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Tschechien und Polen wollen ihre Gasnetze über Pipeline verbinden
Der russische Angriffskrieg und seine Folgen für die Energieversorgung bringen neue Argumente für das Projekt Stork II. Beide Länder beantragten die Finanzierung aus REPowerEU.
28.10.2022
Von Miriam Neubert | Prag
Die Nachbarn Tschechische Republik und Polen wollen die vor einigen Jahren eingestellten Arbeiten an der Gaspipeline Stork II wieder aufnehmen. Diese soll die Gasversorgungsnetze beider Länder in den aneinandergrenzenden schlesischen Gebieten verbinden und Tschechien direkten Zugang zu den polnischen Terminals für Flüssigerdgas (LNG) verschaffen. Geht es nach dem tschechischen Ministerium für Industrie und Handel, könnte Stork II schon 2026 in Betrieb genommen werden, um die Gaslieferungen in Europa zu diversifizieren und Tschechiens Abhängigkeit von russischem Gas zu verringern.
Stärkung der tschechischen Energiesicherheit
Beide Länder haben Ende September 2022 bei der Europäischen Kommission beantragt, den Bau der Gasverbindung als Europäisches Projekt von gemeinsamem Interesse (PCI) zu definieren und aus dem Programm RePowerEU zu finanzieren. "Das Pipeline-Projekt Stork II ist sehr wichtig, um die Energiesicherheit der Tschechischen Republik in der Zukunft zu stärken", sagte der tschechische Minister für Industrie und Handel, Jozef Síkela, der das Schreiben zusammen mit der polnischen Umweltministerin Anna Moskwa einreichte. Unterzeichnet wurde es auch durch die Fernleitungsnetzbetreiber, die das Projekt auf der technischen Seite koordinieren werden – Tschechiens NET4GAS und Polens Gaz-System.
Rund 123 Kilometer neue Fernleitung
Die Gasverbindungsleitung ist bidirektional, also in beide Richtungen führend, geplant und soll vom tschechischen Bezměrov über den neuen Grenzpunkt Hať nach Kędzierzyn in Polen reichen. Geht es nach dem Entwurf des Tschechischen Zehnjahresplans für die Gastransportinfrastruktur 2023 bis 2032, umfasst das Projekt auf tschechischer Seite:
- Stork II - den Bau der Gaspipeline von Hať (Grenze CZ/PL) nach Libhošť
- Moravia Capacity Extension II (MCE II) - den Bau der Gasrohrleitung von Libhošť nach Bezměrov.
Insgesamt geht es in Tschechien um den Bau von 123 Kilometern Pipeline in der Nennweite (DN) von 1.000 Millimetern. Wie das Tschechische Fernsehen ČT berichtete, könnte das Projekt bis zu 7 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr nach Tschechien transportieren. Das entspräche fast 80 Prozent des Jahresbedarfs. Die Kosten werden auf 8 Milliarden Tschechische Kronen (umgerechnet rund 330 Millionen Euro) geschätzt.
Fertigstellung wäre 2026 möglich
Das Vorhaben hat eine lange Vorgeschichte, die in die tschechische EU-Ratspräsidentschaft 2009 zurückreicht, als ein russisch-ukrainischer Gasstreit sich zuspitzte. Dadurch ist die Planung in einem fortgeschrittenen Stadium, sodass sich das Vorhaben nach Sicherstellung der Finanzierung vergleichsweise rasch bis 2026 umsetzen ließe. In den Jahren 2013, 2015 und 2017 stand die tschechisch-polnische Gasverbindung auf der Liste europäischer Projekte von gemeinsamem Interesse (PCI). Sie gehörte zum geplanten Nord-Süd-Transportkorridor für Gas, der vom polnischen Świnoujście bis auf die kroatische Insel Krk reicht. Doch ging dieser PCI-Status verloren, weil Tschechien und Polen die Arbeiten an der Pipeline nicht fortsetzten.
Realisiert wurde allein Stork I, eine Verbindung, die im September 2011 in Betrieb genommen wurde. Das Gas fließt aber nur in eine Richtung - von Tschechien nach Polen, nicht umgekehrt. Und dies auch nur in einer Menge von maximal 500 Millionen Kubikmetern jährlich. Stork I dient vor allem der Flexibilisierung und Entlastung, kostete 28 Millionen Euro und wurde zur Hälfte aus EU-Quellen finanziert.
Jetzt hat Tschechien wieder den Vorsitz des EU-Rats inne, und die Energiekrise hat ungeahnte Dimensionen erreicht. Als alternativer Beschaffungsweg zu russischem Gas hat das Projekt eine neue strategische Bedeutung bekommen. "Wir dürfen den Fehler der vorhergehenden Regierung nicht wiederholen, die sich nicht um die energetische Sicherheit kümmerte", sagte Ministerpräsident Petr Fiala kritisch. "Hätte sie an der Gasverbindung Stork II weitergearbeitet, stünden wir heute anders da.“