Lösungen des internationalen Wirtschaftsrechts.
"Force Majeure“ als Allheilmittel?
Aus dem breiten Feld der durch das Corona-Virus geschaffenen Problemlagen werden außenhandelsorientierte Unternehmen insbesondere die dadurch ausgelösten Störungen internationaler Lieferverträge interessieren. Wirft man dazu einen Blick in das Internet, taucht immer wieder der Begriff Force Majeure auf.1 Dabei wird allerdings nicht immer hinreichend deutlich herausgestellt, dass Force Majeure kein international allgemein anerkanntes und international durchsetzbares Rechtsinstitut ist, sondern überhaupt nur in wenigen Rechtsordnungen gesetzlich geregelt ist und obendrein mit Force Majeure recht unterschiedliche Lösungsansätze verbunden werden.
Im deutschen Recht des BGB/HGB - wenn also für den internationalen Liefervertrag die Geltung des deutschen Rechts unter Ausschluss des UN-Kaufrechts/CISG2 vereinbart ist - wird Force Majeure ("höhere Gewalt“) nur bei der Hemmung der Verjährung, § 306 BGB, und der Gastwirthaftung, § 701 Abs. 3 BGB, nicht aber im eigentlichen Vertragsrecht und somit auch nicht für das Kaufrecht angesprochen. Leistungsstörungen infolge der Covid-Pandemie sind folglich mit den allgemeinen Vorschriften des Vertragsrechts zu bewältigen. Danach ist der Schuldner gemäß § 275 BGB von der Pflicht zur Erbringung der vertraglich zugesagten Leistung befreit, wenn ihre Erbringung absolut unmöglich oder in bestimmten Grenzen jedenfalls wirtschaftlich unmöglich ist. Des Weiteren kann der Schuldner nach § 313 BGB eine Anpassung des geschlossenen Vertrages verlangen, wenn sich die dem Vertrag zugrundeliegenden Umstände schwerwiegend verändert haben und dem Schuldner ein weiteres Festhalten an dem unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Unter welchen Bedingungen die näheren Voraussetzungen zur Anwendung dieser Vorschriften erfüllt sind, wird vom Gesetzgeber nicht beantwortet. Richtungsweisende Rechtsprechung zu Covid-19-Störungen in Lieferverträgen ist bislang auch nicht ersichtlich. Die Rechtslage nach BGB/HGB ist daher alles andere als klar.3
ICC Force Majeure Klauseln
Es erscheint schon fast wie eine Koinzidenz, dass die Internationale Handelskammer, Paris, (ICC) nach langjährigen Vorarbeiten gerade im März dieses Jahres die überarbeiteten ICC Force Majeure and Hardship Clauses 20204 veröffentlicht hat. Die ICC Force Majeure Klauseln gibt es in einer Lang- und in einer Kurz-Fassung. Voraussetzung für das Eingreifen der ICC Force Majeure-Klauseln ist wie schon bei der Vorgängerversion, dass infolge eines bei Vertragsabschluss nicht vorhersehbaren, von den Vertragsparteien vernünftigerweise nicht kontrollierbaren Ereignisses die Erfüllung vertraglich eingegangener Verpflichtungen verhindert wird und die Auswirkungen dieses hindernden Ereignisses von der betroffenen Partei nicht mit angemessenen Mitteln vermieden oder überwunden werden können. In Absatz 3 der Langfassung ist eine Liste von Umständen zusammengestellt, die ein nicht kontrollierbares Ereignis vermuten lassen. Dort heißt es unter 3 e) "plague, epidemic, natural disaster or extreme natural event“.
