Branchen | Vietnam | Tiefbau, Infrastrukturbau
Hochgeschwindigkeitszug nimmt langsam Gestalt an
In den letzten Monaten haben sich die Regierungspläne zum Bahnausbau konkretisiert. Es ist aber weiterhin unklar, wie Vietnam die gewaltigen Investitionen finanzieren will.
11.03.2024
Von Peter Buerstedde | Hanoi
Im Jahr 2023 ist Bewegung in den zuvor lange vernachlässigten Bahnsektor in Vietnam gekommen. So hat die Regierung den Plan für den Netzausbau für 2021 bis 2030 verabschiedet. Ende Oktober folgte ein Aktionsplan für dessen Umsetzung. Bestehende Strecken sollen modernisiert werden. Höchste Priorität genießt aber der Bau einer neuen Hochgeschwindigkeitszugstrecke von Hanoi nach Ho-Chi-Minh-Stadt.
Von Hanoi bis Ho-Chi-Minh-Stadt in unter 6 Stunden
Das Vorhaben ist nicht neu, aber beim ersten Anlauf 2010 kam es nicht über einen Politbürobeschluss hinaus. Jetzt soll die Regierung das Projekt bis 2025 der Nationalversammlung zur Entscheidung vorlegen, damit 2030 der Bau beginnen kann. Das Transportministerium spricht sogar von einem Baubeginn ab 2028 oder 2029. Die Details der Umsetzung stehen noch nicht fest. Aber das Ministerium hat der Regierung im November 2023 eine Variante empfohlen. Demnach wäre die Hochgeschwindigkeitsstrecke von 1.545 Kilometern für Geschwindigkeiten von 350 Kilometern pro Stunde und eine Achslast von 22,5 Tonnen ausgelegt. Die Empfehlung sieht zunächst den Bau von Teilabschnitten von Hanoi nach Vinh (281 Kilometer) und von Ho-Chi-Minh-Stadt nach Nha Trang (370 Kilometer) vor.
Aufgrund des Terrains soll die Trasse zu 60 Prozent über Brücken verlaufen, zu 10 Prozent durch Tunnel und nur zu 30 Prozent ebenerdig. Die Reisezeit zwischen Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt soll laut Ministerium fünfeinhalb Stunden erreichen und mit der Flugverbindung samt Wartezeiten konkurrieren können.
Die hohe Achslast ermöglicht auch eine Nutzung durch Güterzüge (wie in Deutschland). Die neue Strecke wäre aber zunächst dem Passagierverkehr vorbehalten und würde nur bei Überlastung für Güterzüge in Erwägung gezogen werden. Aus diesem Grund soll auch die alte Strecke, die noch aus der Kolonialzeit stammt, modernisiert werden und dann hauptsächlich dem Güterverkehr vorbehalten sein. Die Kosten für den Bau der Hochgeschwindigkeitsstrecke beziffert das Ministerium auf 69 Milliarden US-Dollar (US$), wenn die Strecke ausschließlich für den Personenverkehr gebaut wird. Bei einem Ausbau für den Güterverkehr würde das Projekt etwa 72 Milliarden US$ kosten.
Beratende Ingenieure im Ausland
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Rennen bei Ausschreibungen noch offen
Während auf europäischen Hochgeschwindigkeitsstrecken sowohl Passagier- als auch Güterzüge verkehren, ist das etwa in China und Japan nicht der Fall. Die Variante, den Güterverkehr in die Planung einzubeziehen, hat deshalb den Vorzug, dass sie allen internationalen Technologieanbietern zumindest theoretisch eine Chance einräumt.
Die Chancen für europäische Anbieter stehen nicht schlecht, da eine Beteiligung chinesischer Firmen bei diesem strategischen Projekt als unwahrscheinlich gilt. Vietnam und China streiten um Inseln im Südchinesischen Meer und Vietnam will sich eine gewisse Unabhängigkeit vom großen Nachbarn bewahren. Die chinesische Regierung hatte im Rahmen des Besuches von Präsident Xi Jinping im Dezember 2023 für eine chinesische Beteiligung an einem anderen Projekt – dem Ausbau des Bahnkorridors von Lao Cai nach Hai Phong – geworben. Wenn es dazu kommt, dürften bei der Hochgeschwindigkeitsstrecke Anbieter aus anderen Ländern zum Zuge kommen.
Finanzierung völlig ungewiss
Der Investitionsbedarf ist enorm und entspricht etwa 17 Prozent der Wirtschaftsleistung. Angedacht ist eine Umsetzung über ein Betreibermodell (Public-Private-Partnership). Ohne hohe staatliche Zuschüsse Förderkredite ist dies kaum vorstellbar. Bei der Aufnahme bilateraler Kredite ist die Regierung aber sehr zurückhaltend und die eigenen Investitionsmittel sind knapp. Das könnte sich aber ab 2030 ändern. Dann soll das Autobahnnetz mit 5.000 Kilometern weitgehend ausgebaut sein, so dass Kapazitäten frei werden dürften.
Unabhängig von der Finanzierung halten viele Beobachter in Vietnam eine Entscheidung zu einem derart wichtigen Vorhaben vor 2026 für äußerst unwahrscheinlich. Dann steht an der Spitze der Kommunistischen Partei ein Führungswechsel an.
