Branchen | Äthiopien | Stromübertragung, -verteilung, Netze
Stromwirtschaft mit Herausforderungen für Anbieter
Äthiopien plant keine neuen Wasserkraftwerke und setzt jetzt auf Windfarmen und Geothermie. Bei Stromverteilung und Übertragung gibt es einiges zu tun.
23.06.2022
Von Ulrich Binkert | Addis Abeba
Nach Äthiopien kommen vermehrt ausländische Consultants und Anbieter von Technik für den Stromsektor. Ein Grund für diese Einschätzung von Branchenvertretern ist das 500 Millionen US-Dollar (US$) teure Programm "Access to Distributed Electricity and Lighting in Ethiopia" (ADELE), für das die Weltbank seit Ende 2021 erste Beschaffungspläne online stellt. Von deutschen Anbietern liefert zum Beispiel Voith acht von 13 Turbinen für den großen GERD-Staudamm am Blauen Nil.
"Webseiten der Geber checken und präsent sein!"
International wird der äthiopische Markt offenbar wenig wahrgenommen: Die staatliche Erzeuger- und Übertragungsgesellschaft Ethiopian Electric Power (EEP) registriert bei ihren Ausschreibungen nur Bewerber mit Vertretung in Addis Abeba. Aufmerksam geworden seien diese Firmen zudem über das in Äthiopien wichtige, allgemeine Portal Merkato. EEP will seine Ausschreibungswebseite verbessern und sucht dafür Unterstützung. Auch die Tenderseite des staatlichen Stromversorgers EEU hat zumindest in der Vergangenheit schlecht funktioniert, so ein Branchenvertreter in Addis Abeba. „Als Technikanbieter muss man hier präsent sein und ansonsten die Seiten der Geber durchforsten, die ja die meisten Vorhaben mitfinanzieren.“
Bereich | Ausgaben (Mio. US$) |
---|---|
Solarhybride Minigrids auf dem Land | 270,0 |
Verstärkung städtischer Netze | 100,0 |
Insel-Solarmodule für Gesundheits- und Bildungseinrichtungen | 55,0 |
Solarsysteme für Haushalte, Kleinbauern u.a. | 50,5 |
Ausbildung u.Ä. | 24,5 |
Summe | 500,0 |
Chinesen wollen mehr Trafos bauen
Marktbestimmend waren in den letzten Jahren chinesische Firmen, zumal Projektfinanzierungen und Hauptauftragnehmer oft aus China kamen. Chinesische Anbieter finanzieren laut Branchenangaben aber auch billiger und prüfen weniger. Verhandlungen mit ihnen seien zudem deutlich einfacher als mit einigen europäischen Firmen, heißt es bei EEP auf Arbeitsebene. Sie verlangten zum Beispiel weniger Anzahlungen.
Chinesen sehen weiterhin Marktchancen und angesichts der strikten Devisenbestimmungen auch die Vorteile einer Produktion im Land. So der Betreiber der Eastern Industry Zone bei Addis Abeba, der seinen Park mit einer eigenen Herstellung von Transformatoren ausweiten möchte. Äthiopiens Produktion von Branchentechnik beschränkt sich im Wesentlichen auf Niedrigspannungskabel und kleinere Transformatoren. Die Trafos werden montiert von der einheimischen Ethio Engineering Group sowie chinesischen, indischen oder ägyptischen Firmen und sind laut EEP von niedriger Qualität.
Bevölkerung ist schlecht mit Strom versorgt
Die Bevölkerung Äthiopiens hat in Subsahara-Afrika laut Weltbank den drittschlechtesten Zugang zu Strom. Während in Addis Abeba praktisch alle Haushalte ans Netz angeschlossen seien, würden auf dem Land nur 27 Prozent erreicht. Weite Gebiete bleiben abgehängt und maximal von Insellösungen versorgt. Und auch in der Hauptstadt gibt es wegen schwacher Verteilnetze häufig Stromausfälle.
Dabei existieren im nationalen Netz hohe Überkapazitäten: Bei nutzbaren rund 3.800 Megawatt (MW; installiert sind 4.523 MW) betrug der Maximalbedarf im gesamten Land gemittelt über das vergangene Jahr rund 2.700 MW (bei einem absoluten Maximum von 3.000 MW), so EEP im Mai 2022. Zwar dürfte die Nachfrage kräftig steigen. Mit dem GERD-Kraftwerk am Blauen Nil und Koysha kommt in den nächsten Jahren aber fast das Dreifache des heutigen Bedarfs an zusätzlicher Leistung ans Netz.
Keine neuen großen Kraftwerksprojekte in Sicht
EEP arbeitet nach eigenen Angaben neben GERD und Koysha an keinen (größeren) Wasserkraftprojekten, und größere Wind- oder Solarkraftvorhaben kommen mit zwei Ausnahmen (Assela, Aysha II) kaum voran. EEP spürt die Zurückhaltung der Chinesen und auch der internationalen Geber. Der Staat finanziert nach grober Eigeneinschätzung üblicherweise nur 20 Prozent der EEP-Investitionen.
Private Stromerzeuger (IPP) sind bis heute trotz langjähriger Bemühungen nicht am Netz. Zuletzt hatte sich im Mai 2022 die saudische Firma Acwa Power aus den Solarprojekten Gad und Dichato zurückgezogen. Strom-Abnahmeverträge (PPA) mit IPPs gibt es bislang erst bei den beiden Geothermieprojekten Tulu Moye und Corbetti, die aber nur zäh vorankommen.
