Rechtsbericht | Tunesien | Vertragsrecht
Vertragsrecht in Tunesien
Das tunesische Vertrags- und Schuldrecht basiert auf dem „Code des obligations et des contrats“ (COC) aus dem Jahr 1906, wurde mehrfach geändert und 2005 neu gefasst.
08.07.2022
Von Jakob Kemmer | Bonn
Es handelt sich dabei um ein Gesetzgebungswerk, das von einer gemischten französisch-tunesischen Kommission seit 1896 erarbeitet wurde.
Das Gesetzbuch wurde aufgrund der Entwicklung der Gesetzgebung in den verschiedenen Bereichen immer wieder geändert, bis es schließlich durch das Gesetz Nr. 2005-87 vom 15. August 2005 mehr oder weniger neu gefasst wurde.
Vertragsschluss
Für einen wirksamen Vertragsschluss nach dem tunesischen COC bedarf es übereinstimmender Willenserklärungen, das heißt einer Einigung, der Geschäftsfähigkeit der Vertragsparteien, eines zulässigen Vertragsgegenstands sowie eines rechtlichen Grundes zum Vertragsschluss (sogenannte essentiala negotii).
Beim rechtlichen Grund bzw. der Causa handelt sich um das Motiv, das einen Vertragspartner dazu veranlasst hat, sich rechtlich zu verpflichten. Das kann beispielsweise die Verpflichtung eines Verkäufers sein, die Sache zu liefern. Und gleichzeitig ebenso die Verpflichtung eines Käufers, den Preis zu zahlen.
Die Zulässigkeit eines solchen rechtlichen Grundes zum Vertragsschluss regelt Artikel 67 COC. Danach ist eine Verpflichtung, die auf einem unzulässigen Grund beruht, unwirksam. Ein unzulässiger Grund ist beispielsweise ein Grund, der gegen die guten Sitten oder auch gegen die öffentliche Ordnung verstößt.
Das tunesische Vertragsrecht kennt auch den Grundsatz „pacta sunt servanda“. Danach bedeutet der Abschluss eines Vertrages, dass der Vertrag auch zwingend erfüllt werden muss. Nach diesem Grundsatz kann sich keine Partei der Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtungen einseitig entziehen.
Artikel 242 COC bestimmt in diesem Sinne: „Rechtsgültig eingegangene vertragliche Verpflichtungen können nur im gegenseitigen Einvernehmen widerrufen werden".
Dieser Artikel ist folglich Ausdruck des Grundsatzes der Privatautonomie und der Vertragsfreiheit, den das tunesische Recht somit ausdrücklich anerkennt. Er impliziert, dass die Verpflichtung aus einem Vertrag genauso stark ist wie die Verpflichtung durch das Gesetz.
Nichtigkeit
Das tunesische Vertragsrecht sieht auch Tatbestände vor, die zur Nichtigkeit eines Vertrages führen. Eine vertragliche Verpflichtung ist zum Beispiel dann von Rechts wegen nichtig, wenn ihr eine der wesentlichen Voraussetzung für ihre Entstehung fehlt (Einigung, Geschäftsfähigkeit, Gegenstand oder Grund) oder wenn das Gesetz die Nichtigkeit in einem bestimmten Fall ausdrücklich selbst vorschreibt.
In der Rechtsfolge wirkt die Nichtigkeit rückwirkend. Das heißt die Parteien werden in die Lage versetzt, in der sie sich vor dem Vertragsschluss befanden (status quo ante).
Artikel 325 COC bestimmt für diesen Fall, dass eine von Rechts wegen nichtige Verpflichtung keine rechtliche Wirkung mehr entfalten kann. Es besteht in der Folge dann ein Anspruch auf Rückforderung der in Erfüllung dieser Verpflichtung ungerechtfertigt erbrachten Gegenleistung.
Gefahrübergang
Das besondere Vertragsrecht mit seinem jeweiligen Gewährleistungsrecht beginnt im „Code des obligations et des contrats“ (COC) ab Art. 564 ff. Den Beginn macht das Kaufrecht. Artikel 583 ff. COC bestimmen die Rechtsfolgen und Wirkungen eines Kaufvertrages.
Danach geht das Eigentum an der Kaufsache, anders als im deutschen Recht, bereits durch den Abschluss des Kaufvertrages auf den Käufer über. Ab dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses, auch schon vor Übergabe der Sache, darf der Käufer bereits die Sache weiterveräußern. Auch der Verkäufer kann zu diesem Zeitpunkt bereits seinen Zahlungsanspruch auf den Kaufpreis an Dritte abtreten (vgl. Art 584 COC).
Die Gefahr des zufälligen Untergangs geht allerdings gemäß Art. 588 COC erst mit Übergabe der Sache vom Verkäufer auf den Käufer über.