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Britischer Arzneimittelmarkt im Umbruch
Der britische Pharmamarkt ist aufgrund seiner Größe und steigender Nachfrage attraktiv. Die Regierung will niedrige Margenspielräume mithilfe einer Industriestrategie ausgleichen.
21.01.2025
Von Marc Lehnfeld | London
Ausblick der Pharmaindustrie im Vereinigten Königreich
Bewertung:
- Siebtgrößter Pharmamarkt der Welt mit steigender Marktnachfrage.
- Knappe Budgets im öffentlichen Gesundheitswesen und hohe Marktmacht des National Health Service schmälern Margenpotenzial.
- Starke Innovationslandschaft mit großen Produktionsanlagen im Umbruch. Staatliche Impulse durch Industriestrategie entscheiden über zukünftige Standortattraktivität und Brancheninvestitionen.
Anmerkung: Einschätzung des Autors für die kommenden zwölf Monate auf Grundlage von prognostiziertem Umsatz- und Produktionswachstum, Investitionen, Beschäftigungsstand, Auftragseingängen, Konjunkturindizes etc.; Einschätzungen sind subjektiv und ohne Gewähr; Stand: Januar 2025
Markttrends
Das Vereinigte Königreich ist mit einem Anteil von 3,2 Prozent der siebtgrößte Pharmamarkt der Welt nach Italien und vor Spanien. Hinzu kommen gute Wachstumsperspektiven. Die Marktanalysten von BMI schätzen den britischen Pharmamarkt im Jahr 2024 auf 31,7 Milliarden Pfund bzw. umgerechnet etwa 37,4 Milliarden Euro. Sie erwarten, dass die Nachfrage 2025 um 2,8 Prozent auf 38,5 Milliarden Euro ansteigen wird.
Intensiver Wettbewerb mit staatlichem Gesundheitsversorger
Der Markt ist allerdings stark umkämpft und die Verhandlungen mit dem größten Abnehmer, dem staatlichen Gesundheitsversorger National Health Service (NHS), sind entsprechend hart. Im Geschäftsjahr 2023/2024 kaufte der NHS pharmazeutische Produkte im Wert von 23,5 Milliarden Euro, bereits abzüglich der Rabatte in Höhe von 744,6 Millionen Euro. Der NHS kann durch seine Verhandlungsmacht solche Rabatte durchsetzen.
Der Staat und die Pharmahersteller einigen sich in freiwilligen Verträgen über die Preise und Abnahmevolumen des NHS, wie im derzeit von 2024 bis 2028 laufenden Voluntary Scheme for Branded Medicines Pricing, Access and Growth (VPAG). Darin wird eine jährliche Steigerung des NHS-Budgets für Markenmedikamente um 2 Prozent im Jahr 2024 und 4 Prozent pro Jahr bis 2027 garantiert.
Damit machen beide Verhandlungspartner einen Spagat. Der NHS kann seine Medikamentenausgaben limitieren, weil die Hersteller bei Preisüberschreitungen Rückzahlungen leisten müssen. Andererseits wird der britische Markt bei zu hohen Rabatten unattraktiver. Die Verhandlungen sind daher äußerst hart, was auch dadurch sichtbar wird, dass sich Eli Lilly und AbbVie aus den freiwilligen Rahmenverträgen zurückgezogen haben. Sie unterliegen dadurch dem verpflichtenden Preisregulierungsrahmen.
Eine erste Evaluierung des VPAG verdeutlicht, dass die Rückvergütungen der Pharmaunternehmen im ersten Quartal 2024 mit 704,5 Milliarden Euro um knapp ein Viertel niedriger ausfielen als im gleichen Quartal 2023. Allerdings sind sie höher als in allen anderen Quartalen des vorherigen Vergütungsschemas seit 2019. Die Association of the British Pharmaceutical Industry (ABPI) betrachtet vor allem die Referenzpreise für ältere Medikamente kritisch. Dort besteht laut dem Branchensprachrohr das Risiko, dass Hersteller ihre Produkte wegen der geringen Margen aus dem britischen Markt zurückziehen.
Versorgungsengpässe bleiben herausfordernd
Der Arzneimittelmarkt kämpft seit mehreren Jahren mit Lieferengpässen. Laut amtlicher Serious Shortage Protocols (SSPs) bestehen Engpässe für acht Medikamente. Dafür sorgt auch die neue logistische und regulatorische Komplexität nach dem britischen Austritt aus der Europäischen Union. Das führt ebenfalls zu höheren Kosten im Gesundheitssektor. Hinzu kommen neue Verpackungsvorschriften, die seit Jahresbeginn 2025 eine "UK Only"-Etikettierung für den britischen Markt verlangen. Die Verpflichtung wurde eingeführt, um den Marktzugang für britische Unternehmen in Nordirland zu vereinfachen.
