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Ukraine plant Wiederaufbau und Reform des Gesundheitswesens

Russlands Angriffskrieg bringt das ukrainische Gesundheitssystem an seine Belastungsgrenze. Humanitäre Hilfe lindert die Not. Beim Wiederaufbau orientiert sich das Land an Europa.

Von Hans-Jürgen Wittmann | Berlin

Russlands Armee attackiert gezielt medizinische Einrichtungen in der Ukraine. In den ersten sechs Kriegsmonaten beschädigte sie laut ukrainischem Gesundheitsministerium 927 Krankenhäuser, darunter 33 Covid-Kliniken. Für deren Wiederaufbau werden bis zu einer Milliarde Euro benötigt. 127 Krankenhäuser sind bis auf die Grundmauern niedergebrannt und müssen abgerissen werden. Die meisten Schäden wurden in den stark umkämpften Gebieten Donezk, Charkiw und Mykolajiw gezählt. Zudem blockiert die russische Armee die Lieferung von lebensnotwendigen Arzneimitteln in die besetzten Gebiete.

Medizinische Infrastruktur leidet unter Kriegsfolgen

Die Erstversorgung verwundeter Soldaten und Zivilisten, medizinische Hilfe für Versehrte sowie die psychologische Betreuung von bis zu 15 Millionen Kriegstraumatisierten binden einen Großteil der verfügbaren Ressourcen des ukrainischen Gesundheitssystems. Unter größten Anstrengungen des medizinischen Personals gelingt es, die Grundversorgung weitestgehend aufrechtzuerhalten. Und das, obwohl rund 3.500 Ärzte und medizinisches Personal aus den umkämpften Regionen im Osten und Süden in andere Landesteile flüchten mussten. Auch zahlreiche Kliniken mussten aus den Kampfgebieten in die West- und Zentralukraine evakuiert werden.

Weltweite Solidarität bei humanitärer Hilfe

Doch das osteuropäische Land steht nicht alleine da. Seit Kriegsbeginn kommen tausende Tonnen medizinischer Produkte und Arzneimittel als humanitäre Hilfslieferungen ins Land. In den ersten sechs Monaten belief sich die medizinische Hilfe aus 35 westlichen Ländern auf mehr als 3,3 Milliarden Euro, meldet das Gesundheitsministerium. Mobile medizinische Zentren, wie von der Hilfsorganisation HOPE, ermöglichen die medizinische und psychologische Grundversorgung in den befreiten Gebieten. Dort nahmen 259 medizinische Einrichtungen ihre Tätigkeit wieder auf.

Krankenhäuser in 18 europäischen Ländern, darunter in Deutschland, übernehmen auf eigene Kosten die Rehabilitation Schwerverletzter. Ende August 2022 befanden sich rund 1.400 Ukrainer, darunter 500 Kinder, in medizinischer Behandlung im Ausland, gibt Gesundheitsminister Viktor Ljaschko bekannt. Spezialisierte europäische Kliniken beraten zudem ukrainische Ärzte mittels Videoschalten bei schwierigen Eingriffen.

Telemedizin gewinnt an Bedeutung

Seit Kriegsbeginn haben zahlreiche Kliniken den Betrieb auf Online-Konsultationen umgestellt. Bereits seit Mitte März kehren die ersten medizinischen Einrichtungen zum Regelbetrieb zurück. Doch die Patienten lernen E-Health-Lösungen zu schätzen und wollen sie weiterhin nutzen. Über das elektronische System des Gesundheitswesens (ESZ) können Patienten Untersuchungsberichte und ärztliche Empfehlungen einsehen, sowie Überweisungen erhalten. Seit August 2022 können Rezepte für Antibiotika elektronisch ausgestellt werden. Sollte dieses Pilotprojekt erfolgreich sein, soll das elektronische Rezept für alle verschreibungspflichtigen Medikamente eingeführt werden. Mittelfristig sind die Erstellung einer elektronischen Krankenakte und eines persönlichen Patientenkontos geplant.

Das vom staatlichen Unternehmen Medicinskie Zakupki Ukrainy (MZU) bis Ende 2022 zu erschaffende System E-Stock sammelt alle Daten über den Bedarf, die Lieferung und die Verfügbarkeit von Medikamenten in ukrainischen Krankenhäusern, ihre Verwendung, Entsorgung und andere Informationen. E-Stock umfasst unter anderem die Beschaffungen des Gesundheitsministeriums. Die Daten werden in Echtzeit aktualisiert.

Wiederaufbau erfolgt nach westlichem Vorbild

Nach Kriegsende will die Regierung das Gesundheitssystem des Landes umfassend wiederherstellen und modernisieren. In seinem Entwurf des Plans zum Wiederaufbau des Gesundheitswesens definierte das Gesundheitsministerium neun Hauptprioritäten. Zur Realisierung haben internationale Geber für die kommenden zehn Jahre Investitionen von 5 Milliarden US-Dollar zugesagt.

Kurzfristig soll die Aufstellung von Behelfskrankenhäusern Abhilfe schaffen. Mittelfristig ist der Bau von Krankenhäusern in Modulbauweise für einen Zeitraum von zehn Jahren geplant. Die Einrichtungen sollen nach europäischen Standards errichtet werden. Deutsche Firmen sind dazu bereits in Gesprächen mit dem Gesundheitsministerium. Langfristig sollen neue Bezirkskliniken und Stationär-Krankenhäuser errichtet werden.

Regierung macht Gesundheitssystem fit für europäische Integration

Das ukrainische Parlament plant bereits für die Zeit nach dem Krieg und legt das Fundament für die weitere Integration des Landes in europäische Strukturen. Das ukrainische Parlament (Werchownaja Rada) arbeitet dazu an der Harmonisierung von Gesetzen und technischen Reglements mit EU-Normen und -Standards. Bis Ende 2022 will die Regierung europäische Direktiven im Gesundheitswesen in nationales Recht implementieren, erklärt der stellvertretende Gesundheitsminister Alexander Komarida.

Zugleich beendet das ukrainische Gesundheitsministerium Vereinbarungen zur Zusammenarbeit im Gesundheitswesen mit dem mit Russland verbündeten Belarus und verbietet den Verkauf belarussischer Medikamente in der Ukraine.

Anfang September 2022 nahm das Parlament das Gesetz „über das System gesellschaftlicher Gesundheit“ an. Durch den Ausbau der Vorsorge soll die Lebenserwartung ukrainischer Bürger auf europäisches Niveau steigen.

Weiterhin berät das Parlament über einen Entwurf eines technischen Reglements zur Zulassung medizinischer Geräte. Geplant ist unter anderem die Einführung eines „industriellen visafreien Regimes“ zwischen der Ukraine und der EU im Bereich Medizinprodukte, das ukrainischen Produzenten den Zugang nach Europa gewährt. Daneben ist auch eine Regelung zum Zugang ukrainischer Arzneimittel auf den EU-Markt in Arbeit.

Schließlich sollen die Ausbildung von Ärzten den europäischen Standards angepasst und Universitätskliniken errichtet werden, um die Anerkennung ukrainischer Diplome im Ausland zu erleichtern.

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