Gleichwohl ist übermäßiger Optimismus nicht angebracht. Die Force Majeure Klauseln gelten nämlich in aller Regel nur, wenn sie von den Parteien eines jetzt notleidend gewordenen Kaufvertrages zu dessen Inhalt gemacht worden sind. Diese Voraussetzung ist nach den Erfahrungen der Praxis im mittelständischen Sektor sowie bei einfachen Kaufverträgen eher selten gegeben. Dessen ungeachtet wird man auch für künftig erst noch abzuschließende Verträge kaum davon ausgehen können, sich im Falle Covid-bedingter Leistungsstörungen auf Force Majeure berufen zu können. Denn Voraussetzung für ihr Eingreifen war und ist weiterhin, dass das störende Ereignis bei Abschluss des Vertrages vernünftigerweise nicht vorhersehbar war. In Anbetracht der derzeitigen Verhältnisse kann für die Zukunft jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass es nicht zu weiteren Covid-bedingten Störungen kommt. Da weitere Störungen nicht unvorhersehbar sind, ist auf Force Majeure Klauseln als Vorsorge gegenüber künftigen Covid-Störungen kein Verlass. Vertragliche Vorkehrungen sind auf andere Art und Weise zu treffen.5
Force Majeure im UN-Kaufrecht/CISG
Anders als vorstehend dargestellt ist die Rechtslage hingegen, wenn das UN-Kaufrecht/CISG nicht ausgeschlossen wurde.6 Das UN-Kaufrecht/CISG gilt im Prinzip automatisch für alle Exportgeschäfte in Deutschland ansässiger Exporteure und für den ganz überwiegenden Teil der Importe7 und enthält in Art. 79 CISG eine Regelung, die dazu führen kann, dass der Schuldner ähnlich wie nach den ICC Force Majeure Klauseln bei Vorliegen bestimmter Umstände für eine Leistungsstörung nicht einzustehen hat. Dazu muss die Partei, die sich darauf beruft, aber darlegen, dass ihr die ihr vertraglich an sich obliegende Leistung unmöglich geworden und diese Unmöglichkeit einer Störung zuzuschreiben ist, die bei Vertragsschluss nicht vorhersehbar war, und von dieser Partei nicht kontrolliert und auch nicht vermieden oder anderweitig überwunden werden kann.8 Die Voraussetzungen, um nach Art. 79 CISG befreit zu werden, sind sehr hoch. So trägt der Verkäufer regelmäßig das Beschaffungsrisiko9 für die von ihm verkaufte und der Käufer das Verwendungsrisiko10 für die gekaufte Ware. Selbst wenn eine jenseits dieser Bereiche einzuordnende Störung der Erfüllung der vertraglichen Pflichten entgegensteht und bei Vertragsschluss nicht vorhersehbar war, bleibt die betroffene Partei gleichwohl zur Lieferung verpflichtet, wenn das Leistungshindernis vermieden oder seine Auswirkungen anderweitig überwunden werden können. So hat die Rechtsprechung zum Beispiel entschieden, dass der von seinem Zulieferer vertragswidrig nicht belieferte Verkäufer von Gattungsware seinem Käufer gegenüber zur Lieferung verpflichtet bleibt, solange noch vergleichbare Ersatzware auf dem Markt erhältlich ist, und ein geschäftlicher Verlust aufgrund Verdreifachung des Marktpreises in dem konkreten Fall zumutbar ist.11
Soweit und solange die Voraussetzungen nach Art. 79 CISG erfüllt sind, entfällt der Anspruch des Gläubigers auf Schadensersatz wegen der zeitweiligen oder endgültigen Nichterfüllung, Art. 79 Abs. 5 CISG. Alle sonstigen Rechtsbehelfe, die der Gläubiger wegen der Vertragsverletzung geltend machen könnte, bleiben ihm jedoch ungeschmälert erhalten. Es entscheidet mithin der Gläubiger, wie mit der eingetretenen Situation umgegangen wird. Der Schuldner bleibt hingegen an den Vertrag gebunden und kann ohne eine Zustimmung des Gläubigers die eingetretene Situation nicht einseitig auflösen.
Empfehlungen für die Praxis
- Bevor aufwändige Untersuchungen zu Force Majeure angestellt werden, sind der Vertrag und das maßgebliche Gesetzesrecht darauf abzuklopfen, welches genau die zu erbringende Pflicht ist, um die es jetzt geht. Soweit der Verkäufer etwa seiner Lieferpflicht bereits genügt, wenn er die Ware lediglich übernahmebereit zur Verfügung stellt,12 ist er regelmäßig nicht zur Verladung verpflichtet. Folglich kann er unabhängig davon erfüllen, ob etwa in einem Terminal Verladungen durchgeführt werden können oder nicht. Ebenso hat der Verkäufer den auf einer C-Klausel der Incoterms aufbauenden Liefervertrag erfüllt, wenn er den Frachtvertrag geschlossen und der Frachtführer die Ware übernommen hat, aber den in der C-Klausel bezeichneten Bestimmungshafen13 Corona bedingt nicht anlaufen kann.14
- Ist die aus dem Kaufvertrag resultierende Pflicht hingegen noch nicht erfüllt und erscheint ihre Erfüllung unmöglich, ist zu untersuchen, ob für die verpflichtete Partei nicht ein Zurückhalterecht, Art. 71 CISG, oder eine Befreiung wegen Gläubiger-Verursachung, Art. 80 CISG, in Betracht kommen kann.
- Kann jedoch eine Partei des Kaufvertrages ihre Pflicht nicht erfüllen und kommen Art. 71, 80 CISG nicht in Betracht, ist sie vorbehaltlich abweichender vertraglicher Absprachen grundsätzlich verpflichtet, der anderen Partei Schadensersatz wegen nicht vertragsgemäßer Erfüllung zu leisten. Diese Schadensersatzpflicht entfällt allerdings, wenn sich die nicht leistende Partei auf ein Hindernis im Sinne des Art. 79 CISG berufen kann.15 Art. 79 CISG kommt aber überhaupt erst in Betracht, wenn festgestellt ist, dass die betroffene Partei eine vertragliche Pflicht zu erfüllen hat, die sie infolge zwischenzeitlich eingetretener Ereignisse nun nicht erfüllen kann.
- Für erst jetzt nach Aufkommen der Pandemie abgeschlossene Verträge sind Störungen durch Corona nicht mehr unvorhersehbar und daher eine Berufung auf Force Majeure bzw. Art. 79 CISG kaum noch vorstellbar. Neben vertraglichen Ergänzungen bzw. Modifikationen der Regel des Art. 79 CISG sollten künftige Verkäufer versuchen, einen Selbstbelieferungsvorbehalt zu vereinbaren. Dann begeht der Verkäufer keine Vertragsverletzung, wenn er den Kaufvertrag nicht erfüllen kann, weil ihn sein Lieferant nicht vereinbarungsgemäß beliefert. Umgekehrt sollten auf besondere Lieferungen angewiesene Käufer über eine veränderte Lagerhaltung, vielleicht über Konsignationsverträge oder dual oder multiple sourcing nachdenken. Möglichkeiten, durch vertragliche Gestaltungen eine flexible Antwort zu erzielen, gibt es. Dazu bedarf es häufig aber Lösungen außerhalb der bisher beschrittenen Wege und kreativer, die realistischen Interessen beide Seiten einbeziehender Ansätze. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, früh einsetzende Informationspflichten vorzusehen, um sich auf Komplikationen frühzeitig einstellen zu können.
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Bitte beachten Sie die folgenden Fußnoten und Hinweise:
1. Etwa LEXOLOGY oder GTAI, Stichwort: Force Majeure.
2. Ohne diesen Zusatz führt die Vereinbarung „Deutsches Recht“ zum UN-Kaufrecht/CISG als dem für internationale Kaufverträge geltenden Spezialrecht.
3. Rothermel, IHR 2020, 89 ff. („In beiden Varianten sind wieder schwierige Fragen zu beantworten, ehe die Rechtsfolge klar ist … diffusen Regelungen im BGB …“).
4. Die deutsche Textfassung kann unter International Chamber of Commerce abgerufen werden.
5. Näher dazu siehe im letzten Abschnitt unter der Überschrift Empfehlungen für die Praxis.
6. Siehe dazu oben Fn. 2.
7. Näher dazu siehe die Veröffentlichung „Das UN-Kaufrecht in der Praxis“ der GTAI.
8. Näher dazu insbesondere Janssen/Wahnschaffe, EuZW 2020, 410 ff.
9. Schlechtriem/Schwenzer/Schroeter/Widmer Lüchinger, Kommentar zum UN-Kaufrecht, 7. Aufl. 2019, Art. 79 Rn. 26 ff.; Staudinger/Magnus, Wiener UN-Kaufrecht, Neubearbeitung 2018, Art. 79 CISG, Rn. 22 f.
10. Schlechtriem/Schwenzer/Schroeter/Widmer Lüchinger, Kommentar zum UN-Kaufrecht, 7. Aufl. 2019, Art. 79 Rn. 33; Staudinger/Magnus, Wiener UN-Kaufrecht, Neubearbeitung 2018, Art. 79 CISG, Rn. 22.
11. OLG Hamburg, IHR 2020, 170 ff.; zu weiteren Urteilen siehe die Zusammenstellung in IHR 2020, 140 ff.
12. Vgl. etwa Art. 31 (b) und (c) CISG und die Incoterms®-Klauseln EXW, FCA (A2 3.b) und FAS; anders hingegen § 433 BGB.
13. Etwa „CIF Buenos Aires“.
14. Siehe Regel A2 zu den C-Klauseln der Incoterms.
15. Sie dazu oben unter der Überschrift Force Majeure im UN-Kaufrecht/CISG.
Von Prof. Dr. Burghard Piltz