Stärkere Zergliederung des Apothekenmarktes
Beim wichtigen Vertriebsweg, den Apotheken, beklagen Patientenverbände ein Filialsterben. So ist die Anzahl der Apotheken zwischen 2016 und 2024 um knapp 8 Prozent auf rund 13.300 Läden geschrumpft. Besonders stark sind die großen Ketten betroffen. In diesem Zeitraum wurden im Zuge der Auflösung des einstigen Marktriesen LloydsPharmacy seine rund 1.600 Filialen an Wettbewerber verkauft oder geschlossen. Auch Marktführer Boots hat im Zuge eines Einsparprogramms sein Filialnetz seit 2023 um rund 300 Geschäfte verkleinert.
Davon profitieren vor allem unabhängige Apotheken, die nach einer Analyse des Pharmaceutical Journal rund 45 Prozent aller Geschäfte ausmachen. Über die Zukunft der Apotheken entscheidet auch ihre Vergütung, deren Schema (CPCF) nun im Frühjahr 2025 veröffentlicht werden soll.
Apothekenkette | Anzahl der Filialen |
---|---|
Boots | 1.900 |
Well | 740 |
Rowlands | 332 |
Tesco | 365 |
Day Lewis | 260 |
Branchenstruktur und Rahmenbedingungen
Um die wirtschaftliche Härte des VPAG 2024 abzumildern und die Standortattraktivität zu stärken, legte das britische Gesundheitsministerium ein rund 472 Millionen Euro starkes Life Sciences Investment Programme auf. Damit sollen klinische Studien, die Pharmaproduktion auf der britischen Insel und die Bewertung innovativer Medikamente verbessert werden. Gerade bei klinischen Studien befindet sich das Vereinigte Königreich auf einem guten Weg seine ehemals starke globale Wettbewerbsposition wiederaufzubauen, wie die ABPI bemerkt. Das könnte eine zusätzliche Wertschöpfung von etwa 3,5 Milliarden Euro und 25.000 neue Arbeitsplätze anlocken.
Der britische Pharmasektor gehört zu den hochtechnologischen Schlüsselsektoren des Landes. Laut ABPI beschäftigt die Branche rund 126.000 Personen und erzielt einen Umsatz von 55,1 Milliarden Euro an über 3.000 Produktionsstandorten und Forschungszentren. Mit den Zentralen der globalen Pharmakonzerne GSK und AstraZeneca und exzellenten Forschungscluster von Weltrang in Cambridge und Liverpool gehört die Insel zu den bedeutenden Pharmastandorten.
Im internationalen Wettbewerb um Investitionen der Pharmaindustrie hatte der Standort hingegen zuletzt das Nachsehen. So ist nicht nur der britische Anteil an den globalen Forschungsausgaben gefallen. Im Jahr 2021 entschied sich AstraZeneca bei Investitionen gegen das Vereinigte Königreich zugunsten des benachbarten Irland und gab sowohl den nachteiligen VPAG-Vorgänger VPAS und die hohe Besteuerung als Grund an. Auch das im Mai 2024 angekündigte Investitionspaket von 531 Millionen Euro für eine Impfstoffproduktion droht in Richtung Irland abzuwandern. Der Konzern ist noch in Verhandlungen mit der britischen Regierung.
Akteur/Projekt | Investitionssumme | Projektstand | Anmerkungen |
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Entwickler UBS Asset Management, Reef Group; Life Science Campus "Elevate Quarter", in Stevenage, Hertfordshire | 1.069 | Teile des Campus sollen gegen Ende 2025 betriebsfertig sein | Unter anderem neue Einrichtung für Labore, Produktionsanlagen, Büros. |
AstraZeneca, Speke, Liverpool | 534 | in Planung | AstraZeneca beabsichtigt an seinem Produktionsstandort in Speke, Liverpool in die Forschung, Entwicklung und Herstellung von Impfstoffen zu investieren -aufbauend auf der aktuellen Rolle des Standorts bei der Bereitstellung des weltweit führenden Impfprogramms für Kinder |
AstraZeneca, Cambridge | 237 | in Planung | Bau der neuen Einrichtung auf dem Gelände des Cambridge Biomedical Campus wird das FuE Discovery Centre angrenzen. Die neue Anlage wird rund 1.000 Mitarbeiter beherbergen |
GSK PlC | 237 | in der Umsetzung | GSK wird bis 2025 unter anderem in neue Anlagen investieren und das britischen Liefernetzwerk stärken |
NHS England, Department of Health and Social Care, "NHS Medicines Manufacturing Centre", Seaton Delaval, Northumberland | k.A. | geplante Inbetriebnahme: Frühjahr 2026 | Pläne für ein neues Flaggschiff-NHS-Medizinherstellungszentrum. |
Ein wichtiges Signal wird von der neuen Industriestrategie der Labour-Regierung ausgehen, die auch den Life Sciences Sektor abdecken soll, aber noch nicht veröffentlicht ist. In einem Konsultationsergebnis sieht sie besondere Stärken im Bereich der künstlichen Intelligenz, neuen Behandlungsmethoden, personalisierter Medizin und innovativer Produktionsprozesse.