insgesamt fünf Ausschreibungen bis Ende 2025 geplant; Anschaffung von Zügen und Betrieb der Bahnstrecken für bis zu 30 Jahre / Stadt Prag und Středočeský kraj |
Beschaffung von automatisierten Zügen für die U-Bahn-Linien C und D und Anschaffung von Technologie in Prag | 3.477 | Auftrag ausgeschrieben / Dopravní podnik hl. m. Prahy |
Neue Eisenbahnverbindung zwischen Prag und Beroun mit 25 km langem Tunnel
| 1.860 | Baubeginn für 2028 und Fertigstellung für 2036 geplant / Správa železnic |
Umbau und Modernisierung des Bahnhofes Prag-Smíchov, inklusive Busbahnhof und Fotovoltaik | 489 | Bau 2023 begonnen / Správa železnic und Stadt Prag |
Bau von vier neuen Depots und Abstellgleisen zur Instandhaltung von Zügen in Cheb, Olomouc, Havlíčkův Brod und Prag | 485 | Investitionssumme bis 2030; Reparaturen für eigene Züge und im Auftrag für externe Bahnbetreiber; Bauarbeiten an der ersten Halle in Cheb seit Mai 2024 / České dráhy |
Projektierung und Installation von Sicherheits- und Leittechnik zwischen Kralupy nad Vltavou und der Grenze zu Deutschland | 485 | Ausschreibung läuft / Správa železnic |
Beschaffung von 23 neuen Zügen für die Region Ústí nad Labem | 142 | Bestellt bei Škoda Transportation; Verkehr ab 2026 geplant / RegioJet |
Neue Zentrale der Tschechischen Bahn in Prag | k.A. | Ausgeschrieben als Wettbewerbsdialog; danach Machbarkeitsstudie; Bauvertrag für Ende 2024 geplant / České dráhy |
Konkurrenz auf den Gleisen
In Tschechien erbringen rund 40 Firmen Bahndienstleistungen. Der Staatsbetrieb České dráhy hatte 2022 einen Marktanteil von 83 Prozent beim Personentransport. Dahinter folgen RegioJet (5,5 Prozent), Arriva (5 Prozent), GW Train und Leo Express.
Im Frachtsegment kam ČD Cargo 2022 auf 59 Prozent. Wettbewerber sind Metrans Rail, PKP Cargo und Orlen Unipetrol Doprava.