Ein Problem ist die billige Konkurrenz der Großwasserkraft, die 95 Prozent des Stroms liefert. Zweitens lassen sich Einnahmen wegen der harten Devisenbestimmungen nur schwer in Dollar umwandeln. Drittens ist zwar ein IPP-Gesetz seit 2018 in Kraft, der Einspeisetarif bleibt aber auszuhandeln mit dem Monopol-Netzbetreiber EEP, der außerdem Konkurrent in der Erzeugung ist.
Projekt | MW | Anmerkungen |
---|---|---|
Wasserkraftwerk GERD (Grand Ethiopian Renaissance) | 5.150 | Mai 2022: Bau fertig und See füllt sich, eine Turbine läuft und eine weitere geht demnächst in Betrieb; von 13 Turbinen kommen 8 von Voith und 5 von GE/Alstom; Kapazität ursprünglich auf 6.600 MW geplant und zwecks Kostenersparnis reduziert |
Koysha, Wasserkraft | 1.800 | Projekt stockt mangels Finanzierung der Elektromechanik; geplante Kapazität zuvor 2.160 MW; Auftragnehmer: Webuild |
Windfarmen Adama I und II sowie Archagoda | 324 | im Betrieb |
Geothermiekraftwerk Corbetti, Phase I (50 MW) | 200 | IPP-Projekt (u.a. Berkeley Energy/Reykjavik Geothermal); Juni 2022: Projekteigner wollen ihre Anteile verkaufen (laut EEP, keine Bestätigung durch Firmen) |
Geothermiekraftwerk Tulu Moye | 600 | IPP-Projekt; zunächst 150 MW in 2 Phasen; EPC: Mitsubshi/SEPCO (China); März 2022: EPC-Vertrag über Phase I (50 MW, 100 Mio. US$), Bau soll im September 2022 starten |
Aysha II | 120 | im Bau, soll zur Jahresmitte 2022 fertig sein |
Assela, Windkraft | 100 | EEP, Juni 2022: Geländearbeiten sind im Gange; Siemens (EPC) liefert Turbinen; Finanzierung: Danida, Danske Bank (Dänemark) |
Windprojekte Debre Birhan, Aysha I und III, Dire Dawa, Adogava | 850 | EEP, Juni 2022: keine eigenen Aktivitäten und auch keine von privaten Firmen; jeweils 120-150 MW, Aysha III: 300 MW |
Gad, Diachato | je 125 | Mai 2022: Projekte sollen neu ausgeschrieben werden; IPP Acwa stieg im Mai 2022 aus |
Projekt | Kosten | Länge | Anmerkungen |
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Metu-Masha | 70 | 66 | Hauptauftragnehmer: Sinohydro (Zuschlag 10/2018), Baubeginn: 7/2019 |
Azezo-Chilga | 70 | 43 | Hauptauftragnehmer: Sinohydro (Zuschlag 10/2018), Baubeginn: 7/2019 |
Fincha-Shambu | 70 | 42 | Hauptauftragnehmer: Sinohydro (Zuschlag 10/2018) |
Mekele-Dalol | 127 | 130 | Juni 2022: Projekt wegen Tigray-Konflikt gestoppt; Baubeginn war November 2019; Hauptauftragnehmer: Calpatura |
Semera-Afdera | 125 | 175 | Juli 2021: Ausschreibung diverser Leistungen; Projekt stockt aktuell wegen Konflikten |
Bahir Dar-Woldia II-Kombolcha | k.A. | 395 | Spannung: 400 kV 2); Stand unklar |
Staat dominiert Sektor
Die Zentralregierung möchte das faktische Staatsmonopol bei Erzeugung, Übertragung und Verteilung zwar mit Reformen aufbrechen, nachgeordnete Behörden können oder wollen dies aber oft nicht umsetzen. Die Branchenaufsicht immerhin wanderte Anfang 2022 vom Energie- ins Industrieministerium, wodurch Beobachter eine bessere Kontrolle erwarten. Unklar ist, ob EEP in zwei Organisationen für Erzeugung und Übertragung aufgeteilt wird.
Akteur | Erzeugung | Übertragung | Verteilung, Minigrids | Regulierung |
---|---|---|---|---|
Ethiopian Electric Power (EEP) | x | >66 kV | ||
Ethiopian Electric Utility (EEU) | <= 66 kV | x | ||
Ethiopian Energy Authority (EEA) *) | x | |||
Unabhängige Stromerzeuger (IPPs) | x |
Das System basiert auf staatlichen Zuschüssen, Kosten sind offenbar nur ansatzweise bekannt. So nennt EEP für die Erzeugung die weite Spannbreite von "0,03 bis maximal 0,07 US$" pro Kilowattstunde (kWh). EEP misst nach eigenen Angaben den an den Versorger EEU abgegebenen Strom. EEU tut dies bei den Endkunden aber nur sehr unvollständig, so der Eindruck von Beobachtern. Ein Presseartikel von 2019 nannte gut 3 Millionen EEU-Nutzer, bei einer Bevölkerung von rund 115 Millionen. EEU soll Rechnungen, wenn vorhanden, teils nur nachlässig eintreiben - bei Tarifen von im Schnitt lediglich rund 0,03 US$/kWh und noch deutlich weniger für Kleinabnehmer. EEP spricht von 25 Prozent "Gesamt-Stromverlusten" durch Technik und Diebstahl.
In der Stromversorgung bieten mehrere Firmen intelligente Stromzähler an. Für deren Installation gibt es immer wieder Initiativen. Der staatliche Monopolist EEU versucht zwecks besserer Bezahlung seiner Rechnungen Prepaidkarten und Messgeräte dafür einzuführen. Ein Bericht von 2019 nannte für Äthiopien 0,5 Millionen verkaufte Prepaidkarten.
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