Vorhaben (Länge in km) | Bis 2030 in Mio. US$ 1) | 2031 bis 2050 in Mio. US$ 1) | Gesamt in Mio. US$ 1) |
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Instandsetzung/Modernisierung bestehender Strecken (2.440), Bahnhöfe und Übergänge | 2.043 | 3.236 | 5.279 |
Strecke von Hanoi bis Ho-Chi-Minh-Stadt (1.726) | 1.413 | 3.235 | 4.483 |
Strecke von Hanoi nach Lao Cai (296) | 117 | 149 | 266 |
Strecke von Hanoi nach Haiphong (102) | 168 | 0 | 168 |
Andere Strecken (316) | 345 | 16 | 361 |
Bahnhöfe und Übergänge | 240 | 0 | 240 |
Bau neuer Bahnstrecken (3.962) | 8.320 | 82.227 | 90.547 |
Hochgeschwindigkeitsstrecke Hanoi nach Ho-Chi-Minh-Stadt (1.545)2 | 4.850 | 52.760 | 57.610 |
Strecke von Lao Cai über Hanoi nach Haiphong entlang Autobahn (102) | 2.090 | 4.769 | 6.859 |
Andere Strecken (2.315) | 1.380 | 24.698 | 26.078 |
Gesamt | 10.363 | 85.463 | 95.825 |
Weitere Projekte geplant
Neben dem Bau der Hochgeschwindigkeitsstrecke will die Regierung auch bestehende Strecken modernisieren. Dies umfasst die Nord-Süd-Strecke und darüber hinaus den nördlichen Korridor von Lao Cai an der chinesischen Grenze bis Hai Phong. Hier soll zusätzlich eine neue Strecke entlang der Autobahn von Hanoi nach Haiphong gebaut werden, mit Anschluss an den Hafen.
Eine Strecke, die derzeit durch Hanoi führt und als von Cafés gesäumte Train Street eine der Hauptattraktionen der Stadt ist, soll zur Stadtbahn werden. Der überregionale Bahnverkehr wird dann über einen neuen Eisenbahnring um die Stadt geleitet. Im Süden ist eine Schienenanbindung an den wichtigsten Hafen des Landes, Cai Mep, sowie an den neuen Flughafen von Ho-Chi-Minh-Stadt in Long Thanh geplant. Pläne für Strecken in die Nachbarländer Laos und Kambodscha sind noch vage, aber ebenfalls Teil der langfristigen Strategie bis 2050.
Züge und Waggons gelten als veraltet
In den vergangenen Jahren wurde die Eisenbahn beim Infrastrukturausbau in Vietnam vernachlässigt. Geld floss vor allem in den Straßenbau, um die Nord-Süd-Autobahn fertigzustellen. Die Bahngesellschaft Vietnam Railways (VNR) hat das Bahnnetz nur notdürftig instandhalten können. In den zehn Jahren bis 2020 hat das Transportministerium lediglich 4 Prozent der ihm zugewiesenen Investitionsmittel in die Bahn gesteckt. Davon flossen 103 Millionen US$ in die Instandhaltung des Bahnnetzes und damit laut Ministerium nur etwa 40 Prozent des Bedarfs.
Bahnnetz | |
Gesamtlänge | 3.143 km |
Bahnhöfe | 277 |
Netzdichte | 9,5 km/1.000 km2 (Deutschland etwa 108 km) |
Spurbreiten | 1,0 m (85%), 1,435 m (6%), Doppelspur 1,0/1,435 m (9%) |
Durchschnittsgeschwindigkeit | 50 bis 70 km/h (32% der Strecken mit Geschwindigkeitsbegrenzung unter 50 km/h) |
Anteil am Frachtaufkommen | 1,17% (2019) |
Anteil am Passagieraufkommen | 1,37% (2019) |
Rollendes Material | |
Lokomotiven | 283 Dieselloks (aus vielen Herkunftsländern, 60% über 30 Jahre alt) |
Waggons | 5.378 (55% über 30 Jahre alt) |
Das Schienennetz ist stark veraltet und kann in weiten Teilen nur von kurzen Zügen mit reduzierter Geschwindigkeit befahren werden. Es stammt aus der französischen Kolonialzeit. Herzstück ist die einspurige Strecke von Hanoi bis Ho-Chi-Minh-Stadt über 1.726 Kilometer. Das Netz hat weitgehend eine Spurbreite von 1 Meter, die von der in Europa und China gängigsten Standardspurbreite (1,435 Metern) abweicht. Dies erschwert den Transport nach China. Das rollende Material von VNR gilt als weitgehend veraltet.
Bezeichnung | Anmerkungen |
Germany Trade and Invest (GTAI) | Außenhandelsinformationen für deutsche Exportwirtschaft, Hinweise zu Ausschreibungen und Projekten |
AHK Vietnam | Anlaufstelle für deutsche Unternehmen |
Ministry of Transport | Ministerium für Transport |
Vietnam Railways | Staatliche Bahngesellschaft |
Vietnam Railways Authority | Bahnbehörde |