Wirtschaftsumfeld | Vereinigtes Königreich | Außenhandel
Deutschland bleibt vorerst wichtigstes Lieferland
Im schwachen Wirtschaftsumfeld Großbritanniens behauptet sich Deutschland als wichtigstes Lieferland. Doch die Konkurrenz wächst.
24.07.2023
Von Marc Lehnfeld | London
Laut dem britischen Statistikamt ONS ist der inflationsbereinigte Güteraustausch Großbritanniens mit dem Ausland zwischen Januar und Mai 2023 im Vergleich zur Vorjahresperiode um 7 Prozent eingebrochen. Das liegt zum einen an der schwachen Wertschöpfung der Industrie, die in den ersten fünf Monaten 2023 im Durchschnitt 1,4 Prozent unter den entsprechenden Werten der Vorjahresmonate lag. Zum anderen zeigt sich auch der Privatkonsum angesichts der Reallohnverluste britischer Haushalte und der weiterhin hohen Inflation von 8,7 Prozent im Mai 2023 schwach. Im Einzelhandel lagen die verkauften Volumen von März bis Mai 2023 etwa 3,3 Prozent unter dem Niveau der Vorjahresperiode.
Gesamt | Mit EU-Ländern | Mit Nicht-EU-Ländern | |
---|---|---|---|
Britischer Import | -10,0 | -6,6 | -13,8 |
Britischer Export | -2,0 | -1,9 | -2,1 |
Außenhandelsvolumen | -7,0 | -4,9 | -9,2 |
USA werden wichtiger Erdöl- und Erdgaslieferant
Die schwache Importnachfrage wirkt sich ganz unterschiedlich auf die wichtigsten Lieferländer Großbritanniens aus. Deutschland kann seine Rolle als wichtigstes Lieferland zwar halten, der Vorsprung zu den USA als zweitwichtigstem Bezugsland schmolz aber im Zeitraum Januar bis Mai 2023 auf 0,2 Prozentpunkte ab. Während nämlich die Importe aus der Bundesrepublik saisonbereinigt nominal um 1,6 Prozent leicht gefallen sind, nahmen die Einfuhren aus den USA deutlich um fast 17 Prozent zu.
Das liegt zum einen an der gestiegenen Bedeutung der USA als Lieferant von Erdöl. Bis Mai 2023 konnten die Amerikaner bereits den Norwegern die Marktführerschaft im britischen Königreich abringen. Auch bei den Gasimporten liefern sich die USA und Norwegen ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Lag der Anteil der amerikanischen Gaslieferungen im Jahr 2022 noch bei etwa einem Viertel, stieg er in den ersten Monaten 2023 auf knapp 40 Prozent an. Der Abstand zu Norwegen mit einem Anteil von 41,5 Prozent an den Gaslieferungen ist somit nicht mehr groß.
Anteil an Gesamtimporten | Nominale Veränderung ggü. Vorjahresperiode | |
---|---|---|
Import | 100 | -6,9 |
Rang 1: Deutschland | 11,7 | -1,6 |
Rang 2: USA | 11,5 | 16,6 |
Rang 3: China | 10,2 | -14,9 |
Die aufstrebende Rolle der USA als Gaslieferant ist auch das Ergebnis des im Dezember 2022 geschlossenen U.K.-U.S. Energy Security and Affordability Partnership. Darin haben die USA den Briten Flüssiggaslieferungen von 9 Milliarden bis 10 Milliarden Kubikmeter für 2023 zugesagt. Die Handelsdaten zeigen nun, dass damit nicht nur Russland als Lieferland komplett kompensiert wurde, sondern auch die Importanteile aus Katar deutlich geschrumpft sind.
Deutsche Industriemaschinen treffen auf starke Konkurrenz
Die britische Nachfrage nach deutschen Gütern zeigt sich besonders bei Industriemaschinen stark. Für die ersten fünf Monate 2023 meldet ONS einen Anstieg von nominal fast 10 Prozent in dem Segment. Allerdings legten sie damit schwächer zu als die britischen Gesamtimporte von Maschinen (+19 Prozent). Die Importe aus den USA zogen mit einem Drittel besonders stark an. Sie sind getrieben durch Kraftmaschinen als Vorleistungsgüter, dem wichtigsten Maschinensegment aus den USA, deren Einfuhren gar um mehr als 55 Prozent anstiegen.
