Rechtsbericht Vereinigtes Königreich Wirtschaftsverwaltungsrecht
Reallabore: Erfahrungen im Vereinigten Königreich
Im Vereinigten Königreich (VK) gibt es schon seit 2016 Reallabore. Nach eigenen Angaben ist das VK damit das erste europäische Land, das dieses Instrument nutzt.
18.03.2025
Von Karl Martin Fischer | Bonn
Das erste Reallabor (regulatory sandbox) war dasjenige der Finanzaufsichtsbehörde FCA, danach folgte bei der Strom und Gas-Regulierungsbehörde Ofgem die Energy Regulation Sandbox. Beim staatlichen Gesundheitsdienst NHS gibt es seit kurzem das NHS AI Lab zur Erprobung der Nutzung von KI zum Beispiel bei der Diagnose mit Hilfe von Röntgenbildern, und bei der Food Standards Agency existiert seit Oktober 2024 sogar ein Reallabor für Fleisch aus dem Labor (Cell-cultivated Products Sandbox).
Was ist ein Reallabor?
Unter einem Reallabor versteht man in der Regel einen begrenzten Testraum, in dem neue Produkte unter realen Bedingungen erprobt werden können. Dafür gibt es Ausnahmegenehmigungen und / oder Experimentierklauseln. Sie liefern wichtige Erkenntnisse, ob und wie der rechtliche Rahmen geschaffen oder weiterentwickelt werden muss.
Typischerweise haben britische Reallabore im Wesentlichen zwei Mittel, für sich und das regulierte Unternehmen Erkenntnisse zu gewinnen:
Anleitung sowie Dialog zu bestimmten Regulierungsthemen, und zwar durch regelmäßiges Feedback oder sogar direkten Zugang zu den Aufsichtsbehörden;
Erprobung unter realistischen Bedingungen bei gleichzeitigen zeitweisen Abweichungen von bestimmten Vorschriften.
Allen Sandboxes gemeinsam ist, dass die zuständigen Regulierungsbehörden immer nur die von ihnen verantworteten Regulierungen zur Disposition haben. Sie haben keine Möglichkeit, über Gesetze, Rechtsverordnungen oder die Regulierungen anderer Regulierungsbehörden zu disponieren.
Ziel ist es, möglichst frühzeitig regulatorische Herausforderungen zu erkennen und einen klugen Umgang damit zu finden (regulatorisches Lernen).
Welche Erfahrungen mit Reallaboren gibt es?
Zunächst einige Beispiele für Produkte, denen die FCA-Sandbox einen erheblichen Schub geben konnte:
Krypto- und Blockchain: Die Bank “Revolut” hatte im Jahr 2017 Fragen zur Regulierung von Krypto-Transaktionen. Viele Banken blockierten solche Zahlungen. Revolut nutzte die FDA-Sandbox, um den Krypto-Handel sicher in seine Finanz-App zu integrieren.
KI-gestützte Finanzberatung: Die App “Cleo” hatte 2018 Fragen zur Regulierung von Finanzberatung durch KI. Cleo testete ihre KI-Finanzberatung, die Budgets optimiert und Sparpotentiale aufzeigt. Nach den erfolgreichen Sandbox-Test durfte Cleo legal am Markt operieren.
Versicherungen auf Abruf: Das Insure-Tech “Zego” entwickelt 2019 Versicherungen für flexible Arbeitsmodelle. Dazu gehört eine “pay-as-you-go"-Versicherung, die einzelne Fahrten minutengenau absichert. Nach erfolgreichem Test wurde Zego als erstes britisches InsureTech mit eigener Lizenz zugelassen.
Der erste FCA-Report, mit dem die Reallabore evaluiert wurden, stammt bereits aus dem Jahr 2017. Außerdem beschäftigt sich der Kalifa-Review aus dem Jahr 2021 mit Reallaboren. Die FCA geht davon aus, dass
die Reallabore dazu beigetragen haben, dass Unternehmen innovative Lösungen entwickeln und schnell auf den Markt bringen konnten;
die teilnehmenden Unternehmen bessere Finanzierungsmöglichkeiten finden konnten, weil sie Investoren weniger regulatorische Unsicherheit bieten konnten;
durch die kontrollierte Testumgebung Risiken für den Verbraucherschutz frühzeitig erkannt und minimiert werden konnten;
die Zusammenarbeit zwischen der FCA und regulierten Unternehmen zu einem besseren Verständnis für neue Technologien und Geschäftsmodelle führte.
Zu den Herausforderungen gehörte die Tatsache, dass der personelle und finanzielle Ressourcenbedarf erheblich ist. Außerdem ist ein Reallabor nicht dazu geeignet, regulatorische Fragen verbindlich zu klären. Schließlich kann es bei der Skalierung beziehungsweise der Integration der getesteten Lösungen in den regulären Markt zu Problemen kommen, die die Sandbox nicht antizipieren konnte.
Insgesamt ist die Resonanz jedoch positiv. So wurde die Verfügbarkeit der FCA-Sandbox gemäß den Vorschlägen des Kalifa-Berichts ausgedehnt. Sie war zuvor nur zu bestimmten Zeitslots (cohorts) verfügbar, jetzt ist sie es dauerhaft. Auch der Umstand, dass viele andere Behörden mittlerweile Sandboxes eingeführt haben, spricht für ein positives Fazit.