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Wiederaufbau der Wasserinfrastruktur birgt perspektivisch Chancen
Russland zerstört gezielt das ukrainische Wassersystem. Aktuell steht noch Nothilfe im Fokus. Mittelfristig aber öffnet sich deutschen Anbietern ein Markt mit großem Nachholbedarf.
06.06.2024
Von Hans-Jürgen Wittmann | Berlin
- Zerstörte Wasserwerke und Pipelines müssen wieder aufgebaut werden
- Bedarf unterscheidet sich von Region zu Region
- Ukrainische Initiative setzt auf deutsche Expertise
- Weniger Wasser zur Bewässerung landwirtschaftlicher Flächen
- GIZ unterstützt Annäherung an EU-Normen
- Wasser-Netzwerk nimmt Brückenfunktion wahr
Die ukrainische Wasser- und Abwasserwirtschaft leidet unter den Folgen des russischen Angriffskrieges. Nach zwei Kriegsjahren sind nur noch 1.000 der rund 2.600 Wasserversorger voll funktionsfähig. Bis dato wurden 583 Betriebe und 1.100 Kilometer Wasser- und Abwasserleitungen zerstört oder schwer beschädigt. Diese konnten nur teilweise wiederaufgebaut werden. Die Produktionsmenge an Frischwasser sank im Jahr 2023 um 15 Prozent, nach einem Rückgang um ein Drittel im Jahr 2022. Derzeit haben rund 8 Millionen Menschen nur eingeschränkten Zugang zu einer funktionierenden Wasserver- und Abwasserentsorgung.
Wie die ukrainische Wasserwirtschaft in Kriegszeiten funktioniert, wo akuter Bedarf besteht und wie deutsche Firmen sich am Wiederaufbau beteiligen können, diskutierten Fachexperten auf der Leitmesse IFAT auf einem Panel, organisiert von German Water Partnership (GWP), GTAI und der Plattform Wiederaufbau Ukraine.
Zerstörte Wasserwerke und Pipelines müssen wieder aufgebaut werden
Akut gefragt sind vor allem Lösungen zur Filterung und Aufbereitung von Trinkwasser sowie zur Reduzierung von Wasserverlusten beim Transport. Darüber hinaus müssen die zerstörten und beschädigten Wasserwerke, Pipelines und Kanäle, größtenteils noch aus Sowjetzeiten, wiederaufgebaut werden. Zudem benötigen Wasserversorger Lösungen zur Energie- und Ressourceneffizienz. Doch zahlreiche kommunale Betriebe verfügen aufgrund niedriger Tarife nur über begrenzte finanzielle Ressourcen. Hinzu kommen systemische Herausforderungen wie Korruption im öffentlichen Beschaffungswesen oder Fachkräftemangel.
Bedarf unterscheidet sich von Region zu Region
Da das Territorium der Ukraine nicht gleich schwer vom Krieg betroffen ist, sind die Bedarfe in den westlichen und zentralen Regionen andere, als im Süden und Osten des Landes. "Wir müssen den Mehrbedarf an sauberem Wasser decken, der durch die Binnenmigration aus den umkämpften Regionen entstanden ist", berichtet Dmytro Vankovych, Geschäftsführer des kommunalen Wasserbetriebs Lvivvodokanal. Dazu müssten pro Jahr rund 100 Millionen Euro investiert werden. "Engineering-Lösungen deutscher Firmen stehen bei uns hoch im Kurs", ergänzt Vankovych.
In frontnahen Gebieten wie Mykolajiw geht es vorrangig darum, die Grundversorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser sicherzustellen. Vor dem Krieg bezog Mykolajiw über eine 70 Kilometer lange Pipeline Wasser aus dem Fluss Dnipro. Nach deren Zerstörung im Jahr 2022 und der Sprengung des Kachowka-Staudamms im Sommer 2023 war die südukrainische Stadt von ihrer wichtigsten Wasserressource abgeschnitten. Aktuell haben etwa eine halbe Million Menschen keinen regulären Zugang zu sauberem Wasser.
Ukrainische Initiative setzt auf deutsche Expertise
Abhilfe schaffen will Mykolaiv Water Hub. Der Start-up-Akzelerator vereint die Expertise von Kommunen, Wasserversorgern, Technologielieferanten, Start-ups und Universitäten beider Länder, um die Wasserinfrastruktur in der südukrainischen Stadt wiederaufzubauen. Gemeinsam mit dem Unternehmen Wasser Hannover (Hannover ist die Partnerstadt von Mykolajiw) arbeitet Mykolaiv Water Hub an Lösungen zur Wasserver- und -entsorgung, der Bewässerung landwirtschaftlicher Flächen und der Energieversorgung. Damit soll die Südukraine zu einer der innovativsten Regionen beim Wiederaufbau des Wassersystems werden.
Weniger Wasser zur Bewässerung landwirtschaftlicher Flächen
Im Süden der Ukraine liegen mehr als eine Million Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche aufgrund beschädigter Bewässerungssysteme brach. Das bekommt auch Agrofusion zu spüren. Der größte Hersteller von Tomatenmark in der Ukraine benötigt für die Bewässerung der Anbauflächen jährlich 22 Millionen Kubikmeter: "Dieses Wasser kommt vor allem aus dem Fluss Inhulez", berichtet Olga Zhukova, Leiterin der Finanzabteilung bei Agrofusion. Das Bewässerungssystem besteht aus 460 Kilometern Kanälen und hat mehr als 60 Jahre auf dem Buckel. Nach der Zerstörung des Kachowka-Damms musste die Bewässerung am linken Ufer des Dnipro vollständig eingestellt werden. Am rechten Flussufer sank der Grundwasserspiegel und damit die Wasserqualität. Gleichzeitig stieg der Salzgehalt des Bodens.
Im Jahr 2024 plant Agrofusion Modernisierungen. In einer Fabrik wird das Wasseraufbereitungssystem ausgetauscht, um den Wasserverbrauch um das Sechsfache zu senken. Die Energie für das Bewässerungssystem des Inhulez stellen künftig Solar- und Windkraftanlagen. Zudem benötigt Agrofusion Generatoren mit acht Megawatt Kapazität sowie neue Pumpen für die Bewässerung von Feldern. Zur Reinigung des Inhulez von technischen und natürlichen Verschmutzungen werden Filteranlagen beschafft.
GIZ unterstützt Annäherung an EU-Normen
Die Ukraine wird mittelfristig Mitglied der Europäischen Union. "Daher wird es für kommunale Wasser- und Abwasserversorger Zeit, sich an europäische Normen und Standards anzupassen", merkt Oleksandr Krawtschenko, Generaldirektor des Instituts für Öffentliche Infrastruktur (IKI) an. Derzeit müssten Anbieter mit zwei Projektdesigns antreten, eines nach internationalem Recht und eines nach ukrainischem Recht, kritisiert Krawtschenko. Um ukrainische an internationale Normen anzupassen, startet IKI in Zusammenarbeit mit der GIZ und GWP ein Projekt zur technischen Regulierung.
Wasser-Netzwerk nimmt Brückenfunktion wahr
German Water Partnership rief nach Kriegsbeginn einen Arbeitskreis im Regionalforum EECCA, das für Osteuropa, den Kaukasus und Zentralasien zuständig ist, zum Wiederaufbau des ukrainischen Wassersystems ins Leben. "Dort treffen sich interessierte Mitgliedsunternehmen in regelmäßigen Abständen und diskutieren Lösungen zur Nothilfe und zum langfristigen Wiederaufbau", beschreibt Geschäftsführer Boris Greifeneder die Aktivitäten seines Vereins. Mit Mykolaiv Water Hub unterzeichnete GWP im Februar 2024 ein Memorandum of Understanding zur Zusammenarbeit beim Wiederaufbau der lokalen Wasserinfrastruktur. Teil der gemeinsamen Arbeit ist auch die Einführung europäischer Standards in der Ukraine.