Anteil an Gesamtimporten | Nominale Veränderung ggü. Vorjahresperiode | |
---|---|---|
Pkw | 26,2 | -1,8 |
Industriemaschinen | 15,3 | 9,5 |
Chemische Erzeugnisse (inkl. Pharma) | 12,0 | -14,6 |
Sonstige | 46,5 | 2,8 |
Die Konkurrenz auf dem Industriemaschinenmarkt bleibt also hart. Dafür gehört der Markt zu den Wachstumshoffnungen der Insulaner. Im Rahmen des sogenannten Full Expensing profitieren Unternehmen von großzügigen Sonderabschreibungsmöglichkeiten. Nach einer langen, Brexit-bedingten Durststrecke ziehen die Investitionen wieder an. Anstehende Großprojekte finden sich im ganzen Land, darunter:
- die vor kurzem angekündigte Gigafactory der indischen Tata Group für umgerechnet etwa 4,6 Milliarden Euro in Somerset,
- die rund 23 Milliarden Euro teure Erweiterung des Atomkraftwerks Sizewell (Sizewell C),
- die geplanten Small Modular Reactors (SMR) von Rolls-Royce
- sowie die Monopile-Produktionsanlage des koreanischen Unternehmens SeAH im nordostenglischen Teesside für etwa 345 Millionen Euro.
Chinesisch-deutsches Wettrennen bei Pkw-Importen
Auch auf dem britischen Pkw-Markt ist die Konkurrenz schärfer geworden. Deutschland ist in dem Segment zwar weiterhin das wichtigste Lieferland, gerät aber durch den Wandel hin zur Elektromobilität zunehmend unter Druck. Denn das Geschäft mit den traditionellen Verbrennern, von denen fast jedes zweite Auto aus der Bundesrepublik kommt, wird immer schwächer.
Die Neuregistrierungen von Diesel-Pkw sind in den ersten fünf Monaten 2023 gegenüber der Vorjahresperiode um rund 18 Prozent eingebrochen. Der Verkauf von Benzinern ist zwar gewachsen, ihr Marktanteil aber von 43,7 auf 42,4 Prozent zurückgegangen, weil die Nachfrage nach Elektrofahrzeugen boomt. Neuregistrierungen von Elektro-Pkw sind um 31 Prozent gestiegen.
2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | Januar bis Mai 2023 | |
---|---|---|---|---|---|---|
Verbrenner | 94,3 | 91,1 | 73,4 | 61,4 | 54,3 | 54,1 |
Hybride | 4,8 | 6,0 | 15,4 | 20,4 | 21,4 | 18,9 |
Elektro | 0,9 | 2,9 | 11,2 | 18,1 | 24,4 | 27,0 |
Deutschland ist zwar sowohl bei Elektro- als auch bei Hybridfahrzeugen wichtigstes Lieferland, gerade bei den Elektroautos holt aber China kräftig auf. So konnten die Chinesen 2021 aus dem Stand den ersten Rang der wichtigsten Herkunftsländer für Elektro-Pkw von der Bundesrepublik übernehmen. Zwar gelang es Deutschland schon 2022, seine Führungsposition zurückzuerobern und den Importanteil von Januar bis Mai 2023 auf knapp 47 Prozent zu steigern, doch die Importe aus China liegen immer noch bei fast einem Drittel. Auf dem Markt für Elektrofahrzeuge entsteht also ein Kopf-an-Kopf-Rennen deutscher und chinesischer Lieferungen.
Dabei wird sich die Ausgangslage für deutsche Exporteure im nächsten Jahr verschlechtern. Denn ab 2024 gelten schärfere Ursprungsregeln für den britisch-europäischen Handel mit Elektro- und Hybrid-Pkw, die im gemeinsamen Freihandelsabkommen festgelegt wurden. Der deutsche Automobilverband VDA warnt bereits vor dem „erheblichen Wettbewerbsnachteil für die europäische Automobilindustrie gegenüber ihren asiatischen Wettbewerbern auf dem so wichtigen UK-